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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Russische Litteratur

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Russische Kirche - Russische Litteratur.

von Prälaten anvertraut zu sehen, und errichtete, nachdem er die Jurisdiktionsrechte des Klerus beschränkt, die Klostergesetze revidiert hatte, den heiligen dirigierenden Synod als höchste Kirchenbehörde. Die Grundlagen der hierarchischen Ordnung und synodalen Oberleitung blieben bestehen; aber der Kirchenverfassung wurde ihre Spitze abgebrochen, indem die kirchliche Oberherrlichkeit des Patriarchen auf den Zaren überging. Als eine Versammlung Peter d. Gr. um Erhaltung des Patriarchats bat, sprach er das die ganze Kirchengeschichte Rußlands von nun ab beherrschende Prinzip des Cäsareopapismus mit den Worten aus: "Hier ist euer Patriarch". Katharina II. zog alles Kirchengut an sich (1764), wogegen sie für alle geistlichen Stellen und Stiftungen einen festen, für die niedern Grade äußerst geringen Gehalt auswarf; aber da sie zu gleicher Zeit der Kirche die Versorgung der Invaliden abnahm und auf Staatskosten Priesterseminare gründete, erlitt die Kirche wenigstens keinen bedeutenden materiellen Nachteil. Peter d. Gr. bewilligte 1702 den Katholiken und Protestanten freie Religionsübung im ganzen Reich. In der That aber bewegte sich die Duldung fremder Konfessionen immer in engen Grenzen. Schon nach der ersten Teilung Polens (1772) strebte Katharina II. danach, die neugewonnenen Teile Polens durch die Religion fester an Rußland zu ketten, und es gelang ihr, über eine Million Polen zur Trennung von der römischen Kirche zu bestimmen. Der Kaiser Nikolaus I. führte auf der Synode zu Polozk (1839) sogar zwei Millionen unierter Griechen zur orthodoxen russischen Kirche zurück. Die Protestanten aber wurden namentlich in den Ostseeprovinzen vielfach bedrückt und die lettische und ethnische Landbevölkerung 1845 von den Popen durch die Vorspiegelung von Landerwerb zum Übertritt zur russischen Kirche bewogen. Vgl. Harleß, Geschichtsbilder aus der lutherischen Kirche Livlands von 1845 an (2. Aufl., Leipz. 1869); Wurstenberger, Die Gewissensfreiheit in den Ostseeprovinzen (das. 1872). Besonders wird innerhalb des kaiserlichen Hauses die r. K. begünstigt: russische Prinzessinnen, die sich mit Fürsten andrer Konfessionen vermählen, dürfen nie zu deren Glaubensbekenntnis übergehen; dagegen müssen alle Prinzessinnen, die durch Heirat in die kaiserliche Familie eintreten, das griechische Bekenntnis annehmen. Man zählt in der russischen Kirche gegen 12 Mill. Sektierer (s. Raskolniken).

