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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Einkommensteuer (die preußische Besteuerung)

sind 2c. Dann ist der Staatsbedarf ein so hoher, daß es bei der gegebenen Lage der Dinge geradezu unmöglich wäre, denselben ausschließlich durch eine einzige E. zu decken. Bei den obern und obersten Klassen kann man nun einmal über einen gewissen Prozentsatz nicht hinausgehen, so daß hier bald eine Schranke für die Steigerung der Einnahme gesetzt ist; bei den untern aber ist die Erhebung praktisch mit einer Reihe von solchen Übelständen verbunden, daß hier auf die E. verzichtet werden muß und erst von gewisser Grenze an mit einem mäßigen Steuerfuß begonnen werden kann. Da nun aber doch einmal die Masse beisteuern muß, so bleibt nichts andres übrig, als dieselbe auf dem wenigst empfindlichen und technisch vorteilhaftesten Wege heranzuziehen. Hierfür bietet sich das Mittel der indirekten Besteuerung, welche in allen großen Staatshaushalten eine wichtige Rolle spielt und mit steigendem Staatsbedarf gerade in der neuern Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.

Die indirekten Steuern belasten die Pflichtigen gerade nicht nach Maßgabe der Steuerfähigkeit. Eine große Zahl von Gegenständen zu erfassen, ist steuertechnisch nicht von Vorteil. Man begnügt sich deshalb auch in der Praxis mit einer kleinern Zahl von Gütern, und zwar solchen, welche in groben Massen verbraucht werden und dabei nicht gerade unentbehrlich sind. Infolgedessen trifft die Steuer individuell ungleich, indem der eine mehr von den versteuerten Gegenständen verbraucht als der andre. Dann ist der Verbrauch nicht gerade um so größer, je größer das Einkommen ist. Somit ist die Belastung im großen ganzen eine umgekehrt progressive. Was die Reichern an Steuern für Kaffee, Zucker, Bier, Branntwein, Salz, Tabak 2c. bezahlen, macht einen geringern Prozentsatz von ihrem Einkommen aus als das, was die weniger Reichen und Ärmere entrichten von deren Einkommen.

Führt aber auf diese Weise die praktische Notwendigkeit zu einer Steuerverteilung, welche die Theorie und die Anschauungen des praktischen Lebens nicht für billig erachten, so muß auf einem andern Gebiet nach einer Ausgleichung gesucht werden. Dies Gebiet ist dasjenige der direkten Steuern, wenn wir hierzu noch einige Verkehrssteuern rechnen, insbesondere dasjenige der E. Die Praxis hat denn auch in der neuern Zeit in einigen Ländern, als man sich zu einer Erhöhung der indirekten Steuern veranlaßt sah, die direkten Steuern zu reformieren gesucht.

Die direkten Steuern sind teils Ertrags- oder Real-, teils Personalsteuern. Dieselben in der Weise systematisch auszubauen und zu veranlagen, daß weder Doppelbesteuerungen noch einseitige Befreiungen vorkommen, und daß die Besteuerung eine vollständig gleichmäßige ist, ist bei der Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit unsrer heutigen Wirtschafts-, Verkehrs- und Kreditverhältnisse sowie bei der Unvollkommenheit der zu Gebote stehenden Hilfsmittel der Besteuerung nicht allein schwierig, sondern geradezu unmöglich. Die bestehenden Steuersysteme sind in der That sämtlich unvollkommen und lückenhaft, insbesondere diejenigen, welche Ertrags- und Personalsteuern in unvollständiger Weise miteinander verbinden.

Die Ertragssteuern fassen die Erträge an ihren Quellen ohne Rücksicht auf deren Verteilung an verschiedene Personen, und zwar nach allgemeinen Durchschnittssätzen, also ohne Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse, individuelle Leistungsfähigkeit, günstigere oder ungünstigere wirtschaftliche Stellung des Eigentümers 2c. Infolgedessen belasten die Ertragssteuern schon von Haus aus ungleichmäßig. Die Tüchtigern sowie diejenigen, welche die Konjunkturen besonders begünstigen, zahlen nicht mehr als diejenigen, welchen das Glück weniger hold ist. Dazu kommt die Schwierigkeit, Roherträge und Kosten zu bemessen. Oft muß man sich an äußere Merkmale halten, welche nur sehr unsichere Schlüsse zulassen, wie bei der Gewerbesteuer. Oder es kann wegen der hohen Kosten die Steuer nicht alljährlich neu veranlagt werden; dieselbe wird alsdann im Laufe der Zeit, wenn die Grundlagen der Besteuerung sich geändert haben, mehr und mehr ungleich, wie z. B. die Grundsteuer; Schulden kommen bei der Ertragssteuer nicht in Abzug. Die Zinsen, welche der Gläubiger zieht, werden demnach, wenn auch nicht genau nach ihrer wirklichen Höhe, bereits bei dem Schuldner besteuert. Nun werden aber bei unsern heutigen Kreditverhältnissen auch Zinsen bezogen, welche noch nicht besteuert worden sind, wie Zinsen aus Staats-, Gemeindeanleihen 2c. Dieselben müßten demnach besonders belastet werden, was bei den vorhandenen internationalen Kreditbeziehungen und der Mannigfaltigkeit der Steuersysteme und der Steuerveranlagung verschiedener Länder mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden ist, sofern Ungleichmäßigkeiten vermieden werden sollen. Die Bