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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1748-1780).

Stände zur Erfüllung der landesherrlichen Befehle bewogen. Als Zentralbehörde ward ein Staatsrat eingesetzt, die österreichische und die böhmische Hofkanzlei vereinigt., die bisher ständischen Beamten in staatliche verwandelt. Die Justiz wurde wenigstens in den obern Instanzen von der Verwaltung getrennt und ein neues Strafgesetz erlassen, welches viele Härten milderte und die Tortur abschaffte (1776). Die von der Hofkammer verwalteten Finanzen wurden durch Vereinfachung der Verwaltung gebessert, die Einnahmen durch neue Zölle, Steuern und Monopole von 20 Mill. (1745) auf 40 (1754), ja auf 54 Mill. (1773) vermehrt. Dennoch verschlangen die Kriege so ungeheure Summen, daß die öffentliche Schuld immer noch 250 Mill. betrug. Auch die Freigebigkeit Maria Theresias überschritt oft die verfügbaren Mittel, und das jährliche Defizit betrug 8-10 Mill. Das Heerwesen, dessen oberste Leitung der Hofkriegsrat behielt, wurde nach preußischem Muster reorganisiert und der Friedensstand der Armee auf 108,000 Mann mit einem jährlichen Erfordernis von 14 Mill. festgesetzt. Die drückende Lage der bäuerlichen Bevölkerung wurde erleichtert, die Robotpflicht 1775 erheblich herabgesetzt, dagegen die Steuerfreiheit der Grundherren aufgehoben. In kirchlicher Beziehung wurde die Herrschaft der römisch-katholischen Kirche als Staatsreligion aufrecht erhalten und den Nichtkatholiken kaum Duldung gewährt. Den Jesuitenorden hob Maria Theresia 1773 auf, nachdem der Papst ihn aufgelöst hatte. Die Universitäten wurden in Staatsinstitute umgewandelt und reorganisiert, der Gymnasialunterricht reformiert und die Volksschule als wichtigste Erziehungs- und Bildungsanstalt geschaffen (1774). Doch bezogen sich diese Reformen nur auf die österreichisch-böhmischen Lande. Ungarn, Belgien und die Lombardei nahmen in allen diesen Dingen eine Sonderstellung ein.

Unterbrochen wurde diese Reformthätigkeit durch den Siebenjährigen Krieg (s. d., 1756-63). Maria Theresia glaubte stark genug zu sein, ihren unversöhnlich gehaßten Feind Friedrich II. zu demütigen und Schlesien wiederzugewinnen; sie rechnete hierbei auf die Hilfe Rußlands, Schwedens, Sachsens und Englands. Als letzteres sich mit Preußen verbündete, that sie einen entscheidenden Schritt: sie schloß 20. April 1756 ein Bündnis mit Frankreich, welches dem mehr als zweihundertjährigen Antagonismus zwischen dem Haus Österreich und Frankreich ein Ende machte. Österreich wollte den Krieg gegen Preußen erst 1757 beginnen, doch kam dieses mit dem Einfall in Sachsen und Böhmen 1756 zuvor. Die Schlacht bei Kolin setzte dem Siegeslauf des Preußenkönigs ein Ziel, und auch im weitern Verlauf des Kriegs bewährte das österreichische Heer seine erhöhte Kriegstüchtigkeit und errang unter hervorragenden Feldherren noch mehrere Siege. Aber Friedrich II. zeigte sich schließlich seinen zahlreichen Feinden und allen Wechselfällen des Schicksals gewachsen. Auch Österreichs Hilfsquellen, besonders die Finanzen, waren endlich erschöpft, und Maria Theresia mußte im Hubertusburger Frieden (15. Febr. 1763) auf Schlesien endgültig verzichten. Die ungeheuern Opfer an Geld und Menschen waren vergeblich gebracht. Nicht zu unterschätzen war die moralische Einbuße, welche Österreich durch den Siebenjährigen Krieg erlitt. Es hatte sich mit fremden Mächten, namentlich dem Erbfeind Frankreich, zur Zertrümmerung eines deutschen Staats, zur Auslieferung deutschen Gebiets (Pommerns und Ostpreußens) an das Ausland (Schweden und Rußland) verbunden, aus eroberungssüchtigem Ehrgeiz Deutschland der Verheerung durch fremde Truppen preisgegeben und dadurch die Sympathien verscherzt, welche es sich als Verteidiger der deutschen Grenzen früher im Volk erworben. Besonders die protestantische Bevölkerung Deutschlands sah jetzt in Friedrich II. ihren Nationalhelden.

Nicht lange nach dem Frieden, 18. Aug. 1765, starb Maria Theresias Gemahl, Kaiser Franz I. (1745-65), der erste aus dem habsburg-lothringischen Haus. Ihm folgte als Kaiser der älteste Sohn, Joseph II. (1765-90), den Maria Theresia 8. Dez. 1765 auch zum Mitregenten für Österreich ernannte; sie überließ ihm die Leitung des Militärs und der Finanzen, räumte ihm aber auch auf die auswärtige Politik einen erheblichen Einfluß ein. So geschah es, daß die Kaiserin, obwohl jedem neuen Ländererwerb und namentlich jeder kriegerischen Verwickelung persönlich abgeneigt, es geschehen ließ, daß sich Österreich 1772 an der ersten Teilung Polens beteiligte und bei derselben Galizien und Lodomerien (100,000 qkm) erwarb, wozu 1775 noch die von der Türkei abgetretene Bukowina kam. Joseph II. nahm auch den Plan der Erwerbung Bayerns wieder auf (s. Bayrischer Erbfolgekrieg), indem er nach dem Erlöschen der bayrischen Wittelsbacher mit dem Tode des Kurfürsten Maximilian III. Joseph (30. Dez. 1777) sofort mit dessen Erben, Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, 3. Jan. 1778 einen Vertrag schloß, der Österreichs Ansprüche auf den größten Teil von Niederbayern, Mindelheim und die böhmischen Lehen anerkannte. Österreich wäre damit die einzig gebietende Macht in Süddeutschland geworden, zumal Joseph auch die übrigen Länder Bayerns durch Verträge zu erwerben hoffte. Friedrich II. war aber entschlossen, eine solche Vergrößerung Österreichs in Deutschland um keinen Preis zu dulden, veranlaßte den nächsten Erbberechtigten, den Herzog Karl von Zweibrücken, gegen den Vertrag vom 3. Jan. zu protestieren, und als dessenungeachtet Joseph die abgetretenen Gebietsteile besetzte und die Räumung verweigerte, rückte er 1778 in Böhmen ein. Der Krieg, in welchem weniger gekämpft als demonstriert wurde, endete mit dem Frieden von Teschen (13. Mai 1779), in welchem Joseph II. sich mit der Erwerbung des Innviertels begnügen mußte. Ein Jahr darauf, 29. Nov. 1780, starb Maria Theresia. Sie hinterließ einen Staat von 600,000 qkm mit 24 Mill. Einwohner in bedeutend besserm Zustand, als sie ihn 1740 übernommen hatte. Nicht bloß die Einheit und Kraft des Staatswesens waren gewachsen, auch in wirtschaftlicher Beziehung waren Fortschritte gemacht worden: Industrie und Handel nahmen einen bedeutenden Aufschwung. Die deutsche Aufklärung brach sich in Österreich Bahn und befreite es von dem geistigen Druck, der seit der Gegenreformation ertötend auf ihm gelastet hatte. In Wissenschaft, Litteratur und Kunst gewann man wieder Fühlung mit dem Reich, mit Deutschland.

Österreich unter Joseph II.

Kaiser Joseph hatte mit wachsender Ungeduld zusehen müssen, wie seine Mutter an hochkirchlichen und aristokratischen konservativen Grundsätzen festhielt und weitergehende Reformen ablehnte. Als alleiniger Regent (1780-90) wollte er, "von Fanatismus für das Wohl des Staats erfüllt", die Umgestaltung des Staats nach seinen philosophischen Anschauungen möglichst rasch und möglichst gründlich durchführen. "Die Monarchie muß eine einzige, in allen Einrichtungen und Lasten gleiche Provinz bilden", schrieb er; in den verschiedenen Völkern sah er