Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kleinpaul; Kleinpolen; Kleinrussen; Kleinrussische Sprache und Litteratur

829

Kleinpaul - Kleinrussische Sprache und Litteratur.

Kleinpaul, Rudolf, Schriftsteller, geb. 9. März 1845 zu Großgrabe bei Kamenz in der sächsischen Oberlausitz, studierte in Leipzig Philosophie und Philologie, widmete sich dann in Berlin noch einige Zeit dem Studium der Naturwissenschaften, verlebte den Winter 1869/70 in Paris, bereiste im Frühling 1870 das südliche Frankreich und die Pyrenäen und nahm bei Ausbruch des Kriegs seinen Aufenthalt in Genf, dann in Vevey. Im Sommer 1871 besuchte er Italien, bereiste von Rom aus die Apenninenhalbinsel, Sizilien und Griechenland und nach einigen Jahren Ägypten und Palästina und lebt seit 1878 in Leipzig. Schriftstellerisch machte er sich durch zahlreiche Arbeiten in Zeitschriften und durch eine Reihe selbständiger Schriften bekannt. Letztere sind: "Die Dahabîye" (Stuttg. 1879), eine Reisefrucht aus Ägypten; "Roma Capitale" (Leipz. 1880); "Mediterranea", Lebens- und Landschaftsbilder von den Küsten des Mittelmeers (das. 1881); "Kreuziget ihn! Welsche Reiseabenteuer nach den Papieren eines Verstorbenen" (2. Aufl., das. 1882); die Prachtwerke: "Rom in Wort und Bild" (das. 1882 ff.), "Neapel und Umgebung" (das. 1884) und "Florenz in Wort und Bild" (das. 1887); endlich "Menschen- und Völkernamen" (das. 1885). Auch ein ausgezeichneter "Italienischer Sprachführer" (in "Meyers Sprachführern") entstammt seiner Feder.

Kleinpolen, der südwestliche, gebirgige Teil des ehemaligen Königreichs Polen, umfaßte im engern Sinn die Woiwodschaften Krakau, Sandomir und Lublin, im weitern aber auch Podlachien, die Rus (das jetzige Galizien), Podolien und Wolhynien, überhaupt alle übrigen südwestlichen, gebirgigen Teile des polnischen Reichs. Vgl. Großpolen.

Kleinrussen (Ruthenen), s. Russen.

Kleinrussische Sprache und Litteratur. Wie die Kleinrussen (Reußen, in Galizien Ruthenen genannt) einen von den Großrussen verschiedenen Volksstamm bilden (s. Russen), so sprechen sie auch ihre besondere Sprache, die mit dem eigentlichen Russischen (Großrussischen) zwar nahe verwandt ist, aber sich doch als selbständige Mundart neben demselben behauptet (s. Russische Sprache), und haben in derselben eine eigne Litteratur ausgebildet. Ein charakteristischer Unterschied zwischen beiden Sprachen besteht unter anderm darin, daß das Kleinrussische durchgehends h setzt, wo das Großrussische g gebraucht, z. B. horod, "Stadt" (großruss. gorod), ebenso i statt ě, z. B. hrich, "Sünde" (großruss. grěch). Das Kleinrussische zerfällt selbst wieder in zahlreiche Dialekte, die sich in drei Gruppen zusammenfassen lassen: 1) die südkleinrussische oder ukrainische Gruppe, in den Gouvernements Charkow, Poltawa, Jekaterinoslaw, Kiew, in den östlichen Teilen von Wolhynien und Podolien, in Tschernigow, Woronesh, Kursk, in Cherson und am Asowschen Meer; 2) die nordkleinrussische oder Mundart von Polesje, in den Gouvernements Minsk und Grodno, in Teilen von Wolhynien, Kiew und Tschernigow; 3) die rotrussische oder ruthenische Gruppe, im westlichen Teil von Podolien und Wolhynien, in Galizien und Ungarn. Grammatiken der kleinrussischen Sprache lieferten unter andern Pavlowskij (Petersb. 1818) und Osadca ("Grammatika ruskoho jazyka", 3. Aufl., Lemb. 1876); ein deutsch-kleinrussisches Lexikon gab A. Partyckij (1867), ein kleinrussisch-deutsches neuerdings Zelechowskij (das. 1882-86) heraus.

Die Litteratur der Kleinrussen fällt in ihrer ersten Periode, die vom 11. bis 14. Jahrh. reicht, mit der ältesten Periode der russischen Litteratur überhaupt zusammen. Sie hatte, beeinflußt von der mit dem Christentum (seit 988) eingedrungenen byzantinischen Kultur, zunächst einen kirchlichen Charakter, und die Schriftsprache war infolgedessen auch das Kirchenslawische oder Altbulgarische, wobei auch mitunter Wortformen und Wendungen aus der kleinrussischen Volkssprache aufgenommen wurden. Unter den Werken des 11. Jahrh. ragt die "Prawda ruskaja" hervor, ein Denkmal des reußischen Kriminal- und Zivilrechts, die altherkömmlichen gesetzlichen Bestimmungen enthaltend, welche die Häupter der einzelnen slawischen Föderativstämme, die den reußischen Staat zusammensetzten, vereinbart hatten. Aus dem 12. Jahrh., in dem sich das geistige Leben des Volkes ziemlich vielseitig entwickelte, stammt die älteste reußische Chronik, die gewöhnlich Nestor, einem Mönch des Höhlenklosters zu Kiew, beigelegt wird; noch wichtiger ist das "Lied vom Heereszug Igors", die Schöpfung eines hochbegabten Dichters; der die Vorbilder der Nationalpoesie mit Glück und Erfolg ausgebeutet hat (s. Igor). Indes gaben um die Mitte des 13. Jahrh. die Einfälle der Mongolen der Entwickelung des intellektuellen und politischen Lebens im jetzigen Südrußland den Todesstoß; zu erwähnen aus dieser Zeit ist nur die Wolhynisch-Haliczer Chronik, die durch poetische Färbung der Sprache sowie durch lebhafte Schilderung der geschichtlichen Ereignisse ausgezeichnet ist.

Eine neue Periode der kleinrussischen Litteratur wurde durch die politische Trennung Südrußlands von Nord- oder Großrußland herbeigeführt, welche dem ganzen geistigen Leben des Volkes eine andre Richtung gab, Schon im Beginn des 14. Jahrh. hatte die Eroberung des südwestlichen Rußland durch die litauischen Fürsten begonnen (Eroberung Kiews 1321), und wenige Jahrzehnte später (1386, unter den Jagellonen) erfolgte die Vereinigung des Fürstentums Litauen mit dem Königreich Polen, die drei Jahrhunderte, bis zur Rückgabe Kiews an Moskau (1686), dauerte. Während dieses Zeitraums erhielt die polnische Kultur einen vorwiegenden Einfluß auf die Weiterentwickelung der kleinrussischen Litteratur. Die Wiedergeburt der klassischen Studien sowie die deutsche Reformation übten insofern eine Einwirkung auf das südwestliche Rußland, als daselbst Bibelübersetzungen und grammatisch-lexikalische Schriften unternommen wurden. Um die reinere Lehre zu verbreiten, unternahm Franz Skoryna aus Polozk eine Übersetzung der Bibel aus der Vulgata in ein kleinrussisches Idiom, das ein Gemisch des weißrussischen Dialekts mit kirchenslawischen Formen und Konstruktionen darstellt, und ließ einzelne Bücher derselben (1517-19) in Prag, andre zu Wilna (1525-28) drucken. Auf dem Gebiet des Sprachstudiums ist das Lexikon von Laurentius Zizanij-Tustanowskij (Wilna 1596) hervorzuheben, worin kirchenslawische Wörter mittels kleinrussischer Ausdrücke und Redeweisen erklärt werden. Unter den übrigen litterarischen Produkten des 16. Jahrh. ist das litauische Statut ("Statut lytowskij") von großer Wichtigkeit, ein Gesetzbuch, das von den polnischen Königen zu gunsten des mit Litauen vereinigten südwestlichen Rußland bewilligt ward und, in drei Redaktionen (1529,1566, 1588) abgefaßt, lange Zeit hindurch (bis 1783) Rechtskraft behielt. Weil aber die Aufklärung des Volkes im 16. Jahrh. von der Geistlichkeit vernachlässigt wurde, so übernahmen kirchliche Laienbrüderschaften die Pflege des Schulwesens. Zuerst befaßten sie sich mit den Werken christlicher Liebe; demnächst erwarben sie die Befugnis, Schulen und