Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Polnische Litteratur

193

Polnische Litteratur (16. und 17. Jahrhundert).

seiner Erziehung vernachlässigt, aber mit reger Einbildungskraft und scharfem Verstand begabt, von unverwüstlichem Humor und stark zur Satire hinneigend, erscheint Rej als das Prototyp des Landjunkers seiner Zeit, welcher die Tage bei fröhlichen Gelagen zubringt, des Nachts aber zur Feder greift, ohne seine reiche, aber verworrene Phantasie künstlerisch zu beherrschen. Er versuchte sich im Drama ("Zywot Józefa"), im Lehrgedicht ("Wizerunek własny" etc.), in der Satire und Allegorie ("Zwierzyniec"), im erotischen Gedicht ("Figliki"); seine bedeutendste Schrift ist jedoch das Sittenbild "Zywot poczciwego człowieka" ("Das Leben eines rechtschaffenen Menschen", 1567), welches sich durch Originalität, frischen Humor und geistreiche Wendungen auszeichnet. Erst in den lyrischen Dichtungen des auf der Höhe der Bildung seiner Zeit stehenden Johann Kochanowski (1530-84), des glänzendsten Repräsentanten des "goldenen Zeitalters", vereinigt sich gründliche Kenntnis der klassischen Litteratur mit tiefer poetischer Empfindung und meisterhafter Beherrschung der Sprache. Seine "Treny", Elegien auf den Tod seiner Tochter Ursula, gelten noch heute als das herrlichste Denkmal polnischer Lyrik; seine Übertragung der "Psalmen" ist ein Muster einfach-erhabenen Stils. Auch seine "Lieder" sind, obschon der Form nach Nachahmungen des Horaz, durchaus national, und sein dramatische Fragment "Odprawa poslów" ("Der Abschied der Gesandten") ist der erste nennenswerte Versuch, den die polnische Poesie auf dramatischem Gebiet machte. In Seb. Fabian Klonowicz (1552-1608) greift zum erstenmal das bürgerliche Element mit zornigen Tönen in die Litteratur der Adelsrepublik ein. Schon das beschreibende Gedicht "Flis" (1595) enthält Ausfälle gegen Adel und Klerus, die sich dann im "Judasbeutel" (1603) zu einem Schmerzensschrei steigern und in der "Victoria deorum" zu einer "hundertarmigen Satire" gestalten. Neben diesen drei namhaftesten Dichtern sind zu nennen: Nikolaus S. Szarzynski (gest. 1581), welcher die Form des Sonetts in die polnische Poesie einführte; Kaspar Miaskowski (1549-1622), voll lyrischen Schwunges und patriotischer Begeisterung, aber nachlässig in der Diktion; Stanislaus Grochowski (1540-1616), welcher die volkstümliche Saite anschlägt. Die Herrschaft des Latein war indessen noch so wenig beseitigt, daß eine ganze Reihe talentvoller Dichter in dieser Sprache schrieb, so: Klemens Janicki (1516-43), Simon Szymonowicz-Simonides (1558-1629), ein Schüler Scaligers, der "polnische Pindar" genannt, Andreas Krzycki, Erzbischof von Gnesen, der "polnische Catull", Jan Dantyszek (Dantiscus, 1485-1548), Bischof von Ermeland, Freund des Kopernikus und des Erasmus von Rotterdam, Verfasser von Kirchenliedern, Epigrammen u. a.

