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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wiesbaden

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Wiesbaden.

erbaut); die neue Synagoge; das schöne königliche Schloß am Markt (1837-40 erbaut); das neue Rathaus ebendaselbst (1884-88 nach Plänen des Baumeisters Hauberrisser in München im deutschen Renaissancestil ausgeführt); das Museum mit Gemäldegalerie; das Altertumsmuseum; das Naturalienkabinett und die Bibliothek (mit 100,000 Bänden); das Palais Pauline (1842 im Stil der Alhambra erbaut); das im florentinischen Stil erbaute Regierungsgebäude; das Theater (mit Schillerdenkmal auf dem Theaterplatz); das neue Schlachthaus; das Justizgebäude etc. Ferner sind zu nennen: das prächtige, 121 m lange Kurhaus, das an beiden Seiten mit stattlichen, als Bazare dienenden Säulengängen, einem von sechs ionischen Säulen getragenen Portikus und prachtvollen Sälen geziert ist; die neue, an der Hauptquelle, dem Kochbrunnen, errichtete große Trinkhalle, in der Nähe derselben, auf dem Kranzplatz, eine schöne marmorne Hygieiagruppe von Hoffmann sowie auf dem Luisenplatz das Obeliskendenkmal, 1865 zur Erinnerung an die nassauischen Gefallenen der Freiheitskriege errichtet. Die ausgedehnten Parkanlagen am Kurhaus, mit einem Teich und einer 36 m hohen Fontäne, erstrecken sich bis zur Wasserheilanstalt Dietenmühle und weiter bis zur Burgruine Sonnenberg. Unmittelbar nördlich der Stadt erhebt sich der an seiner Südseite mit Weinbergen bedeckte, sonst reichbewaldete Neroberg mit Restaurationsgebäude und Aussichtsturm, nach welchem seit 1888 eine Drahtseilbahn führt. Am Abhang des Bergs steht die 1855 vollendete russisch-griechische Kapelle, welche Herzog Adolf als Grabmal für seine 1845 verstorbene Gemahlin Elisabeth erbauen ließ. Die Zahl der Einwohner beläuft sich (1885) mit der Garnison (ein Infanteriebat. Nr. 80 und eine Abteilung Feldartillerie Nr. 27) auf 55,454 Seelen, darunter 16,483 Katholiken und 1370 Juden. Die Industrie der Stadt ist nicht hervorragend.

Die Bedeutung von W. beruht auf den dortigen Mineralquellen, die jährlich von mehr als 80,000 Kurgästen besucht werden. Die hier entspringenden Thermalquellen wurden schon von den Römern als Fontes Mattiaci (bei Plinius) oder Aquae Mattiacae (bei Ammianus Marcellinus) benutzt, doch erwarb sich W. als Kurort erst seit dem 16. Jahrh. einen ausgebreiteten Ruf, der seitdem immer zugenommen hat, besonders auch, nachdem es wegen seines milden Klimas als Winteraufenthalt und behufs der Abhaltung von Winterkuren so besucht wird, daß die Frequenz der Wintersaison derjenigen der Sommersaison kaum nachsteht. Die zahlreichen Quellen, welche an Gehalt nur wenig und nur an Temperatur (40-69° C.) verschieden sind, gehören zu den alkalischen Kochsalzthermen und zeichnen sich durch ihre große Ergiebigkeit wie durch Reichtum an festen Bestandteilen (Chlornatrium überwiegend, Chlorcalcium, Chlormagnesium, Chlorkalium, kohlensaurer Kalk etc.) aus. Man zählt ihrer im ganzen 23, von denen die bedeutendste, der Kochbrunnen (69° C.), ferner die Schützenhofquelle und der Adlerbrunnen (64° C.) offen zu Tage treten. Sämtliche Quellen geben zusammen 1,4 cbm Wasser in der Minute. Der Kochbrunnen allein wirft täglich 45,5 Doppelztr. Kochsalz aus, von andern Bestandteilen abgesehen, und versorgt 11 Badehäuser und täglich ca. 400 Bäder. Das Wasser der Quellen ist meist klar, durchsichtig, nur bei einigen etwas ins Gelbliche spielend, entwickelt unaufhörlich Luftbläschen, besitzt einen faden, laugenhaft ammoniakalischen Geruch, ähnlich dem von gelöschtem Kalk oder gekochten Eiern, und einen faden, ungesalzener Fleischbrühe ähnlichen Geschmack. Das auf der Oberfläche des Wassers sich bildende schillernde Häutchen, die Thermenhaut oder Salzhaut genannt, besteht fast bloß aus Kalkerde; der in den Kanälen, durch welche das Wasser fließt, sich absetzende rotbraune Sinter besteht aus Eisenoxyd, kieselsaurer Thonerde, schwefelsaurem Kalk, vorzüglich aber aus kohlensaurer Kalk- und Thonerde. Außer den Thermalquellen besitzt W. im NW. der Stadt auch noch drei ärztlich nicht benutzte Mineralquellen von 9,4-20° C. Die Thermen von W. werden zum Baden (auch in Form von Douchen und Dampfbädern) wie zur Trinkkur benutzt und haben sich als treffliches Heilmittel bewährt bei Katarrhen des Magens und des Verdauungskanals, ferner bei Rheumatismen, bei Hämorrhoiden und überhaupt Unterleibsstockungen, bei Gicht (jedoch erst nach dem Verschwinden aller Entzündungssymptome), endlich bei verschiedenen Hautkrankheiten, alten Geschwüren und Neuralgien. In W. befindet sich auch eine gymnastische Heilanstalt, eine Anstalt zur Heilung von Morphiumsüchtigen, berühmte Augenheilanstalten, 2 Kaltwasserheilanstalten (Nerothal und Dietenmühle), eine Militärheilanstalt (Wilhelmsheilanstalt) etc. Ebenso wird W. behufs der Trauben- und Milchkur stark besucht. Der Bau eines Sanatoriums unter Leitung des von Amsterdam nach W. übergesiedelten berühmten Arztes Metzger steht bevor. Der Handel wird unterstützt durch eine Handelskammer, eine Reichsbankstelle (Umsatz 1887: 85 Mill. Mk.) und andre Bankinstitute. Er ist nur bedeutend in Wein, für welchen W. weltberühmte Großhandlungen besitzt. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine Pferdebahn. An Bildungs- und andern ähnlichen Anstalten befinden sich in W. ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine Realschule, ein chemisches Laboratorium des Dr. Fresenius, eine agrikultur-chemische Versuchsstation, ein chemisches Laboratorium, eine Gewerbeschule, ein landwirtschaftliches Institut (zu Hof Geisberg), eine Blindenanstalt, ein Rettungshaus etc. Die städtischen Behörden zählen 14 Magistratsmitglieder und 72 Stadtverordnete. Sonst ist W. Sitz einer königlichen Regierung, eines Konsistoriums, eines königlichen Polizeipräsidiums, eines Landratsamtes (für den Landkreis W.), eines Landgerichts, einer Forstinspektion, eines Bergreviers, eines Steueramtes etc. In der Umgegend sind zu nennen: die Ruine Sonnenberg, teilweise restauriert, mit Restauration und hübschen Spaziergängen; das ehemalige Kloster Klarenthal, jetzt Dominialpachthof mit Restauration; weiterhin der Schäferskopf (455 m) und die Hohe Wurzel (510 m), Berge des Taunus, mit prächtiger Aussicht, beide mit Aussichtsturm, letztere noch mit einer Schutzhütte, errichtet vom Taunusklub; ferner die Platte (500 m), auf der Höhe des Taunus mit Jagdtrophäen, Hirschgeweihen, Möbeln zum Teil ganz aus Hirschhorn, Wandgemälden und prachtvoller Aussicht. - Zum Landgerichtsbezirk W. gehören die 16 Amtsgerichte zu Braubach, Eltville, Hochheim a. M., Höchst a. M., Idstein, Kamberg, Katzenelnbogen, Königstein a. T., Langenschwalbach, Nastätten, Niederlahnstein, Rüdesheim, St. Goarshausen, Usingen, Wehen und W.

W. ist aus einem Kastell entstanden, das die Römer 11 v. Chr. am Kreuzungspunkt von drei Heerstraßen anlegten, und um welches der heilkräftigen Quellen halber bald eine Ansiedelung erwuchs. Der Ort führte nach der Völkerschaft der Mattiaker den Namen Aquae Mattiacae. Von jenem Kastell sind 1838 auf der Höhe des sogen. Heidenbergs und der Röderstraße Mauer-^[folgende Seite]