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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kristall

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Kristall (Hemimorphismus, Zwillingskristalle, Kristallometrie etc.).

gonale Säule und Pyramide Fig. 57 (Quarz), während sich Fig. 58 u. 59 (beides Kalkspat) dadurch unterscheiden, daß zum Rhomboeder in Fig. 58 die Säule erster, in Fig. 59 die Säule zweiter Ordnung tritt.

Bei einzelnen Mineralspezies und bei künstlich dargestellten Kristallen stellt sich bisweilen häufiger die Anomalie ein, daß die beiden Enden des Kristalls verschieden entwickelt sind. So tritt in der hexagonalen Kombination des Turmalins (Fig. 60) die Basis nur am untern Ende auf, während das obere rhomboedrisch entwickelt ist. An dem rhombischen Kieselzinkkristall Fig. 61 ist, abgesehen von sonstigen Verschiedenheiten, die Basis am obern Ende entwickelt, während ihre Parallelfläche am untern Ende fehlt. Die Erscheinung, die von der oben geschilderten Hemiedrie wohl zu unterscheiden ist, führt den Namen des Hemimorphismus.

Mehrere Einzelkristalle, seien es einfache Formen oder Kombinationen, können gesetzmäßig verwachsen sein (Zwillinge, Drillinge, Vierlinge; bei noch mehr einzelnen Kristallindividuen spricht man von "fortgesetzter Zwillingsbildung" und "polysynthetischen Kristallen"). Die Gesetzmäßigkeit der Verwachsung liegt in der Möglichkeit, die Fläche, nach welcher sich die Verwachsung vollzogen hat (Zwillingsebene), kristallographisch auf eine in demselben Kristallsystem als Begrenzungselement auftretende Fläche zurückzuführen. So sind in Fig. 62 zwei Oktaeder, beide stark verkürzt, nach einer Oktaederfläche miteinander verwachsen (Magneteisen, Spinell), in Fig. 63 zwei Individuen der oben (vgl. Fig. 55) geschilderten Gipskombination mit einer Fläche des orthodiagonalen Pinakoids. Weil man sich derartige Zwillinge auch so entstanden denken kann, daß ein Individuum nach der Verwachsungsfläche halbiert und dann eine Drehung der beiden Hälften gegeneinander um 180° vorgenommen wurde, nennt man solche Zwillinge auch Hemitropien. Beide Figuren stellen sogen. Juxtapositionszwillinge dar, d. h. die beiden Individuen berühren sich nur, während Fig. 64 (Eisenkies) und Fig. 65 (Fahlerz) Penetrations- oder Durchdringungszwillinge sind, der erstere aus zwei Pentagondodekaedern bestehend (sogen. eisernes Kreuz), der letztere aus zwei Tetraedern zusammengesetzt. Neuere Forschungen haben ergeben, daß mitunter ein K. von durchaus einheitlichem Ansehen aus sehr vielen, gewöhnlich sehr kleinen zwillingsartig verwachsenen Kriställchen (Subindividuen) besteht, die möglicherweise einem ganz andern Kristallsystem angehören, als dasjenige ist, welchem die große Form zugezählt werden muß; man hat solche polysynthetische Kristalle mimetische genannt.

Bei allen Betrachtungen im obigen wurde eine untadelhafte Ausbildung der Kristalle und eine allseitige ebene Begrenzung vorausgesetzt, eine Annahme, die sich in Wahrheit nur sehr selten verwirklicht findet. Es sind vielmehr die natürlichen und künstlich hergestellten Kristalle meist nur mit wenig Flächen entwickelt, sei es, weil sie ausgewachsen sind, sei es, weil sie bei ihrer Bildung sich gegenseitig hinderten. Ferner kommen ganz gewöhnlich Verzerrungen vor; kristallographisch gleichwertige Flächen sind nicht gleich groß, wodurch selbst die Bestimmung des Systems, zu dem der K. gehört, mit Schwierigkeit verknüpft sein kann. Bei allen diesen Abnormitäten bleibt aber Ein Element unberührt und ist deshalb zur Bestimmung und gesamten theoretischen Entwickelung von äußerster Wichtigkeit, das ist die gegenseitige Lage der begrenzenden Flächen und die Winkel, unter denen sie sich schneiden. Daher die enorme Wichtigkeit der Kristallmessung (Kristallometrie), welche sich einer Mehrzahl von Meßinstrumenten bedient (vgl. Goniometer). Als Hilfsmittel, namentlich zu einem vorbereitenden Studium der Morphologie der Kristalle, dienen außer den Kristallen selbst Modelle, die in Pappe, Holz oder auch (um die Achsenverhältnisse und die Ableitung der Hemieder aus den holoedrischen Stammformen zu zeigen) aus Glas hergestellt sind, und Zeichnungen der Kristallgestalten. Hinsichtlich der Methode, die bei der Herstellung der letztern angewandt wird, sei nur erwähnt, daß man sich nicht der gewöhnlichen perspektivischen Projektion bedient, sondern einer andern Methode, nach welcher die in der Natur als Parallellinien vorkommenden Kanten auch im Bild parallel erscheinen, wodurch die Ausdeutung der Formen außerordentlich erleichtert wird.

Der Morphologie der Kristalle (Kristallographie im engern Sinn) wird häufig eine Kristallochemie und eine Kristallophysik an die Seite gestellt. Ein engerer Bezug der äußern Gestaltung zur chemischen Zusammensetzung hat sich außer der allgemeinen Thatsache, daß einer bestimmten chemischen Zusammensetzung auch ein bestimmtes Kristallsystem entspricht, und außer dem Gesetz der Isomorphie (s. d.) bisher nicht auffinden lassen; desto zahlreicher sind die gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Form und physikalischen Eigenschaften. Hierher gehören die Spaltbarkeit (s. d. und unter "Mineralien"), die besondern thermischen und elektrischen Eigenschaften der Kristalle, vor allem aber die optischen Eigenschaften derselben (Kristalloptik), hinsichtlich deren hier (vgl. Doppelbrechung) daran erinnert werden

^[Abb.: Fig. 60 und 61: Hemimorphismus. Fig. 62-65: Zwillinge.]