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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schweiz

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Schweiz (Geschichte 1798-1831).

tische Republik, deren von Ochs in Paris entworfene Verfassung Gleichheit aller vor dem Gesetz, Glaubens-, Preß-, Handels- und Gewerbefreiheit, das Recht des Loskaufs von den Grundzinsen, proportionelle Besteuerung u. dgl. einführte und einen Einheitsstaat nach französischem Muster schuf: an der Spitze stand ein von vier Ministern unterstütztes Direktorium von fünf Mitgliedern, daneben ein Senat und ein Großer Rat als Volksvertretung; Verwaltung und Rechtspflege wurden zentralisiert und die Kantone zu bloßen Verwaltungsbezirken herabgedrückt, deren Zahl und Begrenzung nach Willkür verändert wurden. Zu den 13 alten Orten kamen Wallis, Leman, Aargau, Bellinzona, Lugano, Sargans, Thurgau und Rätien als neue Kantone hinzu; doch wurden schon im Mai Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug zum Kanton Waldstätten, Glarus und Sargans zum Kanton Linth und Appenzell und St. Gallen zum Kanton Säntis verschmolzen, wogegen Berner Oberland und Baden als neue Kantone entstanden. So sank die ursprüngliche Zahl 22 auf 19 herab.

Nur zehn Kantone vollzogen 12. April 1798 die Konstituierung der Helvetischen Republik in Aarau. Namentlich die Urkantone wiesen die neue Verfassung mit Entrüstung zurück; die Schwyzer unter ihrem Landeshauptmann Aloys Reding fochten glücklich an der Schindellegi und bei Rotenturm (2. Mai) gegen die Franzosen, und Nidwalden leistete noch im September einer 16,000 Mann starken Armee Widerstand. Aber sie mußten der Übermacht endlich weichen; die Erhebung Nidwaldens wurde durch ein entsetzliches Morden (7.-9. Sept.) erstickt. Da die Helvetische Republik 19. Aug. ein Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich hatte eingehen müssen und von französischen Truppen besetzt war, ward sie im zweiten Koalitionskrieg 1799 Hauptkriegsschauplatz, indem österreichische und russische Truppen von Norden und Süden in die S. einrückten. Als der Staatsstreich Bonapartes 9. Nov. 1799 dem französischen Direktorium ein Ende gemacht hatte, erklärten auch die beiden Räte der Helvetischen Republik das Direktorium für aufgelöst und übertrugen die Gewalt 7. Jan. 1800 einer Vollziehungskommission, welche sofort alle ihr unbequemen Mitglieder aus den beiden Räten ausstieß. Hierdurch bekamen die Föderalisten, die Anhänger des alten Kantonalsystems, in den beiden Räten die Oberhand und beschlossen eine neue Verfassung, die aus der S. wieder einen Bundesstaat von 17 Kantonen mit einer "helvetischen Tagsatzung" machte. Bonaparte hatte diese Verfassung zu Malmaison gutgeheißen und stellte sie, als die Unitarier, die Anhänger der Einheitsrepublik, welche in der helvetischen Tagsatzung die Mehrheit erhalten hatten, sie in unitarischem Sinn veränderten, im Oktober mit Waffengewalt wieder her. Doch kam es ihm vor allem darauf an, die S. völlig von Frankreich abhängig zu machen, und er war daher bemüht, die Verwirrung in der S. aufs höchste zu steigern, um seine Intervention als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Nachdem er den Unitariern 1802 gestattet hatte, die föderalistische Regierung wieder zu stürzen und eine neue Verfassung zu oktroyieren (2. Juli), zog er plötzlich die französischen Truppen aus der S. zurück, worauf sich die Föderalisten überall erhoben und die helvetische Regierung nach Lausanne flüchten mußte. Jetzt wurde Bonaparte von allen Seiten um seine Vermittelung gebeten, übernahm dieselbe, gebot den Insurgenten, die Waffen niederzulegen, und lud 4. Okt. 1802 alle Kantone ein, Abgeordnete nach Paris zu senden, um mit ihm über eine neue Verfassung zu beraten; zugleich rückte Ney mit 25,000 Mann in die S. ein. Die sogen. helvetische Consulta trat im Dezember in Paris zusammen und nahm 19. Febr. 1803 die von Bonaparte entworfene Mediationsakte an, welche einen Bundesstaat von 19 Kantonen bildete; zu den 13 alten Kantonen kamen als neue Graubünden, Aargau, Thurgau, St. Gallen, Waadt und Tessin hinzu; Wallis, Genf und Neuenburg blieben getrennt. In die Tagsatzung sandte jeder Kanton mit über 100,000 Einw. zwei, die übrigen einen Abgeordneten; an der Spitze des Bundes stand ein Landammann, welche Würde in jährlichem Wechsel mit dem Bürgermeister- oder Schultheißenamt der "Direktorialorgane" Freiburg, Bern, Solothurn, Basel, Zürich und Luzern verknüpft war. Eine mit Frankreich abgeschlossene Defensivallianz und Militärkapitulation (27. Sept.) verpflichtete die S., für Napoleon ein Hilfskorps von 16,000 Mann zu unterhalten. Doch hatte die S. von der Gewaltthätigkeit Napoleons weniger zu leiden als andre Vasallenstaaten, und trotz der Schädigung von Handel und Industrie durch die Kontinentalsperre und trotz des Untergangs von 6000 Schweizern im russischen Feldzug war die Stimmung in der S. im ganzen Napoleon günstig.

Nach der Schlacht bei Leipzig 1813 beschloß die Tagsatzung, strenge Neutralität zu beobachten. Doch erkannten die Verbündeten dieselbe nicht an, und 21. Dez. überschritten die Österreicher den Rhein, um durch die S. nach Frankreich zu ziehen. Mit ihrem Einmarsch erhoben überall die Anhänger der gestürzten Aristokratien ihr Haupt; in Bern, Freiburg, Solothurn und Luzern wurden die Patriziate gewaltsam hergestellt, und eine Tagsatzung in Zürich erklärte 29. Dez. die Mediationsakte für erloschen. An der Spitze von sieben andern alten Kantonen verlangte Bern sogar die Rückgabe der Unterthanengebiete und stellte, als die Tagsatzung in Zürich diese Ansprüche grundsätzlich abwies, eine Gegentagsatzung in Luzern auf. Die Mächte erklärten sich jedoch auf Veranlassung des Kaisers Alexander von Rußland für die Unabhängigkeit der neuen Kantone, und die Luzerner Tagsatzung löste sich auf. Die Tagsatzung sämtlicher 19 Kantone vereinbarte 8. Sept. 1814 eine neue Bundesverfassung, welche der Wiener Kongreß bestätigte; derselbe willigte auch in die Wiedervereinigung von Genf, Neuenburg und Wallis mit der Eidgenossenschaft, so daß dieselbe fortan aus 22 Kantonen bestand, entschädigte Bern für den Verlust der Waadt und des Aargaues durch Biel und den größten Teil des Bistums Basel und gestand der S. ewige Neutralität zu.

Umbildung des Staatenbundes zu einem Bundesstaat.

Die neue Bundesakte, welche 7. Aug. 1815 in Kraft trat, machte die S. wieder zu einem ziemlich losen Staatenbund mit einer an die Instruktionen der Kantonsregierungen gebundenen Tagsatzung, in der jeder Kanton eine Stimme hatte. Die Kantonsverfassungen waren aristokratisch, räumten den Hauptstädten ein starkes Übergewicht ein und gaben den Behörden durch kompliziertes Wahlsystem und Selbstergänzungsrecht den Charakter oligarchischer Kollegien. Die Opposition, welche durch die wiedererstandene Helvetische Gesellschaft und die 1824 beginnenden eidgenössischen Freischießen angefacht wurde, richtete sich daher sowohl auf Einführung demokratischer Verfassungen in den Kantonen als auf Verstärkung der Bundesgewalt und erlangte durch die Julirevolution solche Macht, daß 1830 und 1831 in der Hälfte der Kantone die Verfassung in demokratischem Sinn reformiert wurde; besonders wichtig war