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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Anpassung (neue Untersuchungen)

anachoretica, einer Pflanze, die in Felsöffnungen und Klüften wächst, wo sie zwar genügend Licht und Feuchtigkeit findet, aber weder von der Sonne noch vom Regen getroffen wird. Wie andre Pflanzen von ähnlichem Standort (z. B. Saxifraga arachnoides, Zahlbrucknera paradoxa und Heliospermum glutinosum), zeichnet sie sich durch papierdünne Blätter aus, verwandelte sich aber im Garten von Kew bald wieder in die gemeine Arabis alpina. Auch stellte sich dort heraus, daß die Alpenpflanzen durchaus nicht so winterhart sind, wie man angenommen hatte; sie mußten in England teilweise sogar im Gewächshaus überwintert werden, weil dort häufig die wärmende Schneedecke fehlt, die in den Alpen vom September bis zum Mai die Höhen einzuhüllen pflegt.

Wir ersehen aus diesen Beispielen, daß unmittelbare Anpassungen von dauernden zu unterscheiden sind, wenn auch die dauernden aus den unmittelbaren oftmals durch die Zuchtwahl ausgewählt sein werden. Es gibt unter den unmittelbaren solche, die jeden Augenblick in Thätigkeit treten können, und andre, wie die funktionelle A., die nur Verletzungen oder bleibenden Störungen des Organismus ihre Entstehung verdanken. Ein Beispiel dieser schnell in Wirksamkeit tretenden A. ist in jüngster Zeit durch A. Müntz und Viault in der schnell eintretenden Anreicherung des Blutes an Hämoglobin bei Tieren, die aufs Gebirge gebracht werden, geliefert worden. Schon im Laboratorium kann man sich überzeugen, daß verdünnte Luft, d. h. also verminderte Sauerstoffspannung, die Atmung beeinträchtigt, und man nahm bisher an, daß die Sauerstoffaufnahme in der dünnen Gebirgsluft durch vermehrte Schnelligkeit oder Tiefe der Atemzüge ausgeglichen werden müsse. Viault hat nun an einigen sehr hoch gelegenen Stationen der Andes, und zwar an der Mine von Morococha (4392 m) und in Chicla (3724 m) das Blut von Hämmeln und Hunden untersucht, und diese später auf dem Pic du Midi (2877 m) wiederholten Analysen ergaben gleichmäßig, daß die Menge des Sauerstoffes im Blute der Tiere (wie des Menschen), welche in der verdünnten Luft der Hochgebirge leben, ob sie nun dort geboren oder bloß akklimatisiert sind, ziemlich ebenso groß ist wie im Blute der Tiere (und Menschen), welche in der Tiefebene leben, so daß ein Sauerstoffhunger als bleibender physiologischer Zustand nicht nachzuweisen war.

Die Erklärung dieser physiologisch sehr wichtigen Thatsache fand A. Müntz in einer verhältnismäßig schnell eintretenden Vermehrung des Hämoglobins, als desjenigen Blutbestandteils, dessen Thätigkeit in der Bindung des Luftsauerstoffes besteht. Er hatte eine Anzahl von Kaninchen auf den Gipfel des Pic du Midi, wo der Luftdruck nur noch 540 mm beträgt, gebracht und das Blut der Tiere, die sich daselbst schnell eingewöhnten und vermehrten, nach Jahresfrist (August 1890) untersucht. Bei der Vergleichung mit den Kaninchen der Ebene ergab sich, daß die Blutdichte von 1046,2 auf 1060,1, die Menge der festen Bestandteile von 15,75 Proz. auf 21,88 Proz., die Eisenmenge (auf 100 g Blut berechnet) von 40,3 auf 70,2 mg und die Menge des von 100 g Blut absorbierten Sauerstoffs von 9,56 auf 17,28 ccm gestiegen war. Eine ähnlich starke Anreicherung des Blutes an Hämoglobin und mithin an Fähigkeit, Sauerstoff zu absorbieren, beobachtete Müntz an Schafen, die, in der Ebene geboren, an Gehängen des Pic du Midi in Höhen von 2300-2700 m auf die Weide gebracht worden waren, schon nach Verlauf von 6 Wochen. Daraus lassen sich leicht Schlüsse auf den Nutzen des Bergaufenthalts für Personen mit gewissen Lungenleiden ziehen, anderseits kann nicht leicht ein überzeugenderes Beispiel von unmittelbarer A. des Organismus an das Mittel und die äußern Lebensbedingungen gefunden werden.

Ebenso deutliche und unmittelbare Einwirkungen wie die starke Erhebung über die Ebene übt, freilich in andrer Richtung, die Meeresnähe, was sich besonders in der Gleichmäßigkeit des Aussehens, des Zellenbaues und der gesamten Organisation der Strandpflanzen ausprägt. Um die Veränderungen in der Struktur der Blätter zu studieren, hat Pierre Lesage kürzlich mit 85 Pflanzenarten aus 32 verschiedenen Familien Versuche angestellt, teils indem er dem Boden Kochsalzlösung oder Meerwasser zuführte, teils indem er die Salzlösung direkt auf die Blätter wirken ließ, wie dies ja auch in der Natur durch Brandungsnebel und Winde geschieht. In fast allen Fällen wurde eine Verdickung der Blätter erzielt, die namentlich von einer starken Entwickelung des Palissadengewebes begleitet wird, die aber bei den einzelnen Arten in verschiedenartiger Weise vor sich geht. Bei manchen Arten, wie bei Mercurialis annua, zeigte sich nur Vergrößerung, keine Vermehrung der Palissadenzellen, bei andern aber, z.B. bei Lychnis dioica, auch Vermehrung der Palissadenschichten, bei noch andern, z. B. Tussilago Farfara, und Aster Tripolium, trat beides ein. Dagegen vermindern sich die Lücken und Zwischenzellgänge bei den Strandpflanzen, ebenso tritt eine Verminderung des Chlorophylls, sei es durch Volum- oder Zahlreduktion der Körnchen, ein. Auch Pisum maritimum und Lilium grandiflorum, besonders aber Lepidium sativum zeigten unter dem Einfluß des dem Boden zugeführten oder auf die Blätter gebrachten Salzes dieselben Veränderungen.

Die tiefgehenden Veränderungen, welche das Leben am Strande bei Tropenpflanzen erzeugt, sind neuerdings von A. F. W. Schimper genau studiert und in seinem Buch über »Die indomalaiische Strandflora« (Jena 1891) beschrieben worden. Er teilt dieselbe in drei Formationen (Mangrove-, Barringtonia-und Pes caprae-Formation) und zeigt, daß sich Pflanzen, der verschiedensten Familien in gleichmäßiger Weise entweder für das Gedeihen im Uferschlamm oder im Flugsand verändert und angepaßt haben, in dem Grade, daß sie manchmal eine ganz ähnliche Organisation erlangt haben und nirgends sonst mehr als am Strande gedeihen könnten. Die A. beginnt schon an den Samen, die bei den Angehörigen der Mangrove-Formation so organisiert sind, daß sie bereits auf der Mutterpflanze auskeimen, einen oft mehrere Zentimeter langen, unten verdickten, bolzenartigen Keimblätterträger (Hypokotyl) entwickeln, der dann (namentlich bei Rhizophora- und Ceriops-Arten) sich tief senkrecht in den Schlamm einbohrt, wenn der Keimling zur Ebbezeit herunterschießt. Durch wagerecht ausstrahlende Wurzelhaare oder lange Seitenwurzeln gewinnen sie bald im Schlamme Halt und steigen später wie ein auf vielen Stelzen ruhender Pfahlbau als Uferwald empor. Bei andern Strandpflanzen entwickeln Früchte oder Samenschalen ein poröses Schwimmgewebe bei sicherm Schutz des Keimes gegen das Eindringen des Seewassers, was ihre bequeme Verbreitung durch die Wellen und Meeresströmungen ermöglicht. Selbst Strandpflanzen aus der Familie der Kompositen, deren Früchte sonst allgemein mit Flugapparaten einer Verbreitung durch den Wind angepaßt sind, verlieren hier, wie z. B. Wedelia biflora, die Flugfähigkeit der Samen