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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Polen

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Polen (Geschichte bis 1170).

Geschichte Polens.

(Hierzu die "Geschichtskarte von Polen".)

Gründung des Reichs und Herrschaft der ersten Piasten.

Nach der sagenhaften Überlieferung gründete Piast, ein Bauer aus Kruswitz in Kujavien, um 840 die Dynastie, welche über das zwischen Warthe, Weichsel und Netze in Großpolen wohnende slawische Volk der Polen (Polänen, Lechen) herrschte. Doch ist das Reich wahrscheinlich durch die Eroberung eines polnischen Stammes entstanden, welcher in demselben sodann als zahlreicher Adel (Szlachta) eine herrschende Stellung einnahm und allein das Recht, Waffen zu tragen, hatte. Ihm unterthan war der Bauernstand, der teils aus Vollfreien oder nur persönlich Freien, dinglich aber Unfreien (Kmeci, Kmetones), teils aus persönlich und dinglich Unfreien (glebae adscripti) bestand. Die Bauern lebten in Schutzdistrikten (vicinia, opole) vereinigt, welche zu gemeinsamer Leistung öffentlicher Dienste, namentlich für den Fürsten, verpflichtet und für vorgefallenen Mord gemeinschaftlich verantwortlich waren; ein Kastellan, der auf seiner Burg (Grod) saß, vertrat den Fürsten in Verwaltung und Rechtsprechung. Über den Kastellanen standen anfangs Teilfürsten (in den Landschaften Posen, Kalisch, Sieradz, Lentschiza und Kujavien), später die Palatine oder Woiwoden.

Der vierte Piast, der Überlieferung nach Mieczyslaw (Miesko), ward 963 vom deutschen Markgrafen Gero unterworfen; er ward Lehnsmann des Kaisers und mußte Tribut zahlen. Um 965 nahm derselbe das römisch-katholische Christentum an, und deutsche Priester gründeten das erste, dem Magdeburger Sprengel angehörige Bistum Posen. Sein Nachfolger Boleslaw I. Chrobry (der Kühne, 992-1025) beseitigte durch Gewalt seine Miterben, eroberte Pomerellen mit Danzig und riß bei Gelegenheit eines Thronwechsel in Böhmen die südpolnischen Provinzen Krakau und Sandomir (Kleinpolen) sowie Schlesien an sich. Während er mit Kaiser Otto III., der durch Errichtung des Erzstifts Gnesen P. von dem Metropolitanverband mit Magdeburg löste, in gutem Einvernehmen gestanden, fiel er nach dessen Tod in das Deutsche Reich ein, um die unter dessen Herrschaft stehenden slawischen Reiche und Stämme seiner Botmäßigkeit zu unterwerfen; 1002 erwarb er die Lausitz, 1003 Böhmen. Kaiser Heinrich II. vermochte ihn trotz mehrerer Feldzüge gegen P. nicht zu unterwerfen und mußte im Frieden von Bautzen 1018 seine Unabhängigkeit anerkennen. Böhmen konnte Boleslaw freilich nicht behaupten, und auch seine Kriegszüge gegen die Russen, auf denen er bis nach Kiew vordrang, verschafften ihm nur den Besitz der sogen. czerwenischen Städte (Rotrußland). Die Verbreitung des Christentums, selbst mit grausamer Härte gegen die Widerstrebenden, ließ er sich sehr angelegen sein, und mit Zustimmung des ihm sehr geneigten Klerus nahm er gegen Ende seines Lebens 1025 den Königstitel an.

Sein Sohn und Nachfolger Mieczyslaw (Miesko) II. (1025-34) vertrieb, um Alleinherrscher zu sein, seinen Bruder Otto, der erst zu den Russen, dann zu den Deutschen flüchtete. Nun fielen von allen Seiten die Feinde in P. ein; die Dänen entrissen ihm Pomerellen, die Ungarn die Slowakei, die Russen die czerwenischen Städte. Mieczyslaw richtete alle seine Kräfte gegen Deutschland, unternahm verwüstende Heerzüge bis vor Magdeburg und zwang Kaiser Konrad II. zu einem erbitterten, schwierigen Krieg. Schließlich aber mußte er die deutsch-slawischen Marken wieder an Deutschland abtreten und P. seinem Bruder Otto überlassen, der als "Herzog" unter deutscher Lehnshoheit regierte. Nach Ottos Ermordung (1032) ward er nach Anerkennung der deutschen Oberhoheit auf dem Hoftag zu Merseburg (7. Juli 1032) in die Herrschaft Polens wieder eingesetzt, die er bis zu seinem Tod (15. März 1034) behauptete. Für seinen unmündigen Sohn Kasimir I. (1034-58) führte dessen Mutter Richeza, eine Tochter des Pfalzgrafen bei Rhein, die Regierung, erregte aber durch Begünstigung der Fremden einen Aufstand der Szlachta, welche den jungen König vertrieb. P. drohte nun in völlige Anarchie zu versinken und zu einem Nebenland des mächtigern Böhmenreichs herabgedrückt zu werden. Aber Kaiser Heinrich III. begünstigte die Rückkehr Kasimirs auf den polnischen Thron, den er nach langen Kämpfen endlich dauernd behauptete. Auch Schlesien gewann er gegen Zahlung eines Tributs von Böhmen zurück. Durch Wiederherstellung der kirchlichen Ordnung erlangte er die Gunst des Klerus und hinterließ die Herrschaft seinem ältesten Sohn, Boleslaw II. Smialy (dem Kühnen, 1058-81), so gefestigt, daß derselbe, begünstigt durch die innern Wirren in Deutschland und durch Thronstreitigkeiten in Ungarn und Böhmen, wieder erobernd auftreten und, wenn auch nur für kurze Zeit, Kiew in Besitz nehmen konnte. Seine Macht war so gestiegen, daß er am Weihnachtsfest 1076 mit großer Feierlichkeit sich die Königskrone aufsetzte. Als er aber im Streit mit dem Bischof Stanislaw von Krakau diesen in der Kirche mit eigner Hand erschlug, mußte er P. verlassen und starb in einem fernen Kloster.

Sein Bruder und Nachfolger Wladislaw I. Hermann (1081-1102) gab den Königstitel wieder auf. Er suchte das Land nördlich der Netze den Pommern wieder zu entreißen, wurde aber daran durch den Aufstand seines natürlichen Sohns Zbygniew gehindert, dem sich später auch sein legitimer Sohn Boleslaw III. Krzywousty (Schiefmaul) anschloß. Beide erzwangen von ihrem Vater die Entfernung seines Günstlings, des Palatins Sieciech, und setzten sich schon bei Lebzeiten desselben in den Besitz großer Teile des Reichs. Nach Wladislaws Tod (1102) teilten sich die Brüder das Land, gerieten jedoch bald in Streit. Zbygniew unterlag, behielt bloß Masovien als Vasallenherzog und wurde, als er seine Feindseligkeiten fortsetzte, 1111 auf Boleslaws Befehl ermordet. Boleslaw unternahm viele Kriegszüge nach Pommern, Mähren und Rußland führte auch mit Kaiser Heinrich V. nicht unglücklich Krieg, eroberte aber nur Pommern nebst Rügen, für das er 1134 in Merseburg vor Kaiser Lothar die deutsche Oberlehnshoheit anerkennen und sich zu einem zwölfjährigen Tribut verstehen mußte. Bei seinem Tod (1139) teilte er das Reich unter seine vier mündigen Söhne derart, daß der älteste, Wladislaw II., Krakau und Schlesien sowie eine Oberhoheit (Prinzipat) über seine Brüder haben, Boleslaw IV. Kendzierzawy (der Kraushaarige) Masovien und Kujavien, Mieczyslaw Stary Gnesen und Pommern, Heinrich Sandomir erhalten sollte.

Zersplitterung und Neubegründung des Reichs.

Diese Zersplitterung Polens hatte aufreibende innere Kämpfe zur Folge. Wladislaw II., der seine Brüder zu unterdrücken suchte, wurde von Boleslaw IV. zur Flucht nach Deutschland genötigt. Auf seinen Antrieb unternahm Kaiser Friedrich I. einen Zug nach P., auf dem er bis Posen siegreich vordrang und Boleslaw zur Anerkennung der deutschen Oberhoheit zwang. Das Prinzipat behauptete Boleslaw