Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Russische Litteratur

57

Russische Litteratur (Rechtswissenschaft, Philosophie, Theologie etc.).

meer; die Reisen Timkowskijs und Kowalewskijs nach China, N. N. Murawjews, Peter Tschichatschews, Karelins nach Zentralasien, Norows, A. N. Murawjews nach dem Orient, W. Botkins nach Spanien, Platon Tschichatschews nach Kleinasien und den Pampas von Südamerika; ferner aus neuester Zeit Putjatins Gesandtschaftsreise nach Japan (1852-55), Wyscheslawzews Reise um die Welt (1857-60), Maximows Streifzüge am Weißen Meer und in Sibirien, die Expeditionen Semenows und Wenjukows nach dem Thianschan, Chaykows nach Persien etc., alle von reicher Ausbeute für Geographie und Völkerkunde. Auch die Petersburger Geographische Gesellschaft bethätigte sich mit statistisch-ethnographischen Expeditionen, von denen die an Ergebnissen wichtigsten die von Tschubinskij (südwestliches Rußland), Middendorf, Fedtschenko (Sibirien), Maak (Amurland, Ussurigebiet), Radde (Kaukasus), Prschewalskij (Mongolei, Tibet), Schtschapow, Jadrintschek, Potanin u. a. waren. Die vom Generalstab und Ministerium des Innern herausgegebenen ethnographischen und statistischen Werke: "Rußland" (1871) und "Beschreibung der angesiedelten Gegenden des russischen Reichs" (1861-75) sind in mancher Beziehung von monumentaler Bedeutung. Sonst fand die Ethnographie und Statistik Rußlands Bearbeiter an Bunjakowski, Sablockij-Desjatowskij, Besobrasow, Buschen, Helmersen, Blioch, Nebolsin, Janson, Tschubinskij, Hagemeister u. a.

In der Rechtswissenschaft, deren Litteratur erst im 19. Jahrh. beginnt, haben sich durch Untersuchungen über die alten politischen und Rechtsinstitutionen verdient gemacht: K. D. Kawelin ("Blick auf das Rechtsleben im alten Rußland"), Leschkow, Beljajew, Kalatschow, Newolin, Tschitscherin, Rjedkin, Sergejewitsch, Leontowitsch, Nikitskij, Wladimirskij-Budanow, wozu aus neuester Zeit noch Kljutschewskij, A. Gradowskij, W. Semewskij etc. kommen. Andre bedeutende Juristen der Gegenwart sind: Andrejewskij, Lochwickij, Pachmann, Foinickij, Martens. Rechtsgeschichtliche Werke lieferten Tschitscherin (über die unfreien Klassen im alten Rußland), Pobjedonoscew (Geschichte der Leibeigenschaft), Romanowitsch-Slawatinskij (über den russischen Adel), W. Semewskij (über die Bauern zur Zeit Katharinas II.), Fürst Wasiljtschikow (über Grundbesitz und Ackerbau), Engelhardt (Briefe vom Lande) und Skrebickij, welcher die Geschichte der Emanzipation ("Die bäuerliche Angelegenheit in der Regierung Alexanders II", 1862-68, 5 Bde.) schrieb. Auch das volkstümliche Gewohnheitsrecht fand Bearbeiter. Auf nationalökonomischem Gebiet waren besonders Wladimir Miljutin (gest. 1855) und der schon oben genannte N. G. Tschernytschewskij von einflußreicher Thätigkeit. - In der Philosophie sind die Russen nie aus dem Eklektizismus herausgekommen; sie haben sich an die Systeme der ausländischen, vorzugsweise der deutschen, Philosophen angelehnt, die sich nacheinander die Geister dienstbar machten. Durch Karpow (gest. 1867) wurde den Russen auch die nähere Bekanntschaft mit den griechischen Denkern vermittelt. S. S. Gogockij gab ein philosophisches Lexikon (1859-61, 2 Bde.) heraus; die Geschichte der Philosophie behandelten M. Katkow, Troickij, M. Stasjulewitsch, in neuester Zeit Smirnow, Karejew, De Roberti u. a. Einen Versuch selbständiger Entwickelung logischer Begriffe auf Kantischer Grundlage machte neuerdings W. S. Solowjew ("Kritik der abstrakten Prinzipien"). Für die Psychologie, besonders in ihrer Anwendung auf die Pädagogik, sind wichtig die Schriften Uschinskijs und des Chirurgen Pirogow, für die Volkserziehung die Arbeiten des Barons N. A. Korff. Auch die philosophischen Hauptwerke des Auslandes (von Kant, Hegel, Trendelenburg, Lotze, Schopenhauer, Hartmann, K. Fischer, A. Comte, Taine, Spencer, Lewis etc.) sind ins Russische übersetzt und entsprechend kommentiert worden. - Von einer theologischen Wissenschaft kann in einem Land, wo jede selbständige Reflexion über die Glaubenslehre und jede freie Auslegung verboten sind, kaum die Rede sein, wenn auch die Zahl der theologischen Bücher ziemlich groß ist. Die Geschichte der russischen Kirche behandelten hauptsächlich Golubinskij (1880) und der Erzbischof Makarij (Bulgakow, gest. 1882), welch letzterer auch ein Lehrbuch der "Orthodox-dogmatischen Theologie" veröffentlichte. Große Wirkung übten in den 50er Jahren die theologischen Schriften des Dichters Chomjakow (gest. 1860), welcher der absterbenden romanogermanischen Welt die griechisch-slawische Weltidee gegenüberstellte, und in der neuesten Zeit erregten die (freilich nur in einem lithographischen Auszug ins Publikum gelangten) religiös-moralischen Schriften des Grafen L. Tolstoi ("Worin besteht mein Glaube?" u. a.) das allgemeinste Aufsehen. Tolstoi tritt darin mit Wärme und Beredsamkeit für eine gereinigte Religion, ein demokratisches Urchristentum auf, das mit dem mystischen Christentum Dostojewskijs eine exzentrische Reaktion gegen den herrschenden Materialismus und Egoismus bezeichnet. - Die Naturwissenschaften finden in Rußland, besonders in neuester Zeit, die eifrigste Pflege. Um hier nur einige der wichtigsten Namen zu nennen, erinnern wir an die Botaniker N. Turtschaninow, Maximowitsch, Bunge etc.; die Zoologen Pallas, Middendorf, Metschnikow; die Geologen und Mineralogen Sokolow, Kutorga, Kotscharow, Inostranzew, Schtschurowskij, Dokutschajew etc. Große Berühmtheit hat der Chirurg Nikolai Pirogow erlangt. In der Mathematik thaten sich hervor: Simonow, Lobatschewskij, Ostrogradskij, Tschebyschew, Bunjakowskij u. a. Für Astronomie sind hauptsächlich die Leistungen der 1834 gegründeten Sternwarte zu Pulkowa hervorzuheben, die unter der Leitung ihrer beiden Direktoren Wilh. und O. Struve weltberühmt geworden ist.

Auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft und der Litteraturgeschichte sind namhafte Leistungen zu verzeichnen. Um die Kenntnis der orientalischen Sprachen machten sich besonders verdient: Bitschurin (1772-1847), Saweljew, Grigorjew, Beresin, Chwolson, Wasiljew, Weljaninow-Sernow, Baron Rosen, Ilminskij, Harkavy. Der in Rußland zahlreich vertretenen Familie der finnischen Sprachen waren die Arbeiten von Sjögren, Castrén, Schiefner, Saraitow, Radlow gewidmet; die Sprachen der kaukasischen und sibirischen Völker wurden wissenschaftlich durch Schmidt, Baron Uslar, Tschubinow u. a. erläutert. Sonst sind als namhafte Sprachforscher zu nennen: A. G. Wostokow, der Vater der slawisch-russischen Philologie (gest. 1864), Pawskij, Biljarskij, Bußlajew, Sresnewskij, Gorskij, Newostrujew, Bodjanskij, Lamanskij, Lawrowskij, J. ^[Jacob] Grot etc. Genaueres über die Leistungen in Bezug auf die vaterländische Sprache s. Russische Sprache. Durch Veröffentlichung von Denkmälern des alten Schrifttums haben sich Tichonrawow, Pypin und Kostomarow verdient gemacht; noch wichtiger und umfangreicher sind die (meist in die 60er Jahre fallenden) Ausgaben der Denkmäler der Volkspoesie: