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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Griechenland

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Griechenland (Neu-G.: Geschichte bis 1829).

ägyptischen Flotte im Hafen zu Alexandria, nahm bei Navarino ägyptische Truppen an Bord und segelte nach Missolunghi, das seit Mai 1826 zum zweitenmal belagert wurde, um dasselbe von der Seeseite einzuschließen. Elf Monate hielt Missolunghi, dessen Eroberung das Hauptbestreben der Türken und Ägypter war, die Belagerung aus. Mehr denn 100,000 Bomben wurden in die Stadt geschleudert, Kampf und Hunger verminderten die Mannschaft mit jedem Tag, alle Entsatzversuche zur See und zu Lande wurden vereitelt, und schon waren die beiden Vormauern der Festung, Anatoliko und Wasiladi, überwältigt, da brachen die 2000 Verteidiger 22. April 1826 abends plötzlich hervor, bahnten sich mitten durch die Feinde einen Weg nach den Bergen und wandten sich nach großem Verlust unter ihren Führern Nothi Botzaris und Kizzos Tzavellas nach Nauplia; einige Hundert Wehrlose, die in der Stadt zurückgeblieben waren, sprengten sich 25. April, als die Türken in die Festung drangen, mit diesen durch Minen in die Luft.

Indessen fing die Standhaftigkeit der Griechen allmählich an, in Europa lebhafte und werkthätige Teilnahme zu erregen. Besonders durch die Bemühungen Eynards in Genf wuchsen die Zahl und die Thätigkeit der Philhellenenvereine, die den Griechen Unterstützung an Geld und Waffen zukommen ließen, der berühmte Lord Byron war 1824 den Hellenen nach Missolunghi zu Hilfe geeilt, wo er nach wenigen Monaten 19. April ein frühes Grab fand, und selbst in den Kabinetten, besonders im englischen seit Cannings Regierungsantritt und im russischen seit Kaiser Nikolaus' Thronbesteigung, wurden Stimmen zu gunsten der Griechen laut. Rußland forderte zunächst mit Nachdruck Räumung der Walachei und Moldau durch die türkischen Truppen und vereinigte sich 4. April 1826 mit England im Petersburger Protokoll über eine gemeinschaftliche Aktion zu gunsten der Griechen. Im türkischen Heer selbst empörten sich im Juni 1826 die Janitscharen, und Mahmud sah sich genötigt, ihrer 10,000 niedermetzeln zu lassen und 20,000 zu verbannen. Die Briten erlaubten, daß auch auf den Ionischen Inseln sich unter Panas und Omarpopulos Griechen zum Beistand der Brüder sammeln durften. Aus Frankreich langte Graf Harcourt mit neuer Unterstützung vom dortigen Philhellenenverein, aus Nordamerika eine große Fregatte, aus England das erste bewaffnete Dampfschiff, aus Bayern, vom König Ludwig I. selbst gesandt, Oberst Heideck mit andern an, und in allen diesen Ländern wurden von Philhellenenvereinen Beisteuern gesammelt.

Der Kampf drehte sich im Winter 1826/27 besonders um den Besitz von Attika. Im März 1827 kam der im südamerikanischen Freiheitskrieg berühmt gewordene britische Seeheld, Lord Cochrane, auf einer ihm eignen Goelette an, und zugleich landete der englische General Church, der ein leichtes griechisches Regiment auf Zante errichtet hatte, in Hydra und bot den Griechen seine Dienste an. Es gelang ihnen, die feindlich getrennten Nationalversammlungen zu Ägina und Kastri zu versöhnen, so daß dieselben zu Damala (Trözen), später auf der Insel Poros zu gemeinschaftlicher Beratung einer republikanischen Staatsverfassung zusammentraten. Man wählte daselbst 11. April den ehemaligen russischen Minister, Kapo d'Istrias, auf sieben Jahre zum Präsidenten der griechischen Republik; Cochrane ward zum Großadmiral der Flotte, Church zum Oberbefehlshaber der Landmacht ernannt. Die erste Unternehmung der beiden Befehlshaber war allerdings nicht glücklich. Bei dem Versuch, die den Winter 1826/27 hindurch von Fabvier und von Karaiskakis tapfer verteidigte Akropolis von Athen zu entsetzen, erlitten sie 6. Mai 1827 eine Niederlage, infolge deren die Besatzung 5. Juni kapitulieren mußte.

Da die Pforte die Vermittelungsversuche des englischen Gesandten Stratford Canning beharrlich zurückwies, schlossen endlich England, Frankreich und Rußland 6. Juli 1827 auf Grund des Petersburger Protokolls den Vertrag zu London, wonach man der Pforte einen Monat Zeit lassen wollte, um mit den Griechen einen Waffenstillstand zu schließen, während dessen dann der Friede vereinbart und die Errichtung eines selbständigen griechischen Staatswesens bewerkstelligt werden sollte. Das von den Gesandten der drei Mächte 16. Aug. der Pforte überreichte Ultimatum blieb jedoch unbeantwortet. Währenddessen war eine neue ägyptische Flotte, 89 Segel stark mit 5000 Mann Truppen, 8. Sept. zu Navarino eingetroffen, um durch einen Hauptschlag dem ganzen Krieg ein Ende zu machen. Im Archipel aber kreuzten die Flotten der drei zur Intervention vereinigten Mächte, und als Ibrahim sein Versprechen, bis zur Rückkehr der nach Alexandria und Konstantinopel gesendeten Boten nichts zu unternehmen, brach, erschienen jene 20. Okt. 1827 im Angesicht des Hafens von Navarino und lieferten der türkisch-ägyptischen Flotte eine Schlacht, in welcher von 82 Schiffen derselben 55 vernichtet wurden. Da hierauf 1828 der Krieg der Türkei mit Rußland ausbrach, wurde Ibrahims Lage in Morea bedenklich, und als im August ein französisches Korps unter General Maison in Koron landete, räumte das ägyptische Heer nach drei Jahren blutigster Herrschaft die Halbinsel. Der Krieg in Morea und Livadien war hiermit beendet.

Die Errichtung des Königreichs Griechenland.

Ende Januar 1828 war der Präsident Kapo d'Istrias in Ägina, dem Sitz der stellvertretenden Regierungskommission, gelandet. Es gelang ihm, mehrere der Parteihäupter unter sich zu versöhnen, und Grivas, obwohl mit Kolokotronis in Fehde, überlieferte ihm mit dem Fort Palamidi den Schlüssel zu Morea. Am 4. Febr. legte der Präsident den Eid in die Hände des Senats ab, versprach, die Nationalversammlung auf 1. April zusammenzurufen, und ernannte sein Ministerium. Bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung sollte der Staatsrat (Panhellenion) die Verantwortlichkeit mit ihm teilen, und dieser wurde in drei Sektionen: der Finanzen, des Innern und des Kriegs, geteilt, ein Ministerial- und ein Kriegsrat gebildet und eine strenge Verwaltungs- und Aufsichtskommission (Phrontisterion) niedergesetzt. Kapo d'Istrias bot zwar, von den Schutzmächten mit Geld unterstützt, alle Mittel aus, G. auf europäische Weise zu organisieren. Aber sein Eigensinn, seine allzu große Abhängigkeit vom russischen Einfluß und die vielfach hervortretende Begünstigung seiner Familie sowie die durch Ausbruch der Pest auf einigen Inseln gebotenen strengen Sanitätsmaßregeln und die erhöhten Auflagen vermehrten die Mißstimmung gegen ihn auch unter dem Volk. Dennoch wurde 23. Juli 1829 die fünfte Nationalversammlung zu Argos fast ohne Opposition eröffnet, und alle Vorschläge der Regierung wurden angenommen, so daß die Versammlung 18. Aug. wieder vertagt werden konnte. An die Stelle des Panhellenion trat ein Senat von 27 Mitgliedern, dessen Erwählung fast ganz vom Präsidenten, der beinahe diktatorische Gewalt besaß, abhing. Das Ziel der Griechen war die völlige Befreiung