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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Österreich - Osterwald.

erfreulich, die stetigen Fortschritte zu konstatieren, welche dieses Land trotz seiner schwierigen Lage macht«. Der Ministerdes Auswärtigen, Kalnoky, gab 25. Juni dazu nähere Erläuterungen und hob namentlich hervor, daß weniger die Gelüste der Serben und die politischen Ansichten der rumänischen Minister die unbestreitbare Unsicherheit hinsichtlich der Erhaltung des Friedens hervorbrächten, als die Unzufriedenheit Frankreichs und Rußlands (genannt wurden diese Länder allerdings nicht) mit dem europäischen Rechtszustand; eingebildete Beschwerden würden durch eine aufhetzende Presse den Völkern so eingeredet, daß sie in fortwährender leidenschaftlicher Erregung erhalten würden. Ö. wünsche den Frieden und habe keine kriegerischen Absichten: »Wir haben in dieser unsrer Friedenspolitik Alliierte, auf die wir volles Vertrauen haben. Das Verhältnis zu Deutschland ist ein so warmes und hat sich in den zehn Jahren seines Bestandes fortdauernd so gestärkt, daß es über jeden Zweifel erhaben ist.« Die Budgets der drei gemeinschaftlichen Ministerien, des Auswärtigen, des Kriegs und der Finanzen, welche den Delegationen vorgelegt wurden, beliefen sich auf 132 Mill., wovon 89 Mill. durch die beiden Reichshälften zu decken waren. Dazu kamen 4½ Mill. außerordentliches Erfordernis, hauptsächlich für die Errichtung von 14 Batterien. Die geforderten Summen wurden von den Delegationen bewilligt. Die Vermehrung des Rekrutenkontingents, die Einübung der Ersatzreserve, die Bewaffnung mit dem kleinkalibrigen Gewehr u. a. m. bedeuteten insgesamt eine beträchtliche Vermehrung der österreichischen Wehrkraft und machten es stark, allen Eventualitäten zu begegnen. Das Bündnis mit Deutschland wurde durch den Besuch des Kaisers in Berlin im August 1889 von neuem gekräftigt. Auf Wunsch der Ungarn wurde die österreichische Armee 20. Okt. 1889 kaiserliche und königliche (statt k. k.) Armee genannt.

Die Landtagswahlen Anfang Juli 1889 fielen für die Regierung nicht besonders günstig aus. In Böhmen entrissen die Jungtschechen den mit dem Klerus und Feudaladel verbündeten regierungsfreundlichen Alttschechen 27 Mandate, während die Deutschen ihre Wahlkreise behaupteten, einen neuen sogar eroberten, aber an dem Entschluß, den Landtag nicht zu besuchen, festhielten. Im ganzen bedeuteten die Neuwahlen eine Verstärkung des Panslawismus, den Taaffe mit seiner deutschfeindlichen Versöhnungspolitik gerade hatte beseitigen wollen. Daher sah sich Taaffe zu einer Änderung seiner innern Politik veranlaßt. Der bisherige Statthalter von Böhmen, Kraus, wurde verabschiedet und ein einheimischer Großgrundbesitzer, Graf Thun, zu seinem Nachfolger ernannt. Gleichzeitig knüpfte Taaffe durch Vermittelung des Fürsten Schönburg mit den Deutschböhmen Verhandlungen über einen Ausgleich an. Da jedoch Graf Thun bei einer frühern Gelegenheit sich für einen Anhänger des böhmischen Staatsrechts und der Königskrönung erklärt hatte, so verlangten die Deutschen 15. Sept. vor allem eine unzweideutige Erklärung, daß die Regierung nicht die Absicht habe, das böhmische Staatsrecht an die Stelle der österreichischen Verfassung zu setzen. Taaffe verweigerte die Antwort. Im böhmischen Landtag beantragten die Jungtschechen wirklich die Anerkennung des böhmischen Staatsrechts, und wenn auch die Alttschechen und Feudalen den Antrag als unzeitgemäß ablehnten, so verwarfen sie in ihrer motivierten Tagesordnung vom 9. Nov. seinen Inhalt doch keineswegs und beschlossen ein neues Sprachgesetz, welches den [^<spaltenwechsel/>] deutschen Gebieten das Tschechische als königlich böhmische Landessprache aufdrängen sollte. Der Führer der vereinigten deutschen Linken, Plener, sah sich daher 3. Dez. veranlaßt, im österreichischen Abgeordnetenhaus eine Interpellation über die Zustände in Böhmen an die Regierung zu richten und über die Beschlüsse des böhmischen Landtags Aufklärung zu fordern. Taaffe verzögerte die Antwort und erwiderte zuerst 13. Dez., daß die Regierung an der Verfassung festhalte, daß aber alle Angriffe sie nicht von dem Weg abbringen würden, den sie beschritten habe und mit Hilfe der Mehrheit weitergehen wolle. Hier durch wurden die Deutschen aufs äußerste gereizt, so daß die Frage ihres Gesamtaustritts aus dem Reichsrat wiederum ernstlich erwogen wurde. Auch eine zweite Erklärung Taaffes vom 17. Dez., daß die Regierung nicht beabsichtige, dem Kaiser prinzipielle Änderungen der Verfassung und die damit in Zusammenhang gebrachte Königskrönung vorzuschlagen, und sich zu den mit dem allgemeinen Staatsinteresse und dem Grundgesetz des Staats vereinbaren Ansprüchen irgend eines Volksstammes keineswegs ablehnend verhalten werde, beruhigte die Deutschen noch nicht, zumal die Mehrheit des Hauses eine weitere Erörterung der Frage nicht zuließ. Da griff der Kaiser selbst ein, und auf seine Veranlassung lud Taaffe Ende Dezember die Führer der Deutschböhmen und die Alttschechen zu Verhandlungen über einen nationalen Ausgleich ein. Die Deutschen nahmen bereitwilligst und eifrig an demselben teil, die Regierung, namentlich der Justizminister Graf Schönborn, leitete dieselben mit Umsicht und Geschick, und so führten sie 19. Jan. 1890 zu einem glücklichen Ende. Der böhmische Landesschulrat und der Landeskulturrat wurden in je zwei nationale Sektionen getrennt, die Handelskammern, die Gerichtssprengel, das Prager Oberlandesgericht und die politischen Bezirke nach nationalen Gesichtspunkten neu eingeteilt und dann die Revision des Sprachengesetzes von 1880 in Aussicht genommen, während das von 1889 fallen gelassen wurde; der Landtag wurde in drei Kurien, eine deutsche, eine tschechische und die des Großgrundbesitzes, geteilt, deren jede in Verfassungs- und Nationalitätsfragen das Vetorecht haben solle. Nach Annahme des Ausgleichs versprachen die Deutschen, wieder in den böhmischen Landtag einzutreten. Die Deutschböhmen billigten den Ausgleich, und die Regierung schritt, unbeirrt durch den Einspruch der Jungtschechen, sofort zur loyalen Ausführung desselben. - Zur Litteratur: Schober, Quellenbuch zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie (Wien 1887).

*Osterwald, Wilhelm, Dichter, geb. 23. Febr. 1820 zu Bretsch in der Altmark, studierte in Halle Philologie, ward 1845 Lehrer am Pädagogium daselbst, 1850 Konrektor am Domgymnasium zu Merseburg, 1865 Gymnasialdirektor in Mühlhausen, wo er 25. März 1887 starb. Seine »Gedichte« (Halle 1848; 3. Aufl., Leipz. 1873), von denen viele durch R. Franz u. a. komponiert wurden, sowie die Naturbilder und Märchen: »Im Grünen« (Berl. 1853) und die bessern vaterländischen Gedichte in »Deutschlands Auferstehung« (Halle 1871) atmen einen frisch poetischen Geist, echte und eigentümliche lyrische Stimmung und Humor, während »Rüdiger von Bechlarn«, Trauerspiel (das. 1849), und »König Alfred«, epische Dichtung (Berl. 1855), sowie »Walter und Hildegunde«, dramatisches Spiel (Mühlhaus. 1867), nur als Nachklänge liebevollen Studiums der alten deutschen Sagenwelt und Dichtung angesehen werden