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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zirkularpolarisation

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Zirkularpolarisation.

zum Strahl senkrecht steht, um diesen herum, so daß, wenn man in irgend einem Augenblick alle gleichzeitigen Lagen der Ätherteilchen durch eine krumme Linie verbunden denkt, eine Wellenlinie o'a''b''c''d' (Fig. 5) entsteht, welche sich schraubenförmig um den Strahl herumwindet, indem jeder Wellenlänge (o' d' = o d) ein voller Umgang der Schraube entspricht. Einen Lichtstrahl von dieser Beschaffenheit nennt man kreisförmig oder zirkular polarisiert und bezeichnet zum Unterschied die sonst kurzweg so genannten polarisierten Strahlen, deren Schwingungen in geraden, zur Strahlrichtung senkrechten Linien und in einer bestimmten durch den Strahl gelegten Ebene vor sich gehen, als geradlinig polarisiert. Ein kreisförmig polarisierter Lichtstrahl kann, da seine Beschaffenheit ringsherum die gleiche ist, nach verschiedenen Seiten kein verschiedenes Verhalten zeigen wie ein geradlinig polarisierter Strahl; er verhält sich, mit dem Analyseur untersucht, anscheinend wie ein natürlicher Lichtstrahl. Schickt man ihn jedoch durch ein Viertelwellen-Glimmerblättchen, so wird er, weil dadurch der vorhandene Gangunterschied der beiden Schwingungen a b und c d (Fig. 4), welcher ¼-Wellenlänge beträgt, entweder aufgehoben, oder auf ½-Wellenlänge gebracht wird, in geradlinig polarisiertes Licht verwandelt, während das natürliche Licht unter diesen Umständen als solches fortbesteht.

Ein andres Mittel, das Licht kreisförmig zu polarisieren, bietet die totale Reflexion (s. Brechung, S. 375) dar; unterwirft man derselben einen geradlinig polarisierten Lichtstrahl, dessen Schwingungsebene unter 45° zur Reflexionsebene geneigt ist, so erlangen die beiden parallel und senkrecht zur Reflexionsebene polarisierten Strahlen, in welche man den einfallenden Strahl zerlegt denken kann, einen Gangunterschied, dessen Betrag von der Beschaffenheit der total reflektierenden Substanz und von dem Einfallswinkel abhängt. Für Glas von St.-Gobain fand Fresnel, daß dieser Gangunterschied ein Maximum wird, wenn der Einfallswinkel = 54° 30' ist, und daß er alsdann ⅛-Wellenlänge beträgt. Eine zweimalige innere Reflexion unter diesen Umständen erzeugt demnach einen Gangunterschied von ¼-Wellenlänge; dieselbe wird realisiert durch Fresnels Parallelepiped (a b c d, Fig. 6); stellt man dasselbe so auf das Glastischchen des Nörrembergschen Polarisationsapparats, daß seine Reflexionsebene mit der Schwingungsebene des Polarisators einen Winkel von 45° bildet, so ist das auf dem Weg b p s d austretende Licht kreisförmig polarisiert und zwar selbst bei Anwendung von weißem Licht in vollkommener Weise, da für sämtliche homogene Farben der hervorgebrachte Gangunterschied genau eine Viertelwelle beträgt. Durch Reflexion an Metalloberflächen wird das natürliche Licht elliptisch polarisiert.

Empfängt ein Pendelgewicht, während es sich in der Entfernung O A (Fig. 7) von seiner Gleichgewichtslage O befindet, gleichzeitig zwei entgegengesetzte gleich kräftige Stöße nach A a und A a', von denen jeder für sich im Verein mit dem Antrieb, den das Pendel in der Richtung A O bereits besitzt, eine Kreisbewegung, der eine rechts herum, der andre links herum, hervorbringen würde, so wird das Pendel, da die beiden Stöße sich aufheben, entlang der geraden Linie A B hin- und herschwingen. Erfolgt der zweite Stoß später, nachdem der Pendelkörper vermöge des ersten bereits den Kreisbogen Ar zurückgelegt hat, so entsteht ebenso eine geradlinige Bewegung längs r r'. Überträgt man diese Betrachtung auf die Lichtschwingungen, so erkennt man, daß aus dem Zusammenwirken zweier entgegengesetzt kreisförmig polarisierter Lichtstrahlen von sonst gleicher Beschaffenheit ein geradlinig polarisierter Lichtstrahl hervorgeht, und daß umgekehrt jeder geradlinig polarisierte Lichtstrahl in zwei gleich helle, entgegengesetzt kreisförmig polarisierte Strahlen zerlegt oder durch sie ersetzt werden kann. Diese in den allgemeinen Bewegungsgesetzen begründete Vorstellung würde ohne praktische Bedeutung bleiben, wenn es nicht Körper gäbe, welche auf rechts kreisförmiges Licht in anderer Weise wirken als auf links kreisförmiges. Ein solcher Körper ist der Quarz. Die durch ihn bewirkte Drehung der Schwingungsebene erklärt sich nämlich nach Fresnel daraus, daß sich längs der Achse eines Bergkristalls entgegengesetzt kreisförmig polarisierte Strahlen mit verschiedener Geschwindigkeit fortpflanzen. Ein geradlinig polarisierter Lichtstrahl muß sich alsdann beim Eintritt in eine Bergkristallplatte in zwei entgegengesetzt kreisförmige zerlegen, welche sich, nachdem sie die Platte mit ungleicher Schnelligkeit durchlaufen haben, bei ihrem Austritt wieder zu einem geradlinig polarisierten Strahl vereinigen, dessen Schwingungsebene nach rechts oder nach links von derjenigen des einfallenden Strahls abweicht, je nachdem in der Quarzplatte der rechts oder der links kreisförmige Antrieb voraneilt und die an der Austrittsfläche gelegenen Ätherteilchen früher erfaßt.

Das Vermögen, die Schwingungsebene des geradlinig polarisierten Lichts zu drehen, ist außer dem Quarz nur wenigen festen Körpern eigen, z. B. dem chlorsauren Natron, dem Zinnober, dem schwefelsauren Strychnin; dagegen besitzen viele Flüssigkeiten diese Fähigkeit. Nach rechts drehen deutsches Terpentinöl, Zitronenöl, alkoholische Kampferlösung, wässerige Lösungen von Rohrzucker, Traubenzucker, Dextrin, Weinsäure etc.; nach links französisches Terpentinöl, Kirschlorbeerwasser, wässerige Lösungen von arabischem Gummi, Inulin, Chinin, Morphin, Strychnin etc. Ferner besitzen die meisten ätherischen Öle diese Fähigkeit. Da das Drehungsvermögen dieser Flüssigkeiten viel geringer ist als dasjenige des Quarzes, so muß man, um dasselbe genau beobachten zu können, viel dickere Schichten anwenden; man füllt daher die Flüssigkeiten in Röhren (Fig. 8), welche an den Enden mit ebenen Glasplatten verschlossen sind. Die Drehung wächst einerseits im Verhältnis der Dicke der Schicht, d. h. der Länge der Röhre, anderseits im Verhältnis des Gehalts der Flüssigkeit an wirksamem Stoff (z. B. Zucker). Da

^[Abb.: Fig. 6. Fresnels Parallelepiped. Fig. 7. Fig. 8. Röhre zur Aufnahme von Flüssigkeiten.]