Die Glaubenslehre der russischen Kirche blieb trotz ihrer Emanzipation von der Obhut der griechischen Kirche im wesentlichen die der letztern (vgl. Griechische Kirche und Katechismus). Der heilige dirigierende Synod bestand anfangs aus zwölf Mitgliedern; später ist diese Zahl bald vermehrt, bald vermindert worden. Dieselben werden vom Kaiser aus den Bischöfen, Archimandriten, Igumenen (Hegumenen) und Protopopen ernannt. Auch ist ihnen ein weltliches Mitglied als oberster Prokurator der Krone mit dem Recht eines unbedingten Veto beigegeben. Der Synod hat seinen Sitz in Petersburg. Der russische Klerus besteht aus Kloster geistlichen, auch nach ihrer Kleidung die "schwarze Geistlichkeit" genannt, welche allein zu den höhern geistlichen Würden gelangen und zum Cölibat verpflichtet sind, und aus Weltgeistlichen, im Gegensatz zu jenen, trotz ihrer braunen Kleidung, die "weiße Geistlichkeit" genannt, welche bloß die niedern geistlichen Stellen bekleiden können und sich verheiraten dürfen, aber nur einmal. Die Ordensgeistlichkeit besteht aus drei Klassen, nämlich: 1) Archierei, zu denen sämtliche Bischöfe gehören, welche alle dem heiligen Synod zu Petersburg unterworfen sind; 2) Archimandriten (Äbten) und Igumenen (Prioren), aus denen die Bischöfe genommen werden; 3) Mönchen, welche in den Klöstern und Seminaren verschiedene Ämter verwalten. In den Mönchsklöstern herrscht meist die Regel des heil. Basilius. Unter den Weltgeistlichen haben die Protopopen oder Protoierei den höchsten Rang und sind die Aufseher der übrigen, nämlich der Popen oder Priester. Die Diakonen, Unterdiakonen, Lektoren, Küster, Sänger etc. erhalten ebenfalls eine Art von Weihe, aber keine priesterliche. Die gesamte Geistlichkeit wird vom Staat besoldet, welcher beispielsweise 1882 für 39,000 Popen 6,397,000 Rubel ausgab. Dieser Klerus ist frei von Abgaben, steht in geistlichen Dingen unter der Jurisdiktion der Bischöfe und des heiligen Synods, in Zivil- und Kriminalsachen aber unter der der weltlichen Gerichte. Für Bildung des Klerus ist erst unter Alexander II. einiges geschehen; besonders der niedere ist sehr unwissend und größtenteils auf landwirtschaftliche Thätigkeit angewiesen. Aber auch die litterarische Produktion innerhalb der höhern Geistlichkeit beschränkt sich auf Werke, welche der Liturgie und dem populären Religionsunterricht dienen. Eine wissenschaftliche Theologie beginnt erst in letzter Zeit und nur ganz vereinzelt aufzutreten. Die russischen Kirchen sind viereckig und haben eine große Kuppel in der Mitte, die von vier kleinern Kuppeln umgeben ist. Die Glockentürme stehen abgesondert von der Kirche. Man betet stehend oder auf dem Angesicht liegend. Das Priestergebet wird durch den Gemeindegesang unterbrochen, der aber eigentlich nur aus drei Sätzen besteht: "Gospodj pomiluj!" ("Herr erbarme dich unser!"), "Gospodj pomolimssa!" ("Herr, wir bitten dich!") und "Podal Gospodj!" ("Gib das, Herr!"). Die in der alten slawischen Kirchensprache abgefaßte Liturgie zeichnet sich durch die Kraft der dabei üblichen Gebete aus. Die Messe wird nur einmal des Tags gefeiert, und bei der Kommunion werden Brot und Wein im Kelch gemischt und mit einem Löffel gereicht. Die Feste der russischen Kirche sind im allgemeinen die der andern christlichen Konfessionen; eigentümlich sind nur die Feier des Festes der Wasserweihe (Jordansfest), welches jährlich 6. Jan., am Tag der Mitte zwischen Ostern und Pfingsten und 1. Aug. stattfindet, und bei welchem die Heiligenbilder in das Wasser getaucht werden, daher auch der Name "Götterwaschung"; das Gedächtnis aller im Kriege gefallenen Soldaten 21. Okt. und die Pferdeweihe 9. Mai. Am ersten Fastensonntag, dem sogen. orthodoxen Sonntag, wird noch jetzt alljährlich unter großem Zulauf des Volkes über alle politischen und kirchlichen Ketzereien ein allgemeiner Fluch ausgesprochen. Das Predigen ist selten, daher die wenigsten Kirchen Kanzeln haben. Die Strenge des Fastens wird jetzt mehrfach durch Dispensationen gemildert. Vgl. Murawjew, Geschichte der russischen Kirche (deutsch von König, Karlsr. 1857); Boissard, L'Église de la Russie (Par. 1866-67, 2 Bde.); Philaret, Die Kirche Rußlands (deutsch, Frankf. a. M. 1872, 2 Bde.); Makarij, Geschichte der russischen Kirche (Petersb. 1848-83, 12 Bde.); Basarow, Die russisch-orthodoxe Kirche (Stuttg. 1873).

Russische Litteratur. Die russische Nationallitteratur hat in der Entwickelungsgeschichte Rußlands eine höhere Bedeutung als irgend eine andre europäische Litteraturgeschichte dem Volk gegenüber, in dessen Mitte sie entstanden. Wir haben dabei allerdings mehr die neuere Zeit, die Zeit seit Peter d. Gr.,