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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Waterloo

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Waterloo (Schlacht bei).

Plan war, den Hauptangriff auf den linken Flügel Wellingtons zu richten; ein Sturm auf Hougomont sollte diese Bewegung maskieren und einen Teil der feindlichen Kräfte dorthin ziehen. Des Regens wegen, der die ganze Nacht hindurch gefallen war, konnte er erst 11½ Uhr das Zeichen zum Angriff geben. Die Infanteriedivision Jérôme rückte gegen das Schloß Hougomont. Das vorliegende Lustwäldchen blieb nach mehrstündigem Gefecht in der Gewalt der Franzosen. Desto hartnäckiger verteidigten die Braunschweiger und Nassauer den Vorhof und das Schloß selbst. Den Angriff auf den linken Flügel der Alliierten eröffnete das Feuer von 70 Geschützen; doch verzögerte sich derselbe etwas, da Napoleon die unerwartete Nachricht von dem Anmarsch der Preußen in seiner rechten Flanke erhielt, gegen den eine genügende Vorsorge zu treffen er sich doch nicht entschließen konnte. Erst um 2 Uhr griff Ney mit dem Erlonschen Korps La Haye Sainte an. Der erste Sturm hatte Erfolg: die Niederländer flohen, und schon drangen die Franzosen die Höhe hinan vor, als General Picton mit zwei Infanteriebrigaden, dann Somerset und Ponsonby mit zwei Brigaden auserlesener britischer Reiterei die Franzosen zurückwarfen und bis unter ihre Batterien verfolgten; Picton und Ponsonby fanden dabei den Heldentod, von der britischen Kavallerie blieb fast die Hälfte auf dem Schlachtfeld. Aber der erste große Angriff war abgeschlagen, 3000 Franzosen gefangen. Nach einer Pause, während welcher die Franzosen ein furchtbare Kanonade eröffneten, unternahm die französische Reiterei (40 Schwadronen) einen zweiten Angriff, um zwischen La Haye Sainte und Hougomont durchzubrechen. Trotz des Kartätschenhagels erstieg sie die Höhe; erst als sie auf 30 Schritt an die englischen Karrees heran war, gaben diese ein verheerendes Feuer, zugleich stürmte die verbündete Kavallerie hervor und warf die französische Reiterei zurück. Ein zweiter Versuch scheiterte ebenso wie ein dritter, den sie, durch Kellermanns schwere Reiterei und den Rest der Garde auf 77 Schwadronen verstärkt, mit entschlossener Kühnheit unternahm, an dem heldenmütigen Widerstand der Alliierten. Unterdessen tobte der Kampf der Infanterie um den Besitz der Dörfer und Gehöfte. Hougomont wurde trotz immer neuer Angriffe von den Alliierten behauptet, La Haye Sainte mußte aber zwischen 5 und 6 Uhr nachmittags geräumt werden. Wellingtons Heer war fast bis auf die Hälfte zusammengeschmolzen. Auch die Franzosen hatten große Verluste erlitten; aber sie waren bis dicht an die Linie der Verbündeten vorgedrungen und durften hoffen, sie durch immer erneute Stöße zu ermüden und endlich zu vernichten. Doch im Vertrauen auf die von Blücher zugesagte preußische Hilfe hielt Wellington mit kaltblütiger Ruhe bis zum Äußersten stand. Und die Preußen erschienen wirklich. Trotz der Mühen und Beschwerden, welche die durch den Regen aufgeweichten Wege den marschierenden Kolonnen bereiteten, erreichten die Spitzen von Bülows Korps nach 1 Uhr den östlichen Rand des Schlachtfeldes, und 4½ Uhr konnte Bülow mit seinem ganzen Korps bei Frichemont zum Angriff auf Lobau schreiten, der mit zwei Divisionen den Preußen entgegengeschickt worden war, um ihren Marsch aufzuhalten. Doch war Lobau schon zu schwach dazu und mußte sich auf Planchenois, ein Dorf fast im Rücken des französischen Zentrums, zurückziehen, um dessen Besitz sich nun ein hitziger Kampf entspann. Napoleon schickte Lobau 12 Bataillone Garde mit 24 Geschützen zu Hilfe, um Planchenois in jedem Fall gegen die inzwischen auf 45,000 Mann verstärkten Preußen zu halten. Er selbst beschloß, mit einem letzten großen Schlag, ehe Planchenois gefallen war, Wellingtons Schlachtlinie zu durchbrechen und so seine Niederlage abzuwenden. Eine Division von Erlons Korps und 10 Bataillone Kaisergarde gingen zum Angriff vor, aber sie wurden von den Verbündeten unter Wellingtons persönlicher Führung zurückgeschlagen. Überall waren die Franzosen im Weichen begriffen und sammelten ihre Trümmer bei Belle-Alliance. Nur die Garde bewahrte einigermaßen ihre Haltung. In dieser Zeit eroberten die Preußen endlich Planchenois, drängten den geschlagenen Feinden energisch nach, drückten ihren rechten Flügel völlig ein und verwandelten ihren Rückzug in wilde Flucht. Blücher und Wellington trafen um 9 Uhr bei Belle-Alliance zusammen. Die Verfolgung betrieben die Preußen unter Gneisenaus Leitung mit rastloser Energie die ganze Nacht hindurch. Die Flucht der Franzosen ging über Charleroi und Philippeville nach Laon, wo sich höchstens 2000 Mann zusammenfanden. Die Resultate der Schlacht waren ungeheuer. Das ganze Geschütz und die Feldequipage des Kaisers fielen in die Hände der Sieger. Der Verlust der Franzosen an Toten, Verwundeten und Gefangenen betrug mehr als die Hälfte der Armee, an Geschützen 182. Der Verlust der Verbündeten betrug 1120 Offiziere und 20,877 Mann. Napoleon schrieb dem willkürlichen Vordringen der Reservekavallerie und dem Nichteintreffen Grouchys die Schuld seines Unglücks zu, allein dieser erhielt den von Napoleon am 18. vormittags gegebenen Befehl erst abends nach 7 Uhr. Napoleon selbst hatte an diesem Tag seine gewohnte feste und kaltblütige Haltung verloren und durch den letzten verzweifelten Angriff die Vernichtung seines Heers und damit den Untergang seiner 100tägigen Herrschaft selbst verschuldet. Auf alliierter Seite entbrannte infolge britischer Anmaßung, auch Wellingtons selbst, der sich das alleinige Verdienst am Sieg beimessen wollte, ein Streit über das Verdienst der verschiedenen Heere der Verbündeten, der jedoch jetzt von unparteiischer Seite dahin entschieden ist, daß den Preußen unter Blücher ein gleiches Verdienst zukommt wie dem Wellingtonschen Heer, das überdies fast zur Hälfte aus deutschen Truppen bestand. Von dieser Schlacht führte Wellington den Titel Fürst von W. Nahe bei W., auf dem Schlachtfeld, in der Gemarkung des Weilers Mont St.-Jean, steht das von dem Prinzen von Oranien und der holländischen Armee errichtete Denkmal, ein 60 m hoher, künstlicher Hügel in Form eines Hünengrabs mit einer 19 m hohen Säule, die einen kolossalen Löwen trägt. Bei Planchenois, 1½ Stunde südlich von W., befindet sich unweit des Meierhofs Belle-Alliance ein von dem König von Preußen errichtetes eisernes Denkmal. Diese beiden Denkmäler wurden 1832 von den Franzosen, bei Gelegenheit ihrer Intervention zu gunsten Belgiens, sehr beschädigt. Außerdem stehen noch unweit von W. selbst zwei kleinere Denkmäler für den Obersten Gordon und die gefallenen Offiziere der englisch-deutschen Legion. Vgl. Gourgaud, Campagne de 1815, mit den Noten eines deutschen Offiziers (Berl. 1819); Gérard, Quelques documents sur la bataille de W. (Par. 1829); Derselbe, Dernières observations sur la bataille de W. en réponse à Mr. de Grouchy (das. 1830); Gleig, History of the battle of W. (2. Aufl., Lond. 1861); Siborne, Geschichte des Kriegs in Frankreich und Belgien im Jahr 1815 (deutsch, Berl. 1846, 2 Bde.); (General v. Grolman) »Geschichte des Feldzugs von 1815« (das 1837-1838, 2 Bde.); Beitzke, Geschichte des Jahrs 1815