Auch die Geschichtschreibung vermag sich noch nicht der lateinischen Fesseln vollständig zu entledigen. Polnisch schrieb Mart. Bielski (gest. 1575) seine "Chronik der Welt", sein Sohn Joachim eine "Chronik von Polen" bis 1599. Des Matthias Strykowski (1547-82) "Chronik von Polen, Litauen, Samogitien etc." (Königsb. 1582) ist für die Geschichte Litauens die wichtigste Quellenschrift. Bartosz Paprocki (gest. 1614) verfaßte zahlreiche genealogische und heraldische Werke, unter denen die "Herby rycerstwa polskiego" ("Wappen der polnischen Ritterschaft", 1584) hervorzuheben sind. Durch sein Werk "Dworzanin polski" (1566; deutsch: "Der polnische Demokrat als Hofmann", Stuttg. 1856), ein Sittenbild der höhern Gesellschaft Polens, hat sich Lukas Górnicki (um 1560-90) einen hervorragenden Platz in der polnischen Litteraturgeschichte gesichert. Lateinisch schrieben: Martin Kromer (1512-89), Bischof von Ermeland, dessen "Geschichte Polens bis 1506" geringern Wert hat als seine "Beschreibung Polens" ("Polonia", Köln 1577); Stanislaus Orzechowski (1513-66), welcher in Wittenberg mit Luther und Melanchthon im Verkehr stand, nach seiner Rückkehr das geistliche Gewand annahm und bald in die heftigsten Streitigkeiten mit dem Episkopat verwickelt wurde, ein Mann von umfassenden Kenntnissen, hervorragend als polemischer Schriftsteller sowie als Redner ("Rede auf den Tod Sigismunds I.", 1548; "Rede auf die Vermählung Sigismund Augusts", 1553; "Türkenreden", 1543), endlich auch Verfasser von "Annales" über die Zeit von 1548 bis 1552, die sich durch freimütige Grundsätze auszeichnen, während seine polnisch geschriebene "Policya" (1566) in eine Verherrlichung der Würde des Primas ausläuft. Orzechowski an Schwung und fesselnder Diktion nicht gewachsen, aber ihm überlegen in klarer Beweisführung ist Fr. Modrzewski (geb. 1520), ebenfalls in Wittenberg gebildet, dann Sekretär des Königs Sigismund August, zuletzt verschollen, dessen Schrift "De emendanda re publica" in freisinniger Richtung seiner Zeit weit vorauseilt. Noch sind unter den lateinischen Historikern zu nennen: J. ^[Ján] Demeter Solikowski (gest. 1603 als Erzbischof von Lemberg, Verfasser von Denkwürdigkeiten über die Zeit von 1572 bis 1590, Danz. 1647), Orzelski, St. Sarnicki, Wapowski und Decius. Von den parlamentarischen Institutionen begünstigt, entfaltete sich in Polen die Beredsamkeit frühzeitig zu voller Blüte und zwar wieder in polnischer und lateinischer Sprache. Unter den polnischen Rednern sind zu nennen: der Krongroßfeldherr Joh. Tarnowski, der Kastellan Andreas, Graf Górka, der Kanzler P. Tomicki, der Domherr Christ. Warszewicki, der Großkanzler Joh. Zamojski (die berühmte Reichstagsrede von 1605), namentlich aber der auch auf kirchengeschichtlichem wie auf polemisch-theologischem Gebiet äußerst thätige Hofprediger Peter Skarga (1536-1612), dessen bei Eröffnung der Reichstagsverhandlungen gehaltene Predigten ("Kazania Sejmowe", Krak. 1600) ein Muster einfacher und ergreifender Rhetorik sind. Vgl. St. Tarnowski, "Pisarze polityczni XVI. wieku" (Krak. 1886, 2 Bde.).

III. Die Zeit von 1622 bis 1750.

Die Zeit der allgemeinen Abblüte der Nationallitteraturen trägt in der polnischen das charakteristische Merkmal einer abgeschmackten Sprachmengerei. Infolge des Siegs der katholischen Gegenreformation monopolisierten die Jesuiten den öffentlichen Unterricht, welcher sich bald auf mechanische Anlernung eines nichts weniger als klassischen Latein und eifrige Pflege hohlen Phrasenpomps in unaufhörlichen Deklamationen und theatralischen Vorstellungen beschränkte. Der junge Adel verließ die Schulen anmaßend, in äußerlicher Rechtgläubigkeit und politischen Vorurteilen bestärkt, ohne gründliche Kenntnisse und ohne Neigung und Fähigkeit zu selbständigem Denken. Der im vorhergehenden Jahrhundert so häufige Besuch fremder Universitäten kam jetzt außer Gebrauch; die Krakauer Hochschule aber schritt, dank den Anfeindungen der Jesuiten, welche 1622, im Widerspruch mit den Privilegien der Universität, das Recht erlangten, in Krakau ein Kollegium zu gründen, ihrem gänzlichen Verfall rasch entgegen. Die Greuel des 60jährigen Schwedenkriegs (1600-1660), dessen