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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Spanische Litteratur

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Spanische Litteratur (16. Jahrhundert).

cana" des Alonso de Ercilla (gest. 1595), in welche der Verfasser einen Teil seiner eignen Lebensgeschichte verflochten hat. Mit dem neubelebten Nationalbewußtsein war dabei auch bei den Kunstdichtern ein historisches oder ästhetisches Interesse an den alten Volksromanzen erwacht, die neu aufgezeichnet und gesammelt wurden. Auf diese Weise entstanden von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrh. eine Reihe von Romanzensammlungen ("Romanceros"), die allerdings neben den echten alten epischen Volksromanzen eine Unzahl gemachter chronikenartiger oder rein lyrischer Produkte, Werke von Gelehrten und Kunstdichtern, enthalten. Die reichhaltigste dieser Sammlungen ist der 1604 erschienene "Romancero general" (s. Romanze).

Befruchtend wirkten die epischen Elemente der alten Volksromanzen in Verbindung mit der kunstmäßig ausgebildeten Lyrik auf die Entwickelung der Comedia, des nationalen Dramas, des eigentlichen sprechenden Ausdrucks des poetischen Lebens der Nation. Dieses hatte gleich beim Beginn seiner Entwickelung in den bereits früher erwähnten Dichtern Naharro und Gil Vicente die Repräsentanten der Hauptrichtungen gefunden, die später eingeschlagen wurden, indem der erstgenannte mehr idealisierend zu den phantasiereichen Schöpfungen der heroischen Verwickelungs- und Intrigenstücke (comedias de ruido, comedias de capa y espada) anregte, der letztere aber der Vorläufer jener Dramatiker wurde, welche in der Darstellung des Volkslebens in seiner Wirklichkeit ihre Aufgabe suchten. Letztern schlossen sich zunächst Lope de Rueda (um 1560), Verfasser der Stücke: "Comedia de las engañas" und "Eufemia", und Alonso de la Vega sowie die zahlreichen Verfasser der sogen. Vor- und Zwischenstücke (loas, pasos, farsas, entremeses, sainetes und comedias de figuron) an. Neben diesen Gattungen bestanden die geistlichen Schauspiele, aus denen zunächst das spanische Drama hervorgegangen ist, fort und bildeten sich in der Folge nach verschiedenen Richtungen, als Autos sacramentales (Fronleichnamsspiele) und Autos al nacimiento (zur Feier der Geburt Christi), selbständig aus (s. Auto). Die gelehrten Klassizisten versuchten zwar um die Mitte des 16. Jahrh. durch Übersetzung und Nachbildung antiker Stücke auch das spanische Drama nach den Mustern des klassischen Altertums umzugestalten, und mehrere Dramatiker, z. B. Geronimo Bermudez, der unter dem Namen Antonio de Silva Tragödien mit Chören schrieb, schlossen sich dieser antikisierenden Richtung an; allein sie vermochten die volle originale Entwickelung des spanischen Dramas nicht zu hemmen, und die begabtesten Dichter folgten bald ausschließlich der nationalen Fahne. Zu diesen gehörten namentlich: Juan de la Cueva (um 1580), Verfasser der Komödie "El infamador", der in seinem Buch "Exemplar poetico" auch eine spanische Poetik aufstellte, Rey de Artieda, Dichter der "Amantes de Teruel", eines Stücks von hoher Schönheit, und Cristoval de Virues (gest. 1610), dessen Tragödien (besonders "Semiramis" und "Cassandra") wahres tragisches Pathos und ein kräftiger, ungezwungener Dialog nachzurühmen sind.

Die Entwickelung der spanischen Prosa blieb im 16. Jahrh. hinter den poetischen Fortschritten nicht zurück; durch das immer allgemeiner werdende Studium des Altertums gewann dieselbe an Klarheit, Kraft und Eleganz. Der erste, welcher sie auch für didaktische Werke, für die Darstellung philosophischer Gedanken und Betrachtungen mit Erfolg anwandte, war Fernan Perez de Oliva (gest. 1534), der Verfasser des gediegenen Werkes "Dialogo de la dignidad del hombre", zu welchem Francisco Cervantes de Salazar eine nicht minder treffliche Fortsetzung lieferte, und seinem Beispiel folgte eine große Anzahl von Schriftstellern, von denen nur Antonio de Guevara (gest. 1545) mit seinem Hauptwerk: "Relox de principes, o Marco Aurelio", einer Art didaktischen Romans, und seinen (zum größern Teil erdichteten) "Epistolas familiares" erwähnt sei. Auf dem Gebiet der Geschichtschreibung gab man den alten Chronikenstil jetzt gänzlich auf und suchte die historische Kunst in pragmatischer Darstellung und schöner Form den Griechen und Römern abzulernen. Dieses Bestreben zeigt sich bereits bei den Historiographen Karls V., Pero Mexia und Juan Ginez de Sepulveda (gest. 1574), entschiedener aber noch bei den eigentlichen Vätern der spanischen Geschichtschreibung: Geronimo Zurita aus Saragossa (gest. 1580), Verfasser der wichtigen "Anales de la corona de Aragon", welche später in dem Dichter Bartol. Leonardo Argensola einen Fortsetzer fanden, und Ambrosio de Morales (gest. 1591), der die von Florian de Ocampo begonnene Geschichte Kastiliens mit Umsicht und Kritik weiterführte. Als das erste spanische Geschichtswerk aber von klassischem Wert muß die Geschichte des Rebellionskriegs von Granada ("Historia de la guerra de Granada") des oben als Dichter erwähnten Diego de Mendoza (gest. 1575) genannt werden. Weiter sind zu erwähnen die Berichterstatter über die Neue Welt: Fernandez de Oviedo, der eine "Historia general y natural de las Indias" (1535) schrieb, und der edle Las Casas (gest. 1566), dessen "Historia de las Indias" 1876 zum erstenmal veröffentlicht wurde, namentlich aber der Jesuit Juan de Mariana (gest. 1623), Verfasser einer "Historia de España", die bis zur Thronbesteigung Karls V. (1516) reicht und rhetorische Kraft mit Anschaulichkeit der Charakteristik und freimütiger Gesinnung verbindet. Eine Stelle in der spanischen Litteraturgeschichte beanspruchen auch die nach seiner Flucht aus Spanien geschriebenen, in klassischem Stil abgefaßten Briefe des berühmten Geheimschreibers Philipps II., Antonio Perez (gest. 1611), denen man die der heil. Teresa de Jesus (gest. 1582), obschon ihrer Art nach ganz verschieden von jenen, an die Seite stellen kann; ebenso die asketischen und religiösen Erbauungsbücher von Fray Luis de Leon (Klostername des Dichters Ponce de Leon) und dem Kanzelredner Fray Luis de Granada (gest. 1588), die Schriften ähnlicher Art von San Juan de la Cruz und Malon de Chaide ("La conversion de Madalena") u. a. Auch der erste spanische Versuch eines historischen Romans, die vortreffliche "Historia de las guerras civiles de Granada" von G. Perez de Hita (um 1600), fällt in diese Zeit. In ihrer höchsten Vollendung zeigte sich aber die kastilische Sprache erst in dem größten und tiefsinnigsten Schriftsteller Spaniens, Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616), der alle Richtungen der Zeit in sich vereinigte, aber über denselben stand und nicht nur in seinem unübertroffenen satirisch-komischen Roman "Don Quijote", der dem herrschenden Unwesen der Ritterromane den Todesstoß versetzte, und in seinen "Novelas" Meisterleistungen aufstellte, sondern auch den Schäfer- und den Liebesroman kultivierte und sogar auf dramatischem Gebiet mit seiner "Numancia" und den "Entremeses" Werke von nationaler Bedeutung schuf.

Mit dem 17. Jahrh., in das Cervantes' "Don Qui-^[folgende Seite]