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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lebensversicherung

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Lebensversicherung (Gegenseitigkeits- und Aktienanstalten, Mortalitätstafeln).

schüsse (Dividenden) bei rationeller Geschäftsführung nicht sofort nach Feststellung der Rechnungsabschlüsse, sondern behalten dieselben mehrere Jahre zurück als Sicherheitsfonds, welcher dann, ebenso wie die Garantie- oder Sicherheitsfonds der Aktiengesellschaften, zu eventueller Deckung unvorhergesehener Verluste durch eine die Berechnung übersteigende Sterblichkeit etc. bereit liegt. Die großen deutschen Gegenseitigkeitsanstalten verteilen die Dividenden erst nach Ablauf von vier oder fünf Jahren und zwar meistens durch ratierliche Anrechnung auf die Prämien. Man unterscheidet demgemäß Brutto- und Nettoprämie. Letztere ist gleich dem Unterschied zwischen der Bruttoprämie und der auf dieselbe entfallenden Dividende. In neuerer Zeit ist von einigen Anstalten die Verwendung der Dividenden zu einer allmählich wachsenden, die Prämien allmählich verringernden, bei guten Resultaten dieselben schließlich völlig ausgleichenden Vergütung eingeführt worden, so daß dabei die Prämien im umgekehrten Verhältnis zu dem mit der Versicherung verbundenen, in der Regel wachsenden Risiko sich verringern. In England werden die Dividenden häufig für die Interessenten wie Sparkassengelder angesammelt, um dann neben der Versicherungssumme als sogen. Bonus ausbezahlt zu werden. Meistens werden Dividenden nur so lange gewährt, als die Versicherung in Kraft ist; einzelne Anstalten geben aber für jede Prämie, welche ihnen bezahlt wurde, also auch über den Tod und das Erlöschen der Versicherung bei Lebzeiten hinaus, die entsprechende Dividende. Neuerdings haben auch je mehr und mehr Aktiengesellschaften, welche man deshalb wohl "gemischte" zu nennen pflegt, die Einrichtung getroffen, daß sie neben Versicherungen zu fester Prämie auch solche abschließen, denen sie von den Überschüssen einen Anteil vergüten.

