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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1877-1879).

Deputation der Softas im April 1877 nach der russischen Kriegserklärung den Magyaren Gelegenheit, ihren türkischen Sympathien stürmischen Ausdruck zu verleihen, und die russischen Niederlagen im Sommer 1877 wurden dort mit Flaggen und Illumination gefeiert. Andrássy ließ in den Kammern beider Reichshälften dem gegenüber erklären, daß das Hauptziel seiner Politik sei, eine europäische Komplikation zu vermeiden, daß er aber bei der definitiven Gestaltung der Dinge im Orient den der Lage und den Interessen der Monarchie entsprechenden Einfluß unter allen Umständen geltend machen werde.

Die unerwarteten Erfolge der Russen im Winter 1877-78, ihr unaufhaltsames Vordringen in Rumelien, endlich der Waffenstillstand von Adrianopel, wodurch Rußland Herr der Balkanhalbinsel wurde, machten allerdings alle die Voraussetzungen zu nichte, unter denen Andrássy sich Anfang 1877 zur Neutralität verstanden hatte. Er regte daher bei den Mächten die Berufung einer Konferenz über die Orientfrage an, welche überall Anklang fand. Gleichzeitig forderte er aber im Februar 1878 von den Delegationen eine Anleihe von 60 Mill. Gulden, durch welche die Mittel für eine eventuelle kriegerische Aktion bereit gestellt wurden, und angesichts des Friedens von San Stefano, der die österreichischen Besorgnisse steigerte, ward sie bewilligt. Auf dem Berliner Kongreß vertrat Andrássy selbst nebst Graf Károlyi und Baron Haymerle die Interessen Österreich-Ungarns und erlangte 29. Juni die Bestätigung des ihm schon von Rußland gemachten Zugeständnisses, Bosnien und die Herzegowina besetzen und in Verwaltung nehmen zu dürfen. Doch ward im Berliner Frieden vom 13. Juli über die Modalitäten der Okkupation und Verwaltung eine besondere Konvention zwischen Österreich und der Pforte vorbehalten. Da der Abschluß derselben sich verzögerte, weil der Sultan auf dem Vorbehalt seiner Souveränität bestand, so rückten die Österreicher ohne Konvention als "Freunde", wie die Proklamation besagte, 29. Juli in drei Divisionen unter General Philippovich in Bosnien und der Herzegowina ein, im Vertrauen darauf, daß weder die Behörden noch die Bevölkerung irgend welchen Widerstand leisten würden. Dies erwies sich jedoch als verhängnisvoller Irrtum. In Sarajewo brach bei der Kunde vom Einmarsch ein Aufstand der mohammedanischen Bevölkerung aus, die türkischen Behörden wurden beseitigt, und ein kühner Abenteurer, Hadschi Loja, stellte sich an die Spitze der Empörer und rief alle Bewohner Bosniens zu energischem Widerstand gegen die fremden Eroberer auf. Die Österreicher stießen daher auf hartnäckigen Widerstand, den sie erst nach Aufbietung sehr bedeutender Streitkräfte (drei Armeekorps) und teilweise unglücklichen, verlustreichen Gefechten überwinden konnten. Sarajewo wurde 19. Aug. erstürmt und bis Ende September beide Provinzen besetzt. Mit der Pforte ward 21. April 1879 eine Konvention abgeschlossen, in welcher jene die Okkupation Bosniens und der Herzegowina sowie des Sandschaks Novipasar so lange anerkannte, bis sie die Kosten derselben zurückerstattet habe, aber sich die Souveränität vorbehält. Die neuen Provinzen wurden dem gemeinsamen Zollgebiet einverleibt und ihre Verwaltung dem Reichsfinanzminister übertragen.

