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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Minnesänger

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Minnesänger.

macht sich ein höfisch-konventioneller Charakter geltend. Nicht immer kommt wirklich erlebte Empfindung zum Ausdruck, sondern stehende Motive werden wieder und wieder vorgeführt. Die Hauptmasse der Dichtungen besteht aus Liebesliedern; ihnen reihen sich religiöse und gnomische Dichtungen an. Daneben finden sich noch Preis- und Klaggesänge beim Anfang oder Abschied der Jahreszeiten, Darstellungen aus dem Dorfleben, Lob- und Straflieder, an einzelne lebende Personen oder an ganze Stände und Geschlechter gerichtet, politische, satirische und allegorische Gedichte, deren meiste sich indes mehr oder weniger nahe mit einer oder der andern jener drei Hauptarten berühren. Stofflich am umfassendsten sind die Dichtungen des größten deutschen Lyrikers im Mittelalter, Walters von der Vogelweide. Was die formelle Gestaltung des Minnegesangs angeht, so sind drei Hauptformen desselben zu unterscheiden: Lied, Leich und Spruch. Während die ältesten Lieder noch zum Teil in der epischen Strophe abgefaßt sind, erscheint in der besten Zeit des Minnegesangs das Lied regelmäßig als ein aus gleichen, dreiteiligen Strophen bestehendes Ganze. Die zwei ersten Teile der Liedstrophe, die sogen. Stollen, sind identisch gebaut, der dritte, der Abgesang, ist in seinem Bau abweichend. Der Leich setzt sich aus ungleichen Strophen zusammen, die in zwei gleiche Teile zerfallen und durch den Sinn nicht immer scharf gesondert sind. Es werden Brautleiche und Hochzeitleiche genannt; dagegen sprechen die Dichter von "minneliet", "brûtliet", "trûtliet", "tageliet" (welches das Scheiden der Liebenden beim Tagesanbruch schildert), "kriuzliet" (Kreuzfahrerlied), "lobeliet", "jageliet", "klageliet" etc. Sprüche endlich heißen Gedichte lehrhaften, reflektierenden Inhalts, einzeln stehende, meist größere mit langen Versen und wohl auch unteilig gebaute Strophen. Die Bezeichnungen "Wort" und "Weise" entsprechen den heutigen Ausdrücken Text und Melodie; letztere oder die Weise wird auch "Ton" genannt. Einen neuen Ton selbständig zu erfinden, war wesentliches Erfordernis für den M.; Aneignung fremder Strophenformen und Weisen galt für Unrecht, und gerade in dieser wunderlichen Anschauung war sowohl der große und ungemeine Formenreichtum der Lyrik des Mittelalters gegenüber der Formenarmut der heutigen als auch die allmählich eintretende Überkünstelung des Minnegesangs notwendig begründet. In innigster Beziehung stand derselbe zur Musik. Die Minnelieder wurden zum Saitenspiel, zu der Fiedel oder Geige gesungen; die "Fahrenden" trugen die Gesänge berühmter Meister von Ort zu Ort. Mit dem ästhetischen Sinken der mittelalterlichen Lyrik und ihrer formellen Verkünstelung aber lockerte sich auch das Verhältnis zwischen ihr und der Tonkunst. Die so eminent ausgebildete Technik des Minnegesangs, die in Feinheit und Strenge des Versbaues und Reims während der Blütezeit eine nie wieder erreichte Vollendung zeigte, setzte natürlich eine kunstgerechte Unterweisung, voraus. Doch war diese nicht eine wirklich schulmäßige; es gab keine eigentlichen Lehrer, keine Schulen des Minnegesangs, sondern die Kunst des Gesangs, der Musik und des Dichtens pflegten die Söhne der Ritter neben den übrigen Gegenständen höfischer Bildung von ihren Erziehern, von Geistlichen oder Spielleuten zu erlernen.

In der Geschichte der Minnedichtung lassen sich drei Entwickelungsepochen unterscheiden. Die erste, etwa 1150 beginnende zeigt die deutsche Lyrik in ihrer Loslösung von epischer Form und Haltung und im Übergang zu kunstmäßiger Gestalt; die zweite umfaßt die glänzende Zeit künstlerischer Vollendung der Minnepoesie; die dritte läßt den Übergang der Kunstlyrik aus den höfischen Kreisen in die bürgerlichen und ihr ästhetisches Herabsinken zu dem nüchternen Formalismus des Meistergesangs (s. d.) wahrnehmen. Der entstehende Minnegesang erklang von Oberösterreich auf die Donau auf und ab; schon gegen 1180 breitet er sich (und gerade um diese Zeit hebt die Glanzepoche der mittelalterlichen Lyrik an und dauert bis gegen die Mitte des 13. Jahrh.) von Südosten her nach dem Niederrhein hin aus, wo der französische Einfluß sich stärker geltend macht. Bald verzweigte sich die neue Kunst ostwärts nach Thüringen und Sachsen, über das Schwabenland, spärlicher nach dem nördlichen Osten. Die Dichter gehören bis auf wenige bürgerliche (auch ein Jude wird unter diesen genannt) dem ritterlichen Stand, meist dem niedern Dienstadel an; aber auch Fürsten übten die edle Kunst des Minnesingens, darunter König Heinrich VI. Es sind uns etwa 300 Namen von Minnesängern und ungefähr von 160 unter denselben Lieder erhalten. Die ältesten der uns bekannten Dichter sind der von Kürenberg und Dietmar von Eist, die sich in ihren einfach-kräftigen, naiven Liedern noch in der epischen Form der Nibelungenstrophe und den altepischen Reimpaaren ergehen. Künstlerisch ausgebildet erscheint der Minnegesang zuerst bei Friedrich von Hausen und Heinrich von Veldeke, die beide noch dem 12. Jahrh. angehören. Neben dem alle überragenden Walter von der Vogelweide stehen als Vertreter der besten Zeit der Minnepoesie: Heinrich von Morungen, Reinmar (der Alte), Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, welch letzterer die sogen. "Tage- oder Wächterlieder" wenn nicht zuerst eingeführt, doch in Schwung gebracht hat, u. a. m. Aus dem Anfang und bis zur Mitte des 13. Jahrh. sind mit Auszeichnung zu nennen: Otto von Botenlauben, Christian von Hamle, Gottfried von Neifen, Schenk Ulrich von Winterstetten, Burkhart von Hohenfels, Reinmann von Brennenberg, Walter von Metz, Hiltbold von Schwanegau, Reinmar von Zweter u. a. Den zur Unnatur und karikierenden Übertreibung ausartenden Frauendienst vertritt in dieser Zeit Ulrich von Liechtenstein. Besondere Erwähnung fordert Neidhart von Reuenthal, der für den Erfinder der sogen. höfischen Dorfpoesie gilt, jedenfalls aber diese am talentvollsten geübt hat. In frischer Eigentümlichkeit und oft derbsinnlicher Lebendigkeit schildern seine Lieder das bäuerliche Treiben seiner Zeit, Tanz und Getümmel, Liebeshändel und Schlägereien auf dem Dorf. Die Spitze formeller Virtuosität und zugleich das Eindringen der Formenverkünstelung in den Minnegesang repräsentiert am deutlichsten Konrad von Würzburg. Aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. endlich möge als Vertreter der die Lyrik in ihren besten Elementen zerstörenden gelehrten Spitzfindigkeit Heinrich von Meißen (Frauenlob genannt) hier erwähnt sein. Die Hauptpflegestätten des Minnegesangs waren die Höfe der österreichischen Herzöge, des Königs von Böhmen, der Grafen von Henneberg, der Markgrafen von Meißen und Brandenburg, das Hoflager der Hohenstaufenkaiser, vor allen aber der Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen, dessen Ruhm besonders Walter von der Vogelweide in hellen Tönen verkündet. Früh wohl wurden die Lieder einzelner Dichter gesammelt, obgleich uns keine derartige Sammlung erhalten ist. Später bildete man aus den Einzelsammlungen größere. Solche sind uns überliefert in der