In den Geschäftsresultaten der Lebensversicherungsgesellschaften zeigt sich eine viel größere Gleichmäßigkeit als in denjenigen fast aller andern Versicherungsinstitute, weshalb das Gegenseitigkeitsprinzip sich besonders bei der L. bewährt hat, so daß die alten großen deutschen Anstalten dieser Art eine ziemlich konstante hohe Dividende verteilen, während freilich der Mangel an einem genügenden Gründungskapital, an Erfahrungen und hinreichendem Versicherungsbestand einige junge Gesellschaften zur Einforderung von Nachschüssen genötigt hat. Der Grund für jene Gleichmäßigkeit der Geschäftsergebnisse liegt darin, daß man in dem Absterben einer großen Anzahl von Menschen, in den Zahlenverhältnissen sowohl der innerhalb der einzelnen Zeitabschnitte, z. B. Jahre, Sterbenden zu den Überlebenden als auch der in den einzelnen Altersjahren Sterbenden zu den Gleichalterigen eine gewisse relativ große Stetigkeit beobachtet, dieselbe in den sogen. Sterblichkeits- (Mortalitäts-) Tafeln statistisch festgestellt und die mittlere Lebensdauer der Menschen sowie die wahrscheinliche Lebensdauer von Personen eines bestimmten Alters zu berechnen gelernt hat, womit für die Berechnung der Lebensversicherungsprämien eine weit festere, wissenschaftlichere Grundlage als für die andrer Versicherungsprämien gegeben ist. Schon zu Ausgang des 17. Jahrh. wurden von einzelnen Gelehrten, zuerst von Halley nach den Totenlisten der Stadt Breslau 1693, Sterblichkeitstafeln berechnet; bei der Ungenauigkeit der Beobachtungen, welche diesen Tafeln zu Grunde liegen, können die letztere indes auf Zuverlässigkeit keinen besondern Anspruch erheben. In der Folge wurde eine große Anzahl von Tafeln veröffentlicht und darunter in neuerer Zeit auch solche, zu denen die Erfahrungen einzelner Lebensversicherungsanstalten selbst benutzt worden waren. Diese letztern Tafeln sind natürlich für Lebensversicherungszwecke die geeignetsten. Die bekannteste derselben ist die sogen. Tafel der 17 englischen Gesellschaften, welche aus den Beobachtungen von 17 englischen Lebensversicherungsgesellschaften durch hervorragende Techniker berechnet ist und darum im Ruf ganz besonderer Zuverlässigkeit steht. Ihrer bedienen sich gegenwärtig wohl die meisten deutschen Gesellschaften. Neuerdings haben sowohl die Gothaer Lebensversicherungsbank für Deutschland als auch der Verein deutscher Lebensversicherungsanstalten nach den Erfahrungen der betreffenden Gesellschaften Sterblichkeitstafeln aufstellen und veröffentlichen lassen. Schon die oberflächliche Betrachtung der Mortalitätstafel zeigt, daß von einer Anzahl gleichalteriger Personen im Durchschnitt während eines gewissen Zeitraums, also z. B. während eines Jahrs, um so mehr sterben, je älter diese Personen sind. Nach der Tafel der 17 englischen Gesellschaften sterben von 1000 vierzigjährigen Personen während des ersten Jahrs 14, von 1000 fünfzigjährigen 16, von 1000 sechzigjährigen 33, von 1000 achtzigjährigen 140. Würden die Gesellschaften von jedem Versicherten in jedem Jahr denjenigen Beitrag fordern, welcher genau der Sterblichkeitsgefahr entspricht, welcher derselbe in dem betreffenden Jahr unterliegt, so würde jeder Versicherte eine von Jahr zu Jahr steigende Prämie zu entrichten haben. Die Lebensversicherungsgesellschaften haben bis auf eine einzige, die Hannöversche, welche jedoch auch ihrerseits wieder davon zurückgekommen ist, dieses für den Versicherten meist lästige System der immer steigenden Prämie nicht angenommen; sie erheben vielmehr an Stelle dieser steigenden Prämie eine Durchschnittsprämie, welche in gleicher Höhe (und zwar in der Regel während der ganzen Versicherungsdauer) fortgezahlt wird. Bei dem System der gleichbleibenden Durchschnittsprämie zahlt der Versicherte in den ersten Jahren seiner Versicherung mehr und in den spätern weniger, als er nach dem System der steigenden Prämie zu zahlen haben würde. Aus den Mehrzahlungen der ersten Jahre, welche die Gesellschaft ansammelt, wird unter Hinzufügung der Zinsen und Zinseszinsen der sogen. Prämienreservefonds (oder kurzweg Reservefonds) gebildet. Tritt dann mit der Zeit der Versicherte in das Lebensalter, für welches die Sterblichkeitsgefahr so groß ist, daß sie durch die Durchschnittsprämie nicht mehr gedeckt wird, so muß zur Ausgleichung des Fehlenden diese Prämienreserve in Anspruch genommen werden. Der Prämienreservefonds dient nicht, wie der Sicherheits- oder Garantiefonds der Versicherungsgesellschaft, oder wie die Reservefonds bei Bank- und Kreditinstituten, als Schutzmittel gegen außergewöhnliche Schäden, sondern vielmehr dazu, der Gesellschaft die Erfüllung von Verbindlichkeiten zu ermöglichen, welche infolge des wachsenden Alters ihrer Versicherten und der dadurch bedingten größern Anzahl von Sterbefällen mit Notwendigkeit (wenn auch erst nach einer Reihe von Jahren) an sie herantreten müssen. So ist also auch die erforderliche Höhe des Prämienreservefonds wissenschaftlich zu berechnen, wofür die erste Methode der Schotte Price aufstellte. Natürlich muß Gleichmäßigkeit in den Sterblichkeitsverhältnissen der Lebensversicherungsgesellschaften im allgemeinen um so sicherer zu erwarten sein, je größer die Anzahl der in Betracht kommenden Personen, der Versicherten, ist.