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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreich

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Österreich (Kaisertum: Bevölkerung, Bildungswesen, Landwirtschaft).

obenan. Erheblich nachgelassen hat die Bevölkerungsvermehrung in den Sudetenländern Böhmen (5 Proz.), Mähren (5,5 Proz.), Schlesien (6,5 Proz.). Hier ist mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gleichsam der Sättigungspunkt hinsichtlich der Dichtigkeit der Bevölkerung erreicht worden, mit dessen Überschreitung zugleich ein langsamerer Gang der Volksvermehrung eintritt, während in Ländern, welche wie Galizien und die Bukowina gewissermaßen den Charakter von Kolonialland aufweisen, eine Beschränkung im Bevölkerungszuwachs noch nicht eingetreten ist. Am geringsten ist der Zuwachs auch diesmal in den Alpenländern, insbesondere in Tirol mit Vorarlberg (1,8 Proz., Tirol allein 0,9, Vorarlberg dagegen 8,2 Proz.), Oberösterreich (3,2 Proz.), Kärnten (3,4 Proz.), Krain (3,6 Proz.), Steiermark (5,6 Proz.). Die Dichtigkeit der Bevölkerung Österreichs beträgt pro QKilometer 79 Einw. (gegen 74 im J. 1880). Zwei Faktoren sind es, welche die Entwickelung der Bevölkerung bestimmen, das Verhältnis der Lebendgebornen zu den Sterbefällen und das der Ein- zur Auswanderung. In dem Dezennium 1880-90 wurden in Ö. 1,994,987 Personen mehr lebend geboren, als in dieser Zeit gestorben sind. Da die Bevölkerungsvermehrung nach der Volkszählung gegenüber dieser Ziffer 329,054 Personen weniger beträgt, so ist diese letztere Zahl auf Rechnung des Überschusses der österreichischen Auswanderung über die Einwanderung zu setzen.

Die Bewegung der Bevölkerung charakterisierte sich im J. 1889 durch Rückgang der Eheschließungen, Konstanz der Geburten und bedeutende Abnahme der Sterbefälle. Es wurden nämlich verzeichnet:

Anzahl im Jahre Auf je 1000 Einwohner

1888 1889 1888 1889

Trauungen 185991 177771 7,92 7,49

Lebendgeborne 889901 898350 37,89 37,85

Sterbefälle 686573 646787 29,23 27,25

Gegen das Vorjahr haben die Trauungen um 4,4 Proz., die Sterbefälle um 5,8 Proz. abgenommen, während bei den Lebendgebornen eine Zunahme um 0,95 Proz. eingetreten ist. Für die Eheschließungen des Jahres 1889 ist die bei beiden Geschlechtern wiederkehrende stärkere Vertretung der obern Altersklassen charakteristisch, welche mit der relativ gesteigerten Häufigkeit der Wiederverheiratung parallel geht und auch die Erhöhung des durchschnittlichen Alters bei der Trauung mit sich bringt. Auf je 100 Geborne entfielen 85 ehelich und 15 unehelich Geborne, auf je 1000 geborne Mädchen 1064 Knaben. Von den Sterbefällen kamen 48,26 Proz. auf Kinder bis zu 5 Jahren. Der Geburtenüberschuß betrug 251,563 (gegen 203,328 im Vorjahr).

[Bildungswesen.] Im Schuljahr 1889/90 bestanden in Ö. an Mittelschulen 172 Gymnasien und 84 Realschulen, darunter 142, bez. 63 vollständige. Die größte Zahl von Mittelschulen weist Böhmen mit 76 (53 Gymnasien, 23 Realschulen) auf, ihm folgt Niederösterreich mit 25 Gymnasien und 17 Realschulen. Durch den Staat werden 122 Gymnasien und 53 Realschulen erhalten. Die Unterrichtssprache war an 154 Mittelschulen deutsch, an 57 Mittelschulen tschechisch, an 28 polnisch, an 7 italienisch, an 4 serbokroatisch, an einer ruthenisch und an 5 utraquistisch. Der Besuch der Mittelschulen bezifferte sich wie folgt:

1888/89 1889/90

Gymnasien und Realgymnasien 55089 55160

Realschulen 18860 19673

Zusammen: 73949 74833

Bezüglich der höhern Lehranstalten hat sich keine wesentliche Veränderung ergeben. Zu erwähnen ist nur die Errichtung eines österreichischen Instituts für Geschichtsforschung in Rom, welches die Aufgabe hat, die von Papst Leo XIII. den wissenschaftlichen Kreisen zugänglich gemachten Archive des Vatikans und die sonstigen Geschichtsquellen der Ewigen Stadt zu durchforschen und unter der Leitung des Hofrats Professor v. Sickel im Herbst 1890 seine Thätigkeit begonnen hat. Für den Elementarunterricht bestanden 1888: 18,079 Schulen, und zwar 16,688 allgemeine Volksschulen, 415 Bürgerschulen und 976 Privatvolksschulen. Von den allgemeinen Volksschulen waren 88 Proz. für beide Geschlechter, 6,8 nur für Knaben und 5,2 nur für Mädchen bestimmt. Von den 16,688 Volksschulen waren 8490 einklassig und 3916 zweiklassig; die übrigen 4282 waren mehrklassig. An den öffentlichen Schulen wirkten 44,838 Lehrer und 13,913 Lehrerinnen; auf je einen Lehrer entfallen durchschnittlich 72,4 Schüler. Von den Lehrern hatten 83,7 Proz. das Zeugnis der Lehrbefähigung, 11 Proz. das Reifezeugnis u. 5,3 Proz. gar kein Zeugnis. In Tirol hatten sogar 27,3 Proz. der Lehrer kein Zeugnis. Ö. zählt 3,335,674 schulpflichtige Kinder; von diesen blieben jedoch 21,895 Kinder wegen Gebrechen ohne Unterricht, während 365,593 Kinder sich der Schulpflicht gänzlich entzogen; allerdings sind es nur fünf Kronländer, wo die Fahnenflucht der schulpflichtigen Kinder eine ständige Erscheinung ist, nämlich in Krain, wo 17 Proz. der schulpflichtigen Kinder, in Dalmatien, wo 23,2 Proz., im Küstenland, wo 30,5 Proz., in Galizien, wo 40,6 Proz., und in der Bukowina, wo sogar 52,1 Proz. der schulpflichtigen Kinder die Schule nicht besuchten. Zur Durchführung des Schulzwanges wurden nicht weniger als 185,464 Straferkenntnisse gefällt, von welchen 68,590 in Form von Arrest- und 116,874 in Form von Geldstrafen vollzogen wurden.

[Landwirtschaft.] Während die Ernte Österreich-Ungarns im J. 1889 eine der schlechtesten im letzten Jahrzehnt war und nur zur Deckung des heimischen Bedarfs hinreichte, gestaltete sie sich im J. 1890 um so befriedigender. Ihr Ertrag wird im Vergleich zu einer Mittelernte (= 100 angenommen) geschätzt:

Österreich Ungarn Österreich Ungarn

bei Weizen auf 100 127 bei Gerste auf 111 124

- Roggen - 107 138 - Hafer - 119 98

Die Förderung der Bodenmelioration durch die Staatsverwaltung ist in Ö. durch das Gesetz vom 30. Juni 1884 geregelt worden. Hiernach können zur Förderung von Unternehmungen, welche den Schutz des Grundeigentums gegen Wasserverheerungen oder die Erhöhung der Ertragsfähigkeit der Grundstücke durch Entwässerung oder Bewässerung zum Zwecke haben, sofern deren Ausführung im öffentlichen Interesse liegt, von der Staatsverwaltung Unterstützungen gewährt werden. Zu diesem Behuf wurde ein besonderer Fonds gebildet, welchem als Dotation zunächst in den Jahren 1885-94 je 500,000 Gulden aus Staatsmitteln zugewiesen werden. Bedingung ist, daß sich an dem Meliorationsunternehmen auch die übrigen Interessenten (Land, Bezirk, Gemeinde, Wassergenossenschaften) finanziell beteiligen. Der Fonds besaß Ende 1888 außer seiner Jahresdotation noch ein Aktivvermögen von 735,429 Guld. Aus dem Meliorationsfonds (3,494,582 Guld.), dann von den Ländern (3,503,212 Guld.) und den übrigen Interessenten (2,243,266 Guld.) sind in den Jahren 1885-89 für Meliorationszwecke folgende Beiträge (Subventionen) geleistet worden: