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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Russisches Reich

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Russisches Reich (Heerwesen).

zur Ergänzung der aktiven Armee dienen, bilden die 1., alle übrigen die 2. Klasse der Reichswehr. Von den etwa 850,000 Dienstpflichtigen jedes Jahrgangs werden nur etwa 235,000 eingestellt, woraus sich das außerordentliche Anwachsen der Reichswehr erklärt. Von dem Ergänzungskontingent dienen aus Sparsamkeitsrücksichten 45,000 nur 9 Monate. Behufs Heeresersatz ist das Reich in Ersatzbezirke, behufs Heeresverwaltung in 14 dem Kriegsministerium unterstellte Militärbezirke geteilt; es sind: 1) St. Petersburg, 2) Helsingfors (Finnland), 3) Wilna, 4) Warschau, 5) Kiew, 6) Odessa, 7) Charkow, 8) Moskau, 9) Kasan, 10) Tiflis (Kaukasus), 11) Omsk, 12) Taschkent (Turkistan), 13) Irkutsk (Ostsibirien), 14) Chabarowka (Amur, Transbaikal). Dem Oberkommandierenden, welcher in 8 Militärbezirken (Helsingfors, Wilna, Warschau, Kiew, Moskau, Omsk, Irkutsk, Taschkent) in seiner Person die höchste Militär- und Zivilgewalt vereinigt, sind sämtliche Truppen des Bezirks unterstellt.

Die Armee ist zwar (seit Ende 1876) in 19 Armeekorps eingeteilt, doch ist dies nur formell, die eigentliche taktische Einheit ist die Division. 2-3 Infanterie- und 1 Kavalleriedivision sowie 2-3 Artilleriebrigaden bilden je 1 Armeekorps, das kaukasische Armeekorps hat jedoch 2 Kavalleriedivisionen. Hiernach besteht die Armee aus 3 Garde-, 3 Grenadier-, 41 Armeeinfanterie-, 2 Garde-, 4 Kosaken-, 14 Armeekavalleriedivisionen. Jede Division besteht aus 2 Brigaden zu 2 Regimentern Infanterie oder Kavallerie.

Nach dem amtlichen Verzeichnis der Landtruppen bestand die russische reguläre Armee am 1. Jan. 1888 aus: 1) Infanterie: 192 (12 Garde-, 16 Grenadier-, 164 Armee-) Regimentern zu 4 Bataillonen und 1 Kompanie Nichtkombattanten, welche im Krieg 192 Ersatzbataillone bilden, etwa 337,000 Mann; 58 (darunter 6 Garde-, 20 Armee-) Schützenbataillonen zu 4 Kompanien, etwa 26,000 Mann; 33 (turkistanischen und sibirischen) Linienbataillonen, etwa 21,300 Mann; 115 Reservekadrebataillonen zu 5 Kompanien, aus welchen im Krieg 115 Regimenter formiert werden; 2 kaukasischen Schützendruschinen. 2) Kavallerie: 56 (4 Kürassier-, 2 Dragoner-, 2 Ulanen-, 2 Husaren-, Garde- und 46 Dragoner-) Regimenter zu 6 Eskadrons, etwa 48,000 Mann; 14 Kosakenregimenter (3 Kosakendivisionen und 1 Kosakenbrigade); außer dem Divisionsverband stehen ferner: 4 Tatarensotnien, 5 Feldgendarmerieeskadrons, 18 Ersatzkadres und 4 Ersatzabteilungen. 3) Artillerie. a) Feldartillerie: 51 (darunter 3 Garde-, 4 Grenadier-) Feld-, 5 Reservefeldartilleriebrigaden mit zusammen 336 (98 Armee-, 188 leichte, 20 Gebirgs-) Batterien und 1442 Geschützen (im Krieg werden noch 5 Reservebrigaden mit 80 Batterien und 640 Geschützen sowie 5 Ersatzbrigaden mit 40 Batterien und 320 Geschützen gebildet); außer dem Brigadeverband stehen 3 Gebirgs-, 5 Ausfall- und 2 Reservefußbatterien. b) Reitende Artillerie: 25 reitende und 7 Kosakenbatterien. c) Festungsartillerie: 50 Bataillone und 6 selbständige Kompanien. d) Ingenieurtruppen: 17 Sappeurbataillone zu 5 Kompanien und 5 asiatische Sappeurkompanien, 8 Pontonierbataillone; 6 Eisenbahnbataillone; 17 Kriegstelegraphenparke, 6 Feldingenieurparke. Zur regulären Armee gehören ferner die den 24 Lokalbrigaden und den Oberkommandierenden der Militärbezirke unterstellten Lokaltruppen; sie bestehen aus 1) 13 Bataillonen Infanterie für den Wacht- und Sicherheitsdienst; 2) den Lehrtruppen und zwar der Infanterieoffizierschießschule in Oranienbaum, der Offizierkavallerieschule mit Lehrschmiede in St. Petersburg, der Offizierartillerieschule in Zarskoje Selo, der Galvanischen Lehrkompanie in St. Petersburg und dem Unteroffizierlehrbataillon in Riga; 3) den Hilfsabteilungen und zwar den Schloßgrenadieren (kaiserliche Schloßwache), den Lokal-, Artillerie-, Ingenieur- und Hospitalkommandos für den Arbeitsdienst in den Artilleriewerkstätten, Festungen und Lazaretten, den Disziplinarbataillonen, Arrestantenabteilungen, der Grenzwache (21,300 Mann), welche militärisch organisiert und dem Finanzministerium unterstellt ist, der (1886 neuformierten) Konvoiwache in 565 Begleitkommandos zum Transport von Gefangenenkommandos und zum Polizeidienst. Die reguläre Armee hat eine Friedensstärke von rund 660,000 Mann; sie schwillt aber bei der Mobilmachung infolge des Überflusses an Reserven zu der allerdings nur auf Schätzung beruhenden gewaltigen Höhe von etwa 1,690,000 Kombattanten (darunter 36,600 Offiziere) mit 204,400 Pferden und 3776 Geschützen an. Die Infanterie zählt mehr als 1600 Bataillone, die Kavallerie etwa 450 Eskadrons, die Artillerie nahezu 500 Feldbatterien. Bei den ungeheuern Entfernungen im russischen Reich und den weiten Maschen seines Eisenbahnnetzes bedarf die Ausführung der Mobilmachung und die Zusammenziehung großer Heeresmassen indessen sehr viel längerer Zeit als in andern europäischen Staaten. Deshalb sind schon im Frieden gegen die Westgrenze (Österreich und Deutschland) große Streitkräfte angehäuft; im Militärbezirk Wilna stehen 8 Infanterie-, 3 Kavalleriedivisionen, die gleiche Zahl im Bezirk Warschau, in Kiew 4 Infanterie- und 2 Kavalleriedivisionen.

Mit dieser gewaltigen Truppenmacht ist die Wehrkraft Rußlands noch keineswegs erschöpft, ihr treten vielmehr noch die Kosaken und die irregulären Truppen der Fremdvölker hinzu. Die Kosakentruppen, von denen ein großer Teil den Kavalleriedivisionen der regulären Armee zugeteilt ist, zerfallen in 3 Klassen: die 1. Klasse thut auch im Frieden Dienst, die 2. ist mit Waffen und Pferden, die 3. nur mit Waffen beurlaubt, beide letztern treten erst im Krieg in aktiven Dienst. Der jedesmalige Großfürst Thronfolger ist Ataman aller Kosaken, deren Angelegenheiten in einer besondern Abteilung des Kriegsministeriums bearbeitet werden. Alle dienstfähigen Kosaken treten mit 18 Jahren auf 3 Jahre in die militärische Vorbereitung, dann auf 12 Jahre in den Frontdienst, verbleiben jedoch in der Regel nur 4 Jahre aktiv und werden dann in die 2. und 3. Klasse beurlaubt. Die Kosakenabteilungen werden nach ihrer Heimat als Don-, Kuban-, Terek-, Astrachan-, Orenburg-, Ural- etc. Kosaken-Woissko bezeichnet; das Donische ist das stärkste, es bildet im Frieden das Leibgarde-Donkosakenregiment, 15 Armeekosakenregimenter, 1 Garde- und 7 Armeekosakenbatterien. Im Frieden bilden alle Kosaken 262 Sotnien (Eskadrons) zu Pferd, 20 zu Fuß, 20 Batterien mit 98 Geschützen und 47,150 Mann, im Krieg dagegen 812 Sotnien zu Pferd, 60 zu Fuß, 40 Batterien mit 236 Geschützen, 140,000 Mann, darunter 3640 Offiziere. Die irregulären Truppen (krimsche, gurische, grusinische, tereksche etc. Sotnien) bestehen aus 1420 Mann Infanterie und 4349 Mann Kavallerie, im Krieg etwa 8400 Mann. Im ganzen darf man die Kriegsstärke des russischen Heers auf etwa 2 Mill. Mann veranschlagen; hierzu käme noch der Landsturm, über dessen Stärke nur Schätzungen bestehen. Er soll nach einigen Angaben auch etwa 2 Mill. betragen. Eine