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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Französische Litteratur (seit 1884: Tagespolitik, Kunstgeschichte, Reisebilder etc.)

zeitig veröffentlicht Pallain, der sich schon durch die Herausgabe des Briefwechsels des Fürsten Talleyrand und Ludwigs XVIII. ein Verdienst erworben hat, "La mission de Talleyrand à Londres en 1792", die er nach seiner Gewohnheit mit wertvollen Kommentaren begleitet.

Neue Beiträge zur zeitgenössischen Geschichte in diplomatischer Form liefern: "La France et sa politique extérieure en 1867" (2 Bde.), "L'Italie", "La politique française en 1867" von Rothan, welcher durch sein Werk "L'Allemagne en 1870-1871" bekannt geworden war. "Mes petits papiers" nennt bezeichnend genug Hector Pessard seine da und dort in der Tagespresse erschienenen und in einem Band vereinigten Besprechungen politischer Ereignisse und Persönlichkeiten, die bald scherzend, neckend, scharmützelnd, bald ernst und herb, dem Gegner scharf auf den Leib rückend verfahren, immer aber den gewandten, geistvollen Publizisten erraten lassen. Von feinster Ironie und scharfsichtiger Freisinnigkeit sind "Nos hommes d'Etat" von Jules Simon, dem alten Kämpen, und "Le manuel du petit démagogne"^[richtig: démagogue] von Raoul *Frary eingegeben, zwei Werke, welche in den politischen Fehden und sozialen Wirren des Augenblicks fußen, aber weit über dieselben hinaus eine litterarische und philosophische Bedeutung bewahren werden. Dasselbe läßt sich nicht von den Veröffentlichungen sagen, mit denen Edouard Drumont die Judenhetze in Frankreich einzubürgern hoffte und auch den Protestanten hart zusetzte: "La France juive" und "La fin d'un monde", trotz des ungeheuern Aufsehens, das sie erregten.

Die Kunstgeschichte hat an Eugène Müntz fortwährend ihren treuesten Pfleger; seine "Histoire de l'art pendant la Renaissance" verbindet mit gründlichem Wissen die anziehendste Darstellung und erschließt dem Leser neue Gesichtspunkte durch sorgfältige Berücksichtigung der äußern Verhältnisse, unter denen die Kunst und die Künstler sich entwickelten, durch lichtvolle Hinweise auf alle Gebiete des menschlichen Schaffens. Mit Müntz wetteifert der bekannte Verleger Eugène Plon, Verfasser einer Biographie Thorwaldsens und eines Prachtbandes: "Benvenuto Cellini", dessen letztes Werk: "Les maîtres italiens au service de la maison d'Autriche, Leone Leoni, sculpteur de Charles-Quint, et Pompeo Leoni, sculpteur de Philippe II", die Kunstfreunde mit bisher wenig bekannten Gestalten vertraut macht. Von Henri *Havard liegen die drei ersten Bände eines "Dictionnaire de l'ameublement et de la curiosité" vom 13. Jahrh. bis auf unsre Zeit vor. Das Prachtwerk, welches im 4. Band seinen Abschluß finden wird, ist eine reiche Fundgrube für Liebhaber, denen es die besprochenen Gerätschaften in schönen Stichen und Farbendrucken vorführt.

Über fremde Länder wird in Frankreich verhältnismäßig wenig geschrieben, es sei denn über die Kolonien im äußersten Osten und die Protektoratsländer. Wenn Paul *Bourget in seinen letzten "Études et portraits" auf England und Italien zu sprechen kommt, so ist es von einem psychologisch-malerischen Standpunkt aus, und was über Rußland veröffentlichi wird, verdient, als offenkundig tendenziös geschminkt, kaum Beachtung. Deutschland gerecht zu sein, das Gute überall, wo sie es finden, am meisten bei dem ebenbürtigen Gegner anzuerkennen, haben zwei hervorragende Geister sich redlich bemüht, J. J. [oder J. I., I. J., I. I.; nicht eruierbar] Reiß in "Aux bords du Rhin" und *Lavisse, Professor am Collège de France, in seinem "Essai sur l'Allemagne". Die Artikel des einen und des andern waren zuerst im "Journal des Débats", die Reiseerinnerungen von Weiß unter dem Strich, diejenigen seines Mitarbeiters auf der gewöhnlich wissenschaftlichen Studien eingeräumten dritten Seite, erschienen. Des unter dem Pseudonym Max O'Rellschreibenden französischen Reiseschriftstellers geschah schon früher Erwähnung. Nach "John Bull et son île" veröffentlichte er: "Les filles de John Bull", "Les chers voisins" (abermals gegen die Engländer), "L'ami Macdonald" und "Jonathan et son continent", diese letztern Werke oberflächlich gleich den frühern, aber minder pikant, weil er Schotten und Yankees angenehm sein will. "Les Chinois peints par eux-mêmes", eine höchst lehrreiche Apologie des Chinesentums, haben den chinesischen Militärattaché in Paris und Berlin, Oberst Tscheng-Ki-Tong, zum Verfasser. Er ist des Französischen vollkommen mächtig und hat überdies den europäischen Lesern "Le théâtre chinois" sowie eine Sammlung chinesischer Märchen oder Fabeln, "Contes chinois", vorgeführt, überarbeitete Auszüge, in denen eine fremdartige Drachen-Mythologie den beharrlich abwesenden Märchenduft nicht ersetzt. Eine im Prozeß Boulanger viel und nicht eben rühmlich genannte Persönlichkeit, Foucault (de Mondion), hatte damit geprahlt, als ehemaliger Sekretär Tscheng-Ki-Tongs seine französischen Bücher geschrieben zu haben; allein da Foucault ebenfalls das Gerücht verbreiten ließ, er wäre jener Graf Paul Vassili, welcher Frau Edmond Adam für ihre Zeitschrift das Material zu dem Klatsch über die europäischen Höfe und hauptstädtischen Gesellschaften lieferte: "La société de Berlin ... de Vienne ... de Rome ... de Paris" etc., die Herausgeberin der "Nouvelle Revue" dies aber bestreitet und sich selbst als die emsige Hand zu erkennen gibt, welche die ihr von verschiedenen Diplomaten zugestellten Noten verwertete und aufputzte, so dürfte es sich mit seiner Beteiligung an den Schriften über chinesisches Wesen ähnlich verhalten.

"Six mois aux Indes" heißt der litterarische Erstlingsversuch des jugendlichen Henri d'Orléans, ältesten Sohns des Grafen von Paris, welcher, der Überlieferung seiner Familie treu, die Muße, welche die Republik den Prinzen geschaffen, an Reisen und Berichterstattung über dieselben verwendet. Sein Großoheim d'Aumale ist in der Fortsetzung seiner "Histoire des princes de Condé" bei Band 4 angelangt, während sein Vater und Oheim, der Graf von Paris und der Herzog von Chartres, pietätvoll die "Lettres du duc d'Orléans" herausgeben, zur rechten Stunde, wie sie ohne Zweifel hoffen, um die erschlaffte Sympathie für die Vertreter des Königtums in dem Augenblick neu zu wecken, da ihr Bund mit Boulanger vielfach Mißfallen erregte. Der erste Band umfaßt Briefe, welche schon die Mutter der Herausgeber, die Herzogin Helene von Orléans, gesammelt hatte. Sie sind an den König Ludwig Philipp, die Königin Amélie, ihre Tochter, die Königin von Belgien, den Fürsten von Joinville und intime Freunde des damaligen Tuilerienhofs gerichtet und zeigen den Schreiber, wie man ihn immer kannte, als einen human gesinnten, beherzten, liebenswürdigen Prinzen. Ein zweiter Band soll das Tagebuch des Thronerben während seiner Feldzüge und die Briefe bringen, die auf Algerien Bezug haben.

Als Parisiana sind anzuführen: "Le Pavé" von Jean Richepin, wehmütig-drollige Bilder aus dem Leben, das sich auf dem Pariser Straßenpflaster entrollt; "La vie parisienne", leicht geschürzte Studien