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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gerabronn; Gerace; Geradabsteigung; Geradaufsteigung; Gerade; Gerade und Ungerade

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Gerabronn - Gerade und Ungerade.

altertümliche Rathaus. Auf dem Johannisplatz steht das Standbild des verdienten Fürsten Heinrich Posthumus (gest. 1635). Die Bevölkerung beläuft sich (1885) inkl. Garnison (1 Infanteriebataillon Nr. 96) auf 34,152 Seelen, darunter (1880) 259 Katholiken. Die Industrie ist sehr bedeutend. Obenan steht die Wollwarenmanufaktur, begründet von Nikolaus de Smit, welcher 1595 von Flandern her einwanderte; sie umfaßt 23 Etablissements mit einem jährlichen Umsatz von 18 Mill. Mk. Für Fabrikation von Kammgarnstoffen sind ca. 2500 mechanische Webstühle aufgestellt. Mehrere Kammgarnspinnereien, Stückfärbereien und Appreturanstalten unterstützen diesen Industriezweig. Bedeutend sind auch die Leder-, Tabaks- und Zigarren-, insbesondere aber die von Wien hierher verpflanzte Harmonikafabrikation. Die jährliche Produktion der acht Fabriken (mit ca. 1500 Arbeitern) beträgt etwa 15,000 Stück Melodions, 300,000 Akkordions und 250,000 Dutzend Mundharmoniken. Außerdem besitzt G. Maschinenbau und Eisengießerei, Wagenfettfabrikation, große Buch- und Steindruckereien, Bierbrauereien, zahlreiche Kunstgärtnereien mit starker Blumenzucht etc. Der lebhafte Handel, vermittelt durch eine Reichsbankstelle, die Geraer Bank, eine Gewerbe- und eine Handels- und Kreditbank, befaßt sich außer mit den heimischen Erzeugnissen mit Landesprodukten, Mehl, Öl, Spiritus etc. Groß ist die Zahl der Buchhandlungen: 7 Firmen, darunter 4 Verlagshandlungen. G. hat 2 Kirchen, ein Gymnasium (1608 gegründet), eine Realschule erster Ordnung, eine Handels- und kaufmännische Hochschule, vorzüglich organisierte Bürger- und Volksschulen, zum Teil in mustergültig eingerichteten neuen Gebäuden, eine Fachwebschule, ein Waisenhaus, eine Privatirrenanstalt, ein Landesarbeitshaus, ein Theater und ist Sitz der Landesbehörden für Reuß j. L., eines Landratsamtes, eines Landgerichts (für die acht Amtsgerichte zu Auma, G., Hirschberg a. S., Hohenleuben, Lobenstein, Neustadt a. O., Schleiz und Weida), eines Hauptsteueramtes und einer Handelskammer. G. gegenüber, am linken Ufer der Elster, liegt der Ort Untermhaus mit (1885) 3220 Einw.; über demselben, am Abhang des bewaldeten Heinbergs, das fürstliche Residenzschloß Osterstein mit vielen Kunstschätzen. - G., in Urkunden Geraha, verdankt seine Entstehung wahrscheinlich den Sorben, gehörte seit 999 dem Stift Quedlinburg und wurde zu Ende des 12. Jahrh. den Vögten von Weida (s. Reuß) überlassen, während die Lehnshoheit über G. zu Anfang des 14. Jahrh. an Thüringen fiel. Im sächsischen Bruderkrieg ward G. 15. Okt. 1450 vom Landgrafen Wilhelm III. von Thüringen nach langer Belagerung gestürmt und von den böhmischen Hilfsvölkern des letztern niedergebrannt. Im Vertrag zu G. 1599, der 1603 in Ansbach bestätigt wurde, überließ Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg die fränkischen Fürstentümer seinen Stiefbrüdern. Am Osterfest 1639 wurde G. fast zur Hälfte von den Schweden verwüstet. Die große Feuersbrunst vom 18. Sept. 1780 legte 31 öffentliche Gebäude und 686 Bürgerhäuser in Asche. Auch in den Kriegen von 1806 bis 1814 ward G. hart mitgenommen. - Die Herrschaft G., 240 qkm groß, war seit Mitte des 13. Jahrh. Besitztum einer eignen Linie der spätern Fürsten von Reuß, fiel 1550 an die Plauensche Hauptlinie und wurde 1666 mit Saalburg einer Speziallinie zugeteilt, nach deren Aussterben (1802) die Herrschaft an die Fürstenhäuser Reuß-Schleiz und Reuß-Lobenstein-Ebersdorf fiel, welche die Regierung gemeinschaftlich führten. (Weiteres s. Reuß.) Vgl. F. Hahn, Geschichte von G. und dessen Umgebung (Gera 1855, 2 Bde.); Fischer, Die Stadt G. und ihre kommunalen Einrichtungen (das. 1878); "Urkundensammlung zur Geschichte der Herrschaft G. im Mittelalter" (hrsg. von Alberti, das. 1882).

^[Abb.: Wappen von Gera.]

Gerabronn, Dorf und Oberamtssitz im württemberg. Jagstkreis, mit (1885) 911 evang. Einwohnern.

Gerace (spr. dscherahtsche), Kreishauptstadt in der ital. Provinz Reggio di Calabria, unweit des Ionischen Meers, an der Kalabrischen Küstenbahn, ist Bischofsitz, hat eine alte, nach dem Erdbeben von 1783 umgebaute Kathedrale, ein Seminar, ausgezeichneten Weinbau (Lacrima di G.), Eisenbergbau und Hochöfen, in der Nähe eine warme Schwefelquelle (44° C.) und (1881) 5265 Einw. In der Nähe die Ruinen von Lokri.

Geradabsteigung, s. Absteigung.

Geradaufsteigung, s. Aufsteigung.

Gerade, ein Institut des deutschen Erbrechts, kommt in zweifacher Gestalt, als Witwengerade und als Niftelgerade, vor. Die Witwengerade bildete einen Inbegriff gewisser beweglicher Gegenstände, welche die Witwe aus dem Nachlaß ihres verstorbenen Ehemanns wahrscheinlich zur Entschädigung für ihr in der Ehe untergegangenes bewegliches Vermögen erhielt. Solche Gegenstände waren Hausgerätschaften und für den Hausstand bestimmte Vorräte an Waren und Lebensmitteln, bei dem Adel auch die Equipage, deren sich die Gatten zu ihrem persönlichen Gebrauch bedient hatten; doch herrschte hinsichtlich der Bestimmung dessen, was zur G. gerechnet wurde, in den Partikulargesetzen große Verschiedenheit. So erbten hin und wieder auch die Geistlichen die G., insofern sie von der Erbschaft des Heergeräts ausgeschlossen waren und deshalb hinsichtlich der G. gleiche Rechte mit den Frauenspersonen erhielten. Die Niftelgerade dagegen war ein Inbegriff beweglicher, aus dem Nachlaß einer Frau den Töchtern oder in deren Ermangelung den nächsten weiblichen Verwandten von der Weiberseite (Niftel) gebührender Gegenstände. Anfänglich gehörten zu dieser letztern nur weibliche Kleider, Wäsche und Schmuckgegenstände nebst den zur Aufbewahrung dienenden Behältern; später wurden auch gewisse Haustiere dahin gerechnet. Die Niftelgerade wurde häufig dadurch umgangen, daß die betreffende Frauensperson ihre G. bei Lebzeiten an den verkaufte, welchem sie dieselbe eben zuwenden wollte. Das Institut der G. ist fast allenthalben durch die moderne Gesetzgebung aufgehoben, und nur vereinzelt finden sich noch Spuren desselben.

Gerade und Ungerade, ein sehr gewöhnliches einfaches Glücksspiel, welches darin besteht, daß man verschiedene Münzen oder sonstige kleine Gegenstände in die Hand nimmt, letztere schließt und einen andern erraten läßt, ob die Zahl derselben eine gerade oder ungerade sei; es war schon den Griechen (artiazein) und den Römern (ludere par impar) bekannt. Große Ähnlichkeit hat hiermit das Fingerspiel oder Fingerlosen, wobei man schnell eine Anzahl Finger einschlägt oder ausstreckt und, indem man die Hand verborgen hält, die Anzahl derselben von einem andern erraten läßt. Vgl. Mora.