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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1848).

fiel in lauter nationale Gruppen. Von Bedeutung war, daß nicht weniger als 94 Bauern, darunter viele Ruthenen, in den Reichstag gewählt worden waren. Handelte es sich doch für den Bauernstand um die Aufhebung des drückenden Unterthänigkeitsverhältnisses und die Abschüttelung der Feudallasten (Robote), welche zwar meist thatsächlich erfolgt, aber nicht gesetzlich sanktioniert waren. Der dahin gehende Kudlichsche Antrag vom 26. Juli wurde vom Reichstag sofort beraten und 7. Sept. die Freiheit des Grund und Bodens beschlossen, ein bemerkenswerter Fortschritt, der auch nie zurückgenommen worden ist.

Inzwischen hatte die Regierung in den Provinzen wieder etwas an Ansehen und Kraft gewonnen. Ein Aufstand, der im Anschluß an den Slawenkongreß 12. Juni in Prag ausbrach, wurde von Windischgrätz niedergeschlagen und damit den tschechischen Bestrebungen nach Selbständigkeit Böhmens ein Ende gemacht. Radetzky, der sich im Festungsviereck behauptet hatte, brach im Juli aus demselben hervor, besiegte 23. Juli bei Sommacampagna und 25. Juli bei Custozza die sardinische Armee und rückte wieder in Mailand ein. Infolge des Waffenstillstandes von Vigevano (9. Aug.) räumten die Sardinier das Lombardisch-Venezianische Königreich, und nur Venedig blieb unbezwungen. Unter diesen Umständen kehrte der kaiserliche Hof von Innsbruck nach Wien zurück, wo er 12. Aug. unter lebhaftem Jubel des Volkes seinen Einzug hielt. Doch war die Stimmung des niedern Volkes in Wien infolge der Stockung aller Geschäfte und alles Verkehrs und der Abwesenheit der reichen Familien und Fremden eine verzweifelte geworden, die sie demagogischen Aufreizungen zugänglich machte. Als der Minister Schwarzer 21. Aug. den Tagelohn für die auf Staatskosten beschäftigten Arbeiter herabsetzte, brach ein Arbeiterkrawall aus, der zwar mit Waffengewalt unterdrückt wurde, dem aber wenige Wochen später (13. Sept.) ein zweiter folgte. Die Aufregung stieg infolge der Ereignisse in Ungarn. Im September begann der Banus von Kroatien, Jellachich, insgeheim vom Wiener Hof aufgemuntert, den Krieg gegen die Magyaren. Der ungarische Reichstag schickte, um hierüber Beschwerde zu führen, eine Deputation an den Reichstag und das Volk von Wien, welche zwar von der slawischen Mehrheit des Reichstags nicht vorgelassen, von der Wiener Demokratie aber mit offenen Armen aufgenommen wurde, da dieselbe erkannte, daß die Unterwerfung der Ungarn ihren eignen Untergang nach sich ziehen müsse. Als die Ermordung des Grafen Lamberg in Pest (28. Sept.) den Bruch zwischen Österreich und Ungarn unvermeidlich gemacht hatte und die Truppen an der ungarischen Grenze zusammengezogen wurden, suchten die Demagogen die Truppen zur Widersetzlichkeit aufzureizen. Wirklich weigerte sich 6. Okt. ein Grenadierbataillon, nach Ungarn abzumarschieren, und als sein Widerstand durch andre Truppen gebrochen werden sollte, entspann sich an der Taborbrücke zu Wien zwischen den Truppen, der Nationalgarde und dem Volk ein Kampf, in welchem letztere den Sieg behaupteten. Bei der Unthätigkeit und Kopflosigkeit der Behörden verbreitete sich der Aufruhr in das Innere der Stadt, der Kriegsminister Graf Latour wurde im Hofkriegsratsgebäude aufgespürt, aus seinem Versteck hervorgezogen, grausam ermordet und an einem Laternenpfahl aufgehängt. Ein Angriff auf das Zeughaus versorgte die aufrührerischen Massen mit Waffen, und als die Nacht hereinbrach, waren sie Herren der Stadt. Der Reichstag nahm die Vermittelung zwischen dem Hof und dem Aufstand in die Hand und verlangte vom Kaiser Einstellung des Kampfes, Amnestie und ein volkstümliches Ministerium. Fast wider Erwarten kam aus Schönbrunn die Nachricht, daß diese Forderungen gewährt seien, am Morgen des 7. Okt. aber die weitere, daß der Kaiser unter militärischer Bedeckung nach Olmütz gereist sei. Ein zurückgelassenes Manifest verurteilte das Vorgefallene aufs schärfste und rief die Völker Österreichs zum Kreuzzug gegen die Revolution auf. Das Ministerium löste sich auf, viele Abgeordnete verließen den Reichstag.

Auf die Kunde von den Wiener Ereignissen rückte Jellachich sofort gegen Wien, und der Befehlshaber der kaiserlichen Truppen daselbst zog ihm entgegen. Gleichzeitig schickte Fürst Windischgrätz, der schon im Sommer vom Kaiser zum Oberbefehlshaber des ganzen kaiserlichen Heers außer dem Radetzkyschen in Italien ernannt worden war, von Prag aus Streitkräfte gegen Wien und verhängte 20. Okt. Belagerungszustand und Standrecht über die Stadt. In Wien, wo es außer dem neugebildeten Gemeinderat an jeder Behörde fehlte, war die Bevölkerung, von der 100,000 Menschen geflohen waren, zu einer entschlossenen Gegenwehr wenig geneigt. Aber alle Versuche der Vermittelung und Versöhnung wurden vom Hof in Olmütz und von Windischgrätz zurückgewiesen. So fiel die Leitung der Dinge dem Zentralausschuß der demokratischen Vereine zu, der den ehemaligen Leutnant Messenhauser zum Oberkommandanten der Stadt ernannte. Ihm schlossen sich internationale Revolutionäre an, von denen der fanatische Pole Bem den Oberbefehl über die mobilen Truppen übernahm. Die Frankfurter Parlamentsmitglieder R. Blum und Fröbel, welche eine Zustimmungsadresse der Frankfurter Linken überbrachten, ermunterten die Wiener zum Widerstand. Auch rechnete man auf den Beistand der Ungarn, welche schon die Leitha überschritten hatten. Als Windischgrätz' Forderungen, Entwaffnung und Auslieferung Bems, Pulszkys, der Mörder Latours u. a., nicht erfüllt wurden, schritt derselbe 26. Okt. zum Angriff zunächst auf die Vorstädte, 28. Okt. auf die Stadt selbst, die sich 30. Okt. auf Gnade und Ungnade ergeben mußte. Schon war man mit der Ausführung der Kapitulation beschäftigt, als der Kanonendonner die Ankunft der so lange vergeblich erwarteten Ungarn ankündigte und der Kampf von Messenhausers Adjutanten Fenner v. Fenneberg erneuert wurde. Doch die Ungarn wurden bei Schwechat von Jellachich geschlagen und das planlos verteidigte Wien 31. Okt. abends von Windischgrätz erobert. Messenhauser, die Litteraten Becher und Jellinek sowie R. Blum wurden erschossen, viele andre von den Kriegsgerichten zu Kerkerstrafen verurteilt. Die Bevölkerung, welche sich die Herrschaft der Aula und des Pöbels ruhig hatte gefallen lassen, unterwarf sich kriechend der siegreichen Soldateska und unterstützte deren Rachewerk durch Denunziationen.

Die Reaktion.

Nach der Niederwerfung des Aufstandes in der westlichen Reichshälfte wurde Fürst Felix Schwarzenberg an die Spitze eines neuen Ministeriums gestellt, welches die Monarchie wieder aufrichten sollte, und der Reichstag unter Bestätigung seiner vor dem 6. Okt. gefaßten Beschlüsse zum 22. Nov. nach Kremsier berufen. Kaiser Ferdinand legte 2. Dez. 1848 die Krone nieder, und Franz Joseph I. übernahm im Alter von 18 Jahren die Herrschaft, in der Hoffnung, wie seine Proklamation sagte, "daß es ihm gelingen werde, alle Länder und Stämme der Monarchie zu