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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Russisches Reich

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Russisches Reich (Bevölkerung).

Städte mit mehr als 100,000 Einw. hat Rußland 12: St. Petersburg, Moskau, Warschau, Riga, Charkow, Odessa, Kasan, Kischinew, Kiew, Lodz, Saratow und Wilna. An Wohnplätzen im europäischen Rußland rechnete man 1885: 481,457 außerstädtische und 660 Städte, in den polnischen Gouvernements 42,444 außerstädtische und 464 Städte. Die Zahl der städtischen Niederlassungen beläuft sich im ganzen Reich (mit Ausschluß von Finnland) auf 1274, in welchen 13,756,205 Menschen wohnen. Sie gruppieren sich der Größe nach folgendermaßen:

^[Liste]

Über 100000 Einw. 13 Städte

10-100000 " 280 "

5-60000 ^[richtig: 5-10000] " 241 "

2000-5000 " 366 "

unter 2000 " 324 "

Bezüglich der durchschnittlichen Größe der Wohnplätze und der Entfernung voneinander werden die Gouvernements in sechs Gruppen eingeteilt (Jahnson). Die erste umfaßt Gouvernements, in welchen jeder Wohnplatz weniger als 3 qkm hat und ca. 1-2 km durchschnittlich von dem andern entfernt ist. Dahin gehören z. B. Livland, Pskow, Wilna, Witebsk, Kowno. Die letzte Gruppe hat Wohnplätze von mehr als 40 qkm im Durchschnitt, aber auch mit einer Entfernung von 18-24 km voneinander, so Astrachan, Archangel, Orenburg, Samara u. a.

Nationalitäten.

Die Bevölkerung des europäischen Rußland ist in Bezug auf die Nationalitäten die bunteste und gemischteste unter allen Ländern unsers Erdteils, indem sie in dieser Beziehung noch die Türkei und Österreich-Ungarn bei weitem übertrifft; nicht nur die Völker des indogermanischen und des semitischen Stammes, sondern auch die Ural-Altaier (Mongolen) sind in größerer oder geringerer Menge vertreten. Nach den Angaben von Rittich 1878 setzt sich die Bevölkerung folgendermaßen zusammen:

I. Mittelländische (kaukasische) Rasse.

a) Indogermane (Arier):

Großrussen 34389871

Kleinrussen 14201279

Weißrussen 3592057

Bulgaren 93685

Polen 4764713

Tschechen 7790

Litauer 811051

Schmuden 623700

Letten 1047929

Griechen 77132

Rumänen 648464

Franzosen 1036

Deutsche 983659

Schweden 273021

Armenier 34200

Zigeuner 111654

b) Semiten:

Juden 2552145

II. Mongolische Rasse.

a) Finnische Gruppe:

Karelier 303277

Finnen 1710274

Tschuden 48028

Esthen 749063

Lappen 7497

Mordwinen 791954

Tscheremissen 259745

Wotjaken 240490

Permier 67315

Syrjänen 85432

Wogulen 2031

Samojeden 5370

b) Tatarische Gruppe:

Tartaren 1212610

Baschkiren 757311

Meschtscherjäken 136463

Teptjären 126023

Tschuwaschen 569894

Kirgisen 158624

Kalmücken 107531

Zusammen: 71470482

Den festen Kern, um welchen sich die hier abgeführten Völker gruppieren, bilden die Russen (s. d.). Dieselben bevölkern in kompakten Massen den größten Teil des Landes, reichen jedoch im W. nur bei St. Petersburg bis ans Meer und sind im N. und O. durch finnische Völker in breitem Saum von den Grenzen des europäischen Rußland abgetrennt. In 34 Gouvernements machen die Russen mehr als 75 Proz. der Bevölkerung aus, in 6 mehr als 50 Proz., in 3 mehr als 25 und endlich in 6 weniger als 25 Proz. Wenn auch das russische Volk im Lauf der Zeit viele finnische und tatarische Elemente assimilierte, so ist doch im allgemeinen slawischer Typus und slawisches Wesen vorherrschend. Sprache, Sitten und Religion verbinden dasselbe zu einem mächtigen Ganzen, innerhalb dessen die dialektischen Unterschiede zwischen Groß-, Weiß- und Kleinrussen herrschen (näheres über diese drei Gruppen s. unter Russen). Das zweitwichtigste slawische Volk in Rußland bilden die Polen, welche jedoch den Westeuropäern näher als die Russen stehen, da sie früh den Katholizismus annahmen und in ihrer ganzen Kultur einen mehr westlichen Zuschnitt haben. In den zehn Gouvernements des ehemaligen Königreichs Polen leben 4 Mill., in den andern Gouvernements des europäischen Rußland gegen 900,000 Polen. Im ganzen machen die Polen 6,8 Proz. der Bevölkerung des europäischen Rußland aus. Die übrigen slawischen Völker sind nur in geringer Zahl vertreten. Serben leben gegen 8000 im Gouvernement Jekaterinoslaw; Bulgaren wanderten in der Mitte des vorigen Jahrhunderts schon in Rußland ein, doch wurden die großen bulgarischen Kolonien in Bessarabien, Taurien und Cherson erst nach dem Frieden von Adrianopel (1829) gegründet. Die Gesamtzahl der Bulgaren in Rußland beläuft sich auf etwa 100,000. Tschechen, gegen 8000, erst seit 20 Jahren in Rußland eingewandert, leben namentlich in Wolhynien und in geringerer Zahl in Taurien und Podolien als Ackerbauer und Handwerker. Am nächsten den Slawen verwandt sind die litauischen Völker. Die Litauer sind zum größten Teil katholisch; ihre Hauptbeschäftigung ist der Ackerbau. In einer Zahl von über 800,000 wohnen sie in den Gouvernements Kowno, Wilna und Suwalki, in geringer Anzahl auch in Grodno und Kurland. Nur wenig von ihnen unterschieden, aber der kräftigere und tüchtigere Teil, sind die Schmuden oder Samogitier im westlichen Teil von Kowno und nördlich von Suwalki. Das dritte Volk dieser Gruppe sind die Letten, ein gutartiger, bildungsfähiger, aber schwerfälliger Menschenschlag, mit Ausnahme von 50,000 zur griechischen Kirche übergetretenen alle protestantisch. Sie wohnen, über eine Million Köpfe zählend, in Kurland, Livland und Witebsk, in geringer Zahl in St. Petersburg und dem Gouvernement Kowno. Griechen, gegen 80,000, sind als Künstler, Handwerker, Kaufleute und Ackerbauer durch Rußland zerstreut, in größerer Menge aber in den Gouvernements Jekaterinoslaw und Taurien angesessen. Rumänen wohnen, etwa 700,000, in Bessarabien, Cherson, Jekaterinoslaw und Podolien; die 1000 Franzosen zur Hälfte in St. Petersburg und in Bessarabien. Über das ganze russische Reich, bald stärker, bald schwächer, sind die Deutschen in einer Gesamtzahl von einer Million zerstreut. Teils wohnen sie als Nachkommen der ehemaligen Eroberer in den Ostseeprovinzen, teils als Einwanderer (namentlich herbeigerufen durch Katharina II.) in den Gouvernements Saratow, Samarav und Taurien, aber auch in den Gouvernements Jaroslaw, Cherson, Wolhynien, St. Petersburg. In Kurland, Livland und Esthland machen sie den wesentlichen Teil der Stadtbevölkerung aus. In allen Gouvernements treffen wir sie als Beamte, bis in die Ministerien, als Offiziere bis zu den höchsten Stellen, als Gelehrte, Kaufleute, Erzieher, Künstler, Handwerker und Ackerbauer. Die Schweden sitzen namentlich in jenen Teilen Rußlands, die ehemals zu Schweden gehörten; so in Finnland in einer Zahl von 270,000 Köpfen, ebenso in Esthland, 9000 Seelen