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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Montenegro

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Montenegro (Bevölkerung, Staatsverhältnisse, Heerwesen).

zum griechisch-orientalischen Kultus bekennen und das Serbische mit größter Reinheit sprechen. In physischer Beziehung zeigt sich ein Unterschied zwischen den blonden Bewohnern der Brda und der übrigen Bevölkerung, die brünett ist. Das geistliche Oberhaupt ist der russische Kaiser; im Land besitzt der Metropolit (Vladika) Mitrofan Ban, dessen Sitz Cetinje ist, die höchste geistliche Würde. Haupt der Katholiken ist der katholische Bischof von Antivari. Drei Archimandriten, 30 Mönche und 200 Popen bildeten bisher den Klerus, welcher übrigens gleich allen andern Land bestellt und in den Krieg zieht. Die Montenegriner sind ein ungemein kräftiges, kriegerisches und abgehärtetes Naturvolk, dessen Bildung zwar noch auf ziemlich tiefer Stufe steht, welches jedoch dafür auch eine große Anzahl Tugenden besitzt. Außerdem haben sie so bedeutende Naturanlagen, daß sie binnen kurzer Zeit sich leicht gänzlich zivilisieren können. In der That hat selten ein Volk in 25 Jahren solche Fortschritte in der Kultur gemacht wie die Montenegriner. Auch der Schulbesuch nimmt in raschen Dimensionen zu, die Alten beginnen sich ihrer Unwissenheit zu schämen, und während bis in die jüngste Zeit der Montenegriner Arbeit für eine Schande hielt, ist dieses Vorurteil bis auf die Bevölkerung der "Hauptstadt" ganz geschwunden, und es arbeitet jetzt auch der Mann, zumal da M. infolge der neuen Grenzbestimmungen auch etwas fruchtbares Land erhält, das den Anbau lohnt, während früher kaum ein Zehntel des Areals anbaufähig war. Tausende von Montenegrinern gingen daher ins Ausland (s. oben), um dort ihr Brot zu verdienen. Auch die bisher sklavische Stellung des Weibes wird sich ändern müssen, je mehr die Kultur in M. einzieht. Bisher lastete alle Arbeit auf den Schultern des Weibes, das infolgedessen bald alterte und häßlich wurde, wodurch es sehr von den schönen, großen Montenegrinern abstach. Die Nahrung der Montenegriner ist sehr armselig; Fleisch essen nur die Wohlhabenden, und als solche gelten schon diejenigen, deren jährliche Einkünfte 400 Gulden betragen. Die Häuser sind von Stein, enthalten gewöhnlich nur ein bis zwei Gemächer, in denen Mensch und Vieh durcheinander liegt und sich von dem Rauch des Herdes anräuchern läßt. Alles ist noch patriarchalisch; der Familienälteste führt die Regierung über die ganze Familie, die, weil alle stets beisammen bleiben, oft 50, 100-300 Köpfe stark ist. Mehrere Familien bilden eine Brüderschaft (bratstvo), mehrere derselben ein Dorf (selo) oder einen Stamm (pleme), deren mehrere eine Nahija formieren, von denen es acht gibt. In jetziger Zeit machen die Stämme den Kapetanijen Platz, deren bisher 45 existierten, von denen jedoch drei mit andern unter Einem Kapetan vereinigt waren.

Urproduktion, Industrie und Handel befinden sich noch auf der niedrigsten Stufe. Die Montenegriner leben hauptsächlich von der Viehzucht. Es werden jährlich 160,000 Hämmel und 30-35,000 Ziegen über Cattaro allein ausgeführt. Andre Ausfuhrartikel sind: Käse (4000 Doppelzentner), Fische (50,000 Gulden jährlich), geräuchertes Hammelfleisch, Rindvieh, Sumachholz, Wolle, Häute, Honig, Wein und Obst. Der Viehstand betrug bisher 350,000 Schafe und Ziegen, 60,000 Rinder, 8000 Schweine, 3000 Pferde, 30,000 Bienenstöcke. Die Weinproduktion erhob sich auf 12,000 Eimer. Die Zahl der bestellten Äcker betrug 75,000, jene der Wiesen 24,000. Die Gewerbe befinden sich in der Hand von Ausländern, größtenteils Albanesen. Die Ausfuhr dürfte sich auf 2 Mill. Guld. belaufen; die Einfuhr ist sehr gering und beschränkt sich auf Getreide, Munition und Luxusartikel. Vom Werte der Waren werden 4 Proz. Zoll erhoben. Fahrstraßen waren bis jetzt bloß in einer Länge von sieben Stunden vorhanden, sonst gibt es nur elende Reit- und Fußstege. Telegraphenlinien existieren in einer Länge von 444 km mit 15 Stationen. Das Postwesen wird seitens der österreichischen Regierung besorgt, welche in Cetinje einen Postdirektor hält. 1887 bildete sich in Antivari die "Fürstlich montenegrinische Dampfschiffahrts-Aktien-Gesellschaft", welche eine regelmäßige Verbindung zwischen M. und Dalmatien, Triest und Italien sowie zwischen der Küste und dem Skutarisee herstellen will. Das Schulwesen steht bereits auf einer erfreulichen Stufe. Die erste Schule war 1834 gegründet worden, zwei andre folgten in den 50er Jahren nach. Heute besitzt M. ein Lehrerseminar (mit 25 Schülern), ein höheres Mädcheninstitut (mit 30 Schülerinnen) und 71 Volksschulen (mit 3000 Schülern und 300 Schülerinnen). Das Lehrpersonal zählt gegen 100 Personen. In Cetinje befindet sich eine Druckerei, welche die Lehrbücher druckt.

Was die Staatsverhältnisse betrifft, so war M. in den ältesten Zeiten ein absolutes Fürstentum, erst in der Familie Balscha, dann in der Familie Tzrnojewitj erblich und wurde dann (1516) ein theokratischer Staat, welcher vom Vladika, dessen Gouverneur (upravitelj) und der Volksversammlung (skupschtina) regiert wurde. 1853 erklärte Fürst Danilo I. ausdrücklich M. zu einem erblichen, absoluten Fürstentum nach dem Rechte der männlichen Erstgeburt in der Familie Petrovitj-Njegosch. Neuerdings ist ein Ansatz zum Konstitutionalismus gemacht worden. Der Fürst, der auch den Titel "Gospodar" führt, hat eine Zivilliste von etwa 100,000 Gulden. Die Regierung kommt dem Fürsten zu, welcher über Krieg und Frieden entscheidet, Verträge schließt und das Recht über Leben und Tod hat, jedoch nicht gegen den Willen des Volkes handeln darf, dessen Ausdruck die Große Skupschtina ist, welche zu besuchen jeder großjährige Montenegriner das Recht hat. Sie wird nur in den äußersten Fällen einberufen; gewöhnlich begnügt man sich mit der Kleinen, auf welcher sämtliche Glavari ("Vornehme", also Woiwoden, Serdars und Knjeze, Kapetane und Starjeschinas) erscheinen dürfen. Der Staatsrat besteht aus einem Präsidenten und drei Mitgliedern und steht dem Fürsten ratend zur Seite. Im März 1879 wurde das erste verantwortliche Ministerium (aus sechs Ministern: für Justiz und das fürstliche Haus, Inneres, Handel und Bauten, Äußeres, Krieg, Finanzen, Kultus und Unterricht) gebildet. Die Einnahmen Montenegros beliefen sich in der letzten Zeit auf ca. 600,000 Guld. aus Grund- und Viehsteuer, Salzmonopol, Zöllen und der russischen Subvention. Die Ausgaben sind geringer, aber nicht genau bekannt. Der Überschuß wird für außerordentliche Ausgaben verwendet, z. B. Straßenbau, Heeresbedürfnisse etc. Was die Armee anlangt, so ist jeder Montenegriner von seinem 10. Lebensjahr bis zu seinem Tod wehrpflichtig. Vom 17.-50. Jahr dient er im ersten Aufgebot, vom 50.-60. im zweiten Aufgebot, die übrigen Altersklassen im dritten; die ersten beiden Aufgebote bilden die Feldarmee. Das erste Aufgebot sollen 32 Infanteriebataillone, jedes zu 8 Kompanien, 4 Eskadrons (400 Pferde), 6 Gebirgs- und 9 Feldbatterien zu je 4 Geschützen und eine Pionierkompanie bilden, die Gesamtstärke beträgt 30,000 Mann; das zweite Aufgebot soll in 12 Bataillonen, einer Eskadron und 12 Batterien rund 11,000 Mann