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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Arbeiterschutzgesetzgebung (das deutsche Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni 1891)

vorlage enthielt die eventuelle Regelung durch die Arbeitsordnung, die Kommission und der Reichstag aber entschieden sich für die eventuelle Regelung durch kommunale Behörden.

Der § 119a enthält noch in Abs. 1 die von der Kommission und dem Reichstag dem Gesetzentwurf zugefügte Bestimmung: »Lohneinbehaltungen, welche von Gewerbeunternehmern zur Sicherung des Ersatzes eines ihnen aus der widerrechtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses erwachsenden Schadens oder einer für diesen Fall verabredeten Strafe ausbedungen werden, dürfen bei den einzelnen Lohnzahlungen ein Viertel des fälligen Lohnes, im Gesamtbetrag den Betrag eines durchschnittlichen Wochenlohns nicht übersteigen.« Daneben bestimmt der neue, schon oben erwähnte § 124b: »Hat ein Geselle oder Gehilfe rechtswidrig die Arbeit verlassen, so kann der Arbeitgeber als Entschädigung für den Tag des Vertragsbruchs und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetzlichen Arbeitszeit, höchstens aber für eine Woche, den Betrag des ortsüblichen Tagelohns fordern. Diese Forderung ist an den Nachweis eines Schadens nicht gebunden. Durch ihre Geltendmachung wird der Anspruch auf Erfüllung des Vertrags und auf weitern Schadenersatz ausgeschlossen.« Aber diese Bestimmungen des § 124b finden nach dem neuen § 134, Abs. 2 keine Anwendung auf die Arbeitgeber und Arbeiter in Fabriken und diesen gesetzlich (§ 154) gleichgestellten Betrieben, in welchen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt sind. Nach demselben § 134 ist den Unternehmern dieser Fabriken und Betriebe auch »untersagt, für den Fall der rechtswidrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeiter als Schadenersatz die Verwirkung des rückständigen Lohnes über den Betrag des durchschnittlichen Wochenlohns hinaus auszubedingen«. Wünschen die Inhaber solcher Fabriken für den Fall des Kontraktbruchs ihrer Arbeiter feste Entschädigungen in der Art der in § 124d vorgesehenen in Form von Lohnverwirkung, so müssen sie dieselben besonders ausbedungen, aber bezüglich der Lohneinbehaltung bleibt die Vorschrift des § 119a, maßgebend.

6) Erweitert ist der Schutz für die Kinder (Personen unter 14 Jahren, welche bisher vom 13. Jahre ab beschäftigt werden durften) sowohl in Bezug auf die Altersklassen als hinsichtlich der gewerblichen Unternehmungen, in denen die Beschäftigung von Kindern untersagt ist. Die Zahl der in Deutschland in den industriellen Unternehmungen 1888 beschäftigten Kinder betrug etwa 23,000. Der § 135 bestimmt: »Kinder unter 13 Jahren dürfen in Fabriken nicht beschäftigt werden. Kinder über 13 Jahre dürfen in Fabriken nur beschäftigt werden, wenn sie nicht mehr zum Besuch der Volksschule verpflichtet sind. Die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren darf die Dauer von 6 Stunden täglich nicht überschreiten«, mit einer Pause von mindestens einer halben Stunde (§ 136). Der neue § 139a. ermächtigt den Bundesrat, die Verwendung von nicht mehr schulpflichtigen 13jährigen Kindern in Fabrikationszweigen, welche mit besondern Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit verbunden sind, gänzlich zu untersagen oder von besondern Bedingungen abhängig zu machen, anderseits für sie aber auch in gewissen Betrieben Ausnahmen von den Schutzbestimmungen (Maximalarbeitszeit, Pausen) zu gestatten, aber die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit darf in diesem Fall 36 Stunden nicht überschreiten. Die Bestimmungen gelten auch (nach § 154, 154a) für Hüttenwerke, Zimmerplätze und andre Bauhöfe, Werften sowie für solche Ziegeleien, über Tage betriebene Brüche und Gruben, welche meist bloß vorübergehend oder in geringem Umfang betrieben werden, ferner für Werkstätten, in welchen durch elementare Kraft (Dampf, Wind, Wasser, Gas, Luft, Elektrizität etc.) bewegte Triebwerke nicht bloß vorübergehend zur Verwendung kommen, und für Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten, unterirdisch betriebene Brüche oder Gruben. Sie treten in Kraft 1. April 1894, aber für Kinder, welche vor Verkündung des Gesetzes in Fabriken und den andern Unternehmungen schon beschäftigt waren, bleiben die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen bis zum 1.April 1894 in Geltung. Durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats können die Schutzbestimmungen auch auf andre Werkstätten, ausgenommen solche, in welchen der Arbeitgeber ausschließlich zu seiner Familie gehörige Personen beschäftigt, und auf Bauten ganz oder teilweise, auch nur für bestimmte Bezirke ausgedehnt werden. Die Absicht der Gesetzgebung war, die schädliche Kinderarbeit in den genannten Unternehmungen völlig zu beseitigen, aber daß man demgemäß nicht wie in der Schweiz und in Österreich die Beschäftigung von Kindern, d.h. den Personen unter 14 Jahren, unbedingt verbot, hat seinen Grund darin, daß bei 13jährigen, nicht mehr schulpflichtigen und einen Schulunterricht genießenden Kindern der Mangel an Beschäftigung und Aufsicht für diese schädlicher ist als eine maßvolle, obrigkeitlich überwachte regelmäßige Erwerbsthätigkeit, daß aber in Deutschland noch teilweise, z.B. in Bayern, die Schulpflicht mit dem 13. Jahre abschließt, und auch in den Staaten, wo die Schulpflicht vom 7.-14. Jahre besteht, der Austritt aus der absolvierten Schule für einen Teil der 13jährigen Kinder vor Beendigung des 14. Lebensjahrs erfolgt.

7) An den bisherigen besondern Schutzbestimmungen für jugendliche Arbeiter (Personen von 14 - 18 Jahren), welche nur die 14- und 15jährigen betreffen, ist wenig geändert worden. Es sind nur einige bessere Bestimmungen bezüglich der nach § 139a zulässigen Ausnahmen in dem neuen § 139a getroffen worden. Außerdem sind die bisherigen Schutzbestimmungen noch auf einige weitere Betriebe (§ 154) ausgedehnt worden und können ebenfalls durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats ganz oder teilweise, auch nur für bestimmte Bezirke, auf Werkstätten ausgedehnt werden, sofern in ihnen der Arbeitgeber nicht ausschließlich zu seiner Familie gehörige Personen beschäftigt. Die dringend wünschenswerte Ausdehnung des Schutzes auch auf die 16- und 17jährigen (Maximalarbeitszeit, Verbot der Nachtarbeit)ist leider noch unterblieben.

8) Dagegen ist jetzt endlich den weiblichen industriellen Arbeitern (über 16 Jahren) der lang entbehrte Schutz zu teil geworden (§ 137-139a). Die wichtigsten Neuerungen und, außer dem oben erwähnten allgemeinen Verbot der Sonn- und Festtagsarbeit, für die in Fabriken und diesen, wie bezüglich der Kinderarbeit, gleichgestellten Betrieben (§ 154, 154a, s. oben) Beschäftigten die elfstündige Maximalarbeitszeit, das Verbot der Nachtarbeit und der obligatorische Schluß der Arbeitszeit am Sonnabend und an den Vorabenden vor Festtagen spätestens 5 ½ Uhr nachmittags. An diesen Tagen darf die Beschäftigung der Arbeiterinnen die Dauer von 10 Stunden nicht überschreiten. Zwischen den Arbeitsstunden muß ihnen eine mindestens einstündige