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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Spanien

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Spanien (Geschichte bis 1118).

ihr Eigentum, ihre Sprache und Religion unangetastet. Ihre Herrschaft erleichterte den untern Klassen sowie den zahlreichen Juden ihre Lage, und der Übertritt zum Islam verschaffte den hart bedrückten Leibeignen die ersehnte Freiheit. Aber auch viele Freie und Angesehene traten zum Islam über; denen, die Christen blieben, wurden bloß Steuern auferlegt. Den aufreibenden Zwistigkeiten und blutigen Fehden, welche Ehrgeiz und Herrschsucht der arabischen Häuptlinge in dieser entfernten Provinz des Kalifats hervorriefen, machte 755 der bei der Vernichtung durch die Abbassiden einzig übriggebliebene Sproß der Omejjaden, Abd ur Rahmân, ein Ende, welcher nach S. flüchtete und hier, vom Volk mit Jubel begrüßt, ein eignes Reich mit der Hauptstadt Cordova, das sogen. Kalifat von Cordova, gründete, welches er auch bis zu seinem Tod (788) behauptete und auf seine Nachkommen vererbte. Obwohl diese ebenfalls wiederholte Empörungen der Statthalter und andre durch Thronansprüche und Abgabendruck hervorgerufene Unruhen zu bekämpfen hatten, so konnten sie doch Künste und Wissenschaften pflegen und die friedliche Entwickelung von Gewerbe, Handel und Ackerbau schützen. Wohlstand und Bildung mehrten sich, und Cordova ward ein glänzender Herrschersitz. Unter Abd ur Rahmân III. (912-961) erreichten arabische Kunst und Wissenschaft in S. ihre höchste Blüte. Volkreiche Städte schmückten das Land; das Gebiet des Guadalquivir soll allein 12,000 bewohnte Orte gezählt haben. Cordova hatte 113,000 Häuser, 600 Moscheen, darunter die prachtvolle Hauptmoschee, und herrliche Paläste, darunter den Alkazar; mit Cordova wetteiferten andre Städte, wie Granada mit der Alhambra, Sevilla, Toledo u. a. In gleichem Sinn wie Abd ur Rahmân III. regierte sein als Dichter und Gelehrter ausgezeichneter Sohn Hakem II. (961-976), wogegen unter dem schwachen Hischam II. (976-1013) das Kalifat zu sinken begann. Es gelang den Arabern nicht, mit den altspanischen Einwohnern sich zu verschmelzen und ein Staatswesen mit feststehenden gesetzlichen Ordnungen zu begründen. Despotismus und Anarchie wechselten miteinander ab: bald zerriß der ganze Reichsverband, wenn die Statthalter und hohen Befehlshaber den Gehorsam verweigerten; bald lag das Land blutend und demütig zu Füßen des Herrschers, wenn diesem die Unterdrückung der Empörer mittels fremder Söldnerscharen gelungen war. Das Volk verfiel in Genußsucht und Verweichlichung und ließ willenlos alles über sich ergehen. Der berühmteste unter den kriegerischen Statthaltern Hischams II. war Mansur, der ebenso kunstsinnig und klug wie tapfer und gewaltthätig den Staat mit unumschränkter Macht leitete, Santiago, den heiligen Apostelsitz Galiciens, zerstörte (994) und die Christen in vielen blutigen Fehden überwand, bis er endlich an den Wunden, die er in der heißen Schlacht am Adlerschloß (Kalat Nosur) unweit der Quellen des Duero in kühnem Handgemenge empfangen, in den Armen seines Sohns Abd al Malik Modhaffer starb (1002). Nach dem Tode dieses (1008), der mit gleicher Kraft wie sein Vater regierte, machten die Statthalter ihr Amt erblich und gründeten sich unabhängige Herrschaften; um den Thron wurde mit wilder Erbitterung gekämpft, und der letzte omejjadische Kalif, Hischam III., wurde 1031 durch einen Aufstand in Cordova gestürzt. Diesen Zustand benutzend, griffen die christlichen Spanier die Araber immer erfolgreicher an und drängten sie allmählich in den südlichen Teil der Halbinsel zurück.

Das Emporkommen christlicher Königreiche.

Nur in den nördlichen Gebirgen, in Asturien, hatten Scharen flüchtiger Westgoten ihre Unabhängigkeit behauptet und sich unter der Herrschaft des tapfern Pelayo (Pelagius) vereinigt, der, ein Nachkomme des westgotischen Königs Receswinth, 718 (oder 734) ein arabisches Heer besiegt haben und darauf zum König ausgerufen worden sein soll; er wird deshalb el restaurador de la libertad de los Españoles genannt. Sein durch Wahl erhobener zweiter Nachfolger, Alfons I. (739-757), auch ein Abkömmling jenes Westgotenkönigs und Sohn des Herzogs Peter von Kantabrien, vereinigte dieses Land mit Asturien. Alfons II. (791-842) drang auf seinen verheerenden Streifzügen gegen die Araber bis zum Tajo vor und eroberte das Baskenland im Osten, Galicien bis zum Minho im Westen. Gleichzeitig wurde im Nordosten Spaniens von den Franken die Spanische Mark gegründet und die Herrschaft des Christentums in Katalonien durch zahlreiche Einwanderer gesichert. In den fast ununterbrochenen Kämpfen mit den Ungläubigen bildete sich ein christlicher Lehnsadel, welcher durch ritterliche Tapferkeit zugleich Ruhm, weltlichen Besitz und das ewige Seelenheil zu erlangen strebte. So bildeten sich nördlich vom Duero und Ebro allmählich vier christliche Ländergruppen, welche sich durch feste Institutionen, Reichstage, Gesetzsammlungen und den Ständen zugesicherte Rechte (Fueros) zu konsolidieren bemüht waren: 1) im Nordwesten Asturien, Leon und Galicien, welche nach vorübergehenden Teilungen im 10. Jahrh. unter Ordoño II. und Ramiro II. zu dem Königreich Leon vereinigt wurden, das 1057 nach kurzer Unterwerfung unter Navarra von Sancho Mayors Sohn Ferdinand mit den neuen Eroberungen im Süden als Königreich Kastilien verbunden wurde; 2) das Baskenland, welches mit benachbartem Gebiet von Sancho Garcias zum Königreich Navarra erhoben wurde, unter Sancho Mayor (1031-35) das ganze christliche Gebiet Spaniens beherrschte, 1076-1134 mit Aragonien vereinigt, seitdem aber wieder selbständig war; 3) das Gebiet am linken Ebro, Aragonien, seit 1035 selbständiges Königreich; 4) die aus der Spanischen Mark entstandene erbliche Markgrafschaft Barcelona oder Katalonien.

Trotz dieser Zersplitterung zeigten sich die christlichen Reiche den Arabern gewachsen. Als nach dem Untergang der Dynastie der Omejjaden (1031) das Araberreich in mehrere Teile unter besondere Dynastien in Sevilla, Toledo, Valencia und Saragossa zerfallen war, gerieten 1085 Toledo, das Haupt von S., dann Talavera, Madrid und andre Städte in die Gewalt der Christen. Die vom Emir von Sevilla zu Hilfe gerufenen Almorawiden aus Afrika befestigten zwar den Islam durch ihre Siege bei Salaca (1086) und bei Ucles (1108) und rissen die Herrschaft über das arabische S. an sich; aber der Glaubenseifer und Kampfesmut der Christen erhielt durch die gleichzeitige Bewegung der Kreuzzüge ebenfalls einen neuen Aufschwung. Alfons I. von Aragonien, der durch seine Vermählung mit Urraca, der Erbtochter von Kastilien, zeitweilig (bis 1127) dies Reich mit Aragonien vereinigte und sich Kaiser von Hispanien nannte, eroberte 1118 Saragossa und machte es zu seiner Hauptstadt. Auch nach der Trennung von Kastilien und Aragonien blieben beide Reiche zum Kampf gegen die Ungläubigen verbunden, und letzteres Reich ward durch die Vereinigung mit Katalonien infolge der Heirat der aragonischen