Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kirche

750

Kirche (die christliche K. im 4.-8. Jahrhundert).

der Weltgeschichte eingerichtete und insofern das säkularisierte, das mit dem Instinkt der Weltherrschaft versehene, allerorts praktisch zurechtgelegte Christentum. Nichts ist begreiflicher, als daß das Römerreich nicht freiwillig abdankte zu gunsten der sich anmeldenden geistigen Großmacht; es waren bekanntlich gerade die echtesten Erben und Fortleiter der alten Traditionen römischer Politik, welche in der christlichen K. eine Todfeindin erkennen und sie bis aufs Blut bekämpfen zu müssen glaubten. Aber eigenste Kraft und eine Verkettung günstiger Umstände verhalfen letzterer zum Sieg. Ein genialer Eroberer that den kühnen Wurf; erstellte sich anfänglich über die Parteien, um je länger, desto mehr in der christlichen K. die eigentliche Trägerin aller zukunftsvollen Mächte zu erkennen und in ihrer bereits bestehenden Einheit die Unterlage einer erst herzustellenden Einheit des Reichs zu suchen. Die Bischöfe der K. sollten den wankenden Kaiserthron stützen, ihm im Glauben der Völker den eingebüßten Kredit wieder verschaffen. Was Konstantin (306-337) wollte, das war eine handliche Staatskirche. Aber nur in der östlichen Hälfte des Reichs konnte seine Idee Durchführung finden, und zwar war es wesentlich das Dogma, bei dessen Ausbildung die byzantinischen Kaiser und fast mehr noch ihre Frauen sich beteiligten.

Zweite Periode: bis auf Karl den Großen.

Wir schreiten damit von der ersten Epoche der alten K. hinüber zu der zweiten. Die Ansätze des dogmenbildenden Prozesses hatte schon jene gesehen (s. Dogma, Dogmatik, Dogmengeschichte). Die Verweltlichung des Christentums auf dem Gebiet der Lehre und Vorstellung war eingeleitet worden von der Gnosis (s. d.). Ihr ist die kirchliche Theologie nur nachgewachsen. Sie hat in mildern, populärern Formen, in gemäßigtem Tempo wiederholt, was die Gnosis in kühnen Sprüngen gewagt hatte: eine Darstellung der neuen Weltanschauung mittels der Formen griechischer Religionsphilosophie und Mysterienweisheit. Während aber von der kirchlich werdenden Christenheit vor allem das ganze Judentum als Religion mit Beschlag belegt, die ganze alttestamentliche Geschichte als Vorgeschichte der K. in Anspruch genommen wurde, rechnete der Gnostizismus dieses Alte Testament vielmehr in das von ihm noch viel heftiger als von der K. verworfene Judentum ein und ging deshalb der K. mit Bildung eines eignen, eines neutestamentlichen Kanons sogar voran. In den Wirren des mit der Gnosis geführten Kampfes erfuhr die K. erstmalig das Bedürfnis, ihr einfaches Taufbekenntnis durch Erweiterungen zu erläutern und in eine die kirchlich korrekte Überlieferung fixierende Glaubensregel umzuwandeln. An diese Glaubensregel setzt sich sofort die noch ganz embryonale und fragmentarische Theologie der antignostischen Kirchenväter, eines Justinus, Irenäos, Tertullian, an. Erst durch das Medium der als "Neues Testament" kanonisierten Schriften der apostolischen und nachapostolischen Epoche im Verein mit der Glaubensregel werden jetzt auch die treibenden Ideen des Urchristentums selbst in dieser K. eine wirksame Macht. Aber den gut christlichen Elementen, mit welchen auf diesem Weg das Dogma ausgestattet wurde, halten die sich mehrenden griechischen die Wagschale. Hand in Hand mit der im Verlauf des 3. Jahrh. sich vollziehenden Umbildung der K. in einen heiligen Staat erfolgt eine Umsetzung der Glaubensregel in die hellenisch fundamentierte, aus der Stoa und aus dem Platonismus abzuleitende Religionsphilosophie eines Clemens und Origenes. Den Kristallisationspunkt für diesen Prozeß bildet die von Tertullian, Hippolyt u. a. in die Glaubensregel eingeführte Lehre vom Logos (s. d.), mit welcher der Kern der kirchlichen Weltanschauung ins Dasein getreten ist. Denn damit war die Anweisung gegeben, das Göttliche in Christus als die im Weltbau und in der Geschichte der Menschheit verwirklichte Vernunft Gottes zu denken; s. Christologie. Der Menschwerdung des Logos entspricht aber als ihr Erfolg schon bei Irenäos die Vergöttlichung des Menschen. Je länger, desto mehr rückt dieser Gedanke in den Mittelpunkt der Theologie der Kirchenväter (s. d.), und in gleichem Maß wird der einfach religiöse und sittliche Inhalt des Evangeliums durch einen dicken Überwurf von Metaphysik und Theosophie verdeckt. Mysteriöse, aber reale Umbildung des Menschen in unvergängliches Wesen, abgebildet in den geheimnisvollen Naturvorgängen der Sakramente (s. d.) und bewerkstelligt durch ihren Genuß, sollte die Gabe Gottes in Christus sein. Dieser symbolischen Magie eines zum guten Teil den heidnischen Mysterien nachgebildeten Kultus entsprach ein Erlöser, welcher in seiner Person die menschliche Natur mit der göttlichen vereinigt, genauer jene vergottet hat. Dies führt auf Wesenseinheit des Sohns mit dem Vater, auf Doppelnatur Christi, kurz auf alle jene Formeln, welche seit dem Konzil von Nicäa dem eigentlich dogmenbildenden Zeitalter einleuchtend und annehmbar erschienen, um die höchste Anschauung vom Werte der christlichen Religion und der durch sie vermittelten Heilsgüter auszudrücken. S. Nicäisches, Nicäisch-Konstantinopolitanisches, Chalcedonisches Glaubensbekenntnis.

Einer irrtümlichen Geschichtsphilosophie entsprungen ist die oft gehörte Meinung, diese und ähnliche Formeln hätten unter den Bedingungen, welche bei der dogmatischen Entfaltung des christlichen Bewußtseins maßgebend und wirksam gewesen sind, gerade so ausfallen müssen, wie sie thatsächlich ausgefallen sind. In Wahrheit hätte sich die Andacht der K. aber z. B. mit dem gottähnlichen Christus des Arianismus ebensogut befriedigen können wie bei dem gottgleichen des Athanasius, und wie die Dinge zu Nicäa lagen, hat sogar alles zu der erstern Formel gedrängt. Daß die letztere siegreich wurde, ist dem persönlichen Eingreifen des Konstantin wie später des Theodosius zu verdanken. Ebenso hatte im Nestorianisch-Eutychianischen Streit bereits der Monophysitismus den Sieg in den Händen, als er ihm nachträglich auf der vierten ökumenischen Synode durch das im Bund mit dem römischen Bischof erfolgende Einschreiten der Kaiserin Pulcheria wieder entwunden wurde. Gegenteils ist der monophysitische Rückschlag, welcher dann auf der fünften ökumenischen Synode eintrat, das persönliche Werk Justinians und Theodoras gewesen. Der monotheletische Streit ist durch die Politik des Kaisers Heraklios hervorgerufen und in seinem Verlauf ganz durch die Kaiser Constans und Constantinus Pogonatus bestimmt worden. Den Bilderstreit haben erstmalig und endgültig die beiden Kaiserinnen Irene und Theodora abgeschlossen. Das Abendland ist dieser Entwickelung des Dogmas, wie es der zweiten Hälfte der Geschichte der alten K. ihr bezeichnendes Gepräge verleiht, nur einfach zustimmend gefolgt, und was es Selbständiges auf diesem Gebiet leistete, die Sünden- und Gnadenlehre des Augustinus, das hat im kirchlichen Leben und in der theologischen Praxis keineswegs zu einer so großen Entfernung von der griechischen Theologie geführt, als es gemäß dem