Die bedeutenden Opfer und Kosten (62 Mill.) der Okkupation riefen sowohl in Österreich als in Ungarn große Unzufriedenheit hervor. Aber während die Magyaren, dem Rate Tiszas folgend, ihre Mißstimmung unterdrückten und die Kosten und Einrichtungen der Okkupation genehmigten, um sich die Gunst des kaiserlichen Hofs und die Zustimmung zur nationalen Organisation ihres Staats zu sichern, griffen die Führer der Verfassungspartei, Herbst und Giskra, sowohl in der Presse als im Reichsrat die Regierung wegen ihrer Orientpolitik aufs heftigste an, fanden die Okkupation im Auftrag Europas unwürdig und einen Krieg mit Rußland vorzuziehen. Sie erschütterten hierdurch die Stellung des Ministeriums Auersperg so, daß dieses seine Entlassung forderte, die der Kaiser 6. Okt. 1878 annahm. Noch wünschte der Kaiser keinen Systemwechsel und beauftragte daher den bisherigen Finanzminister, v. Pretis, mit der Bildung eines neuen cisleithanischen Kabinetts. Da Pretis die Okkupation aber nicht ungeschehen machen konnte und wollte, fand sein Programm keine Gnade vor den Augen der Liberalen, und er verzichtete auf das Ministerium. Auersperg führte vorläufig die Regierung weiter. Obwohl die Opposition gegen den Berliner Vertrag und die Okkupation um so verkehrter war, als sie keinen Erfolg haben konnte und die Österreicher allein auch gar nicht das Recht hatten, die auswärtige Politik der Monarchie zu bestimmen, so beschloß doch der Budgetausschuß des Abgeordnetenhauses 30. Okt. auf Giskras Antrag, auf die Vorlage der Regierung wegen Bewilligung von 25 Mill. für die Okkupationskosten gar nicht einzugehen, sondern die Regierung aufzufordern, den Berliner Vertrag, der eigentlich schon vor der Okkupation hätte vorgelegt werden sollen, nunmehr ungesäumt dem Reichsrat zur verfassungsmäßigen Behandlung vorzulegen. Sturm beantragte eine Adresse, die 5. Nov. unter heftigen Reden angenommen wurde und die Okkupation vom politischen und finanziellen Gesichtspunkt aus tadelte. Herbst und Giskra setzten die Opposition in den Delegationen fort, aber ohne Erfolg. Auch die österreichischen Delegierten genehmigten die Okkupationskosten, da ein Teil der Verfassungstreuen Andrássys Orientpolitik billigte. Völlig zersprengt wurde die bisherige Verfassungspartei im Januar 1879, als sie nicht bloß die Verwerfung oder Mißbilligung des inzwischen vorgelegten Berliner Vertrags, sondern auch die Ablehnung der Verlängerung des Wehrgesetzes und die Bewilligung der provisorischen Steuererhebung für 1879 nur für einen Monat beantragte. Alle diese Anträge wurden abgelehnt; nur 112 Abgeordnete verharrten bei der Opposition. Das ganze Verhalten der bisherigen Mehrheit, welche wichtige Lebensinteressen der Monarchie in hartnäckiger Verbindung verkannte, mußte den Kaiser und die Armee entfremden und sie in die Arme der Föderalisten und Ultramontanen treiben, welche die Okkupation als eine glorreiche That feierten, welche Österreichs Großmachtstellung wahre, und alle Mittel bereitwillig gewährten.

Mitte Februar 1879 beauftragte der Kaiser den Grafen Taaffe mit der Bildung eines neuen Ministeriums, indem dieser selbst das Innere, Stremayr den Vorsitz übernahm. Auersperg und Unger schieden aus, die übrigen Minister blieben vorläufig. Hierauf wurde 22. Mai 1879 das Abgeordnetenhaus aufgelöst und Neuwahlen angeordnet. Bei diesen, welche im Juni und Juli stattfanden, verlor die Verfassungspartei infolge des Abfalls des mährischen und böhmischen Großgrundbesitzes 30 Sitze und sank auf 132 Mitglieder, während die Rechte und die Slawen 181 Mitglieder zählten. Jetzt löste sich das verfassungstreue Ministerium ganz auf, indem Glaser, Pretis, Chlumecky und Mannsfeld ausschieden; Taaffe ward 12. Aug. zum Ministerpräsidenten ernannt und berief den