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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zinn

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Zinn (Gewinnung, Geschichtliches).

Zu heiß gegossenes Z. ist rotbrüchig, während das vor dem Gießen bis zum Mattwerden der Oberfläche abgekühlte kaltbrüchig wird. Bei 200° läßt sich das Z. pulverisieren, auch bei großer Kälte (-36°) wird es spröde und zerfällt bei längerer Einwirkung der Kälte zu einem grauen Pulver. Das Atomgewicht des Zinns ist 117,8, das spez. Gew. 7,3; es schmilzt bei 235° und verdampft in sehr hoher Temperatur. Der Glanz des Zinns verschwindet wegen der Weichheit des Metalls bald beim Gebrauch, sonst hält sich Z. an der Luft und im Wasser lange unverändert; beim Schmelzen bedeckt es sich mit einer grauen Haut (Zinnkrätze) und geht endlich in Zinnoxyd (Zinnasche) über; bei Weißglut verbrennt es direkt mit weißer Flamme zu Zinnoxyd. Es löst sich in Salzsäure unter Entwickelung von Wasserstoff zu Chlorür, wird von verdünnter Schwefelsäure wenig angegriffen, aber von konzentrierter unter Entwickelung von schwefliger Säure in schwefelsaures Zinnoxydul verwandelt. In kalter verdünnter Salpetersäure löst es sich ohne Gasentwickelung und bildet salpetersaures Zinnoxydul neben salpetersaurem Ammoniak; von sehr konzentrierter Salpetersäure wird es nicht angegriffen, auf Zusatz von wenig Wasser entsteht in Salpetersäure unlösliches Zinnoxyd. In Königswasser löst es sich zu Zinnchlorid; mit Kalilauge erhitzt, gibt es unter Entwickelung von Wasserstoff zinnsaures Kali. Manche Salze, wie Salmiak, Kochsalz, Weinstein, Alaun, lösen geringe Mengen Z. Aus seinen Lösungen wird Z. durch Zink kristallinisch gefällt. Z. ist vierwertig und bildet mit Sauerstoff Oxydul SnO und Oxyd SnO2 ^[SnO_{2}]. Es dient zu allerlei Geräten, Geschirren, Destillierhelmen, Kühlapparaten, Röhren, Kesseln für Färber und Apotheker etc., ferner zum Verzinnen von Kupfer und Eisen (Weißblech), als Stanniol zum Belegen der Spiegel und zum Einwickeln von allerlei Sachen, die nicht austrocknen sollen. Mit Kupfer gibt es wichtige Legierungen: Bronze, Glockengut, Kanonengut; auch wird es viel mit Blei und Zink legiert und dient außerdem zur Darstellung von Zinnpräparaten für Färber etc., Musivgold, Zinnasche etc.

Z. spielte in prähistorischer Zeit sowohl für sich als, mit Kupfer legiert, als Bronze eine große Rolle. Die Pfahlbauten der Schweiz lieferten mit Stanniolstreifen belegte Thongefäße, Nadeln, Knöpfe, Ringe aus Z. und Fragmente von Gefäßen. Auch die Gräber von Amrum aus der Bronzezeit, dänische und fränkische Gräber enthielten Zinngeräte und Zinngeschirre, keltische Münzen der La Tène-Periode aus Z. und Blei mit etwas Kupfer wurden in Böhmen gefunden, ebenso kennt man britische und gallische Münzen aus Z. Ein Zinnbarren aus einer verlassenen Grube in Cornwall wird den Phönikern zugeschrieben. Übrigens kann sehr wohl die Bronze früher bekannt geworden sein als das Z., wenn man kiesige Kupfererze mit Zinnerzen verschmolz.

Das Z. scheint im Altertum von Hinterindien aus über Asien und Ostafrika verbreitet worden zu sein. Berthelot hat auf Zinngruben in Chorasan hingewiesen, die wahrscheinlich schon im Altertum in Betrieb gewesen sind, und Strabon erwähnt in Drangiana, einer Provinz südlich von Chorasan, befindliche Zinngruben. Homer kannte es unter dem Namen Kassiteros, dessen sich auch die Römer bedienten. Phöniker brachten Z. aus Spanien und den Kassiteriden (Scillyinseln), für den Welthandel aber war wohl das indische Z. am wichtigsten, von welchem ganz bedeutende Mengen für die Bronzebearbeitung der asiatischen Kulturstaaten verbraucht wurden. Man verzinnte damals bereits Küchengeräte, und in Indien wie in China war bereits 1800 v. Chr. die Bronzeindustrie hoch entwickelt, auch prägte man in China Münzen aus Z. In Europa war Cadiz, später unter den Römern Marseille Hauptstapelplatz für spanisches und englisches Z., welches die Römer als Plumbum candidum von Blei (Plumbum nigrum) unterschieden. Das reine Z. benutzte man zum Verzinnen von Kupfer, zu Geräten und bisweilen als Münzmetall, die Bronze wurde wohl durch Verhüttung gemischter Kupfer- und Zinnerze dargestellt. Das lateinische Stannum stammt vom cornwallischen stean, als Zeichen, daß Cornwall in den ersten Jahrhunderten n. Chr. den Markt beherrscht haben muß. Einen bedeutenden Aufschwung nahm die Zinnindustrie durch die Ausbreitung der indischen Erfindung des Glockengusses, welche früh nach Byzanz gelangte und im 6. Jahrh. bereits in Italien im Dienste des christlichen Kultus stand. Im frühen Mittelalter scheint Devon die größte Zinnproduktion gehabt zu haben, aber seit dem 14. Jahrh. behielt Cornwall den Vorrang. Um diese Zeit blühte auch die böhmische Zinnproduktion, welche bei Graupen seit dem 12. Jahrh. bekannt war. Das böhmische Z. wurde teils im Land selbst verarbeitet, teils nach Deutschland gebracht. Sehr viel Z. konsumierte dann die Artillerie (die Araber hatten schon 1131 Bronzekanonen), überdies wurde die Verwendung des Zinns zu Tafelgeschirr in Italien und Deutschland volkstümlich. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. lieferte auch Sachsen viel Z. (Altenberg, Ehrenfriedersdorf). Im 16. Jahrh. entdeckte man die Verwendung der Zinnfolie als Spiegelbelag, die Zinnglasur für Kochgeschirre und Majolika, das Zinnemail für Metallwaren, und bald wurden Zinnpräparate in der Färberei unentbehrlich, seitdem Libavius das Zinnchlorid und Drebbel die Wichtigkeit desselben für die Cochenillefärberei entdeckt hatte. Im 17. Jahrh. hob sich die Industrie in Cornwall durch Verbesserung im Bergbau und durch Einführung der Steinkohle bei der Verhüttung der Zinnerze, auch in Böhmen und Sachsen blühte noch im 18. Jahrh. die Zinnproduktion, um dann in unserm Jahrhundert fast vollständig zu sinken. Das Verzinnen von Eisenblech ist eine böhmische Erfindung, die 1620 nach Sachsen und 1670 nach England kam. Im 16. Jahrh. erschien auch das erste Z. aus Malakka auf dem europäischen Markt, seit 1829 lieferte auch Bangka und seit 1855 Billiton, seit wenigen Dezennien auch Peru, Chile, Bolivia, Holländisch-Java und Australien Z. für den europäischen Markt. Die Zinngießerei blühte in Deutschland, England, Frankreich, besonders im 18. Jahrh. (vgl. Salmon, Art du potier d'étain, 1788), wurde aber in unserm Jahrhundert durch die Herstellung gepreßter verzinnter Eisenblechwaren verdrängt (s. Zinnguß). Die Abfälle der Weißblechindustrie (etwa 6 Proz. des verarbeiteten Blechs mit 3-5 Proz. Z.) werden seit 1848 auf Zinnpräparate verarbeitet. Die Zinnproduktion beträgt gegenwärtig 40-50,000 Ton. pro Jahr. Davon entfallen auf Australien 10,000-15,000 T., England 10,000 T., Malakka und die Inseln 10,000 T., außerdem Bangka und Billiton 7000-9000 T., Tasmania 3-5000 T., Chinas Produktion wird auf mindestens 5000 T. berechnet. Die hauptsächlichsten Konsumenten sind China, Indien, der Orient (Verzinnung von Kupfer), Vereinigte Staaten, England und Frankreich (Verzinnung von Eisen). Vgl. Reyer, Z., eine Monographie (Berl. 1881); Posewitz, Das Zinnvorkommen etc. in Bangka (Budapest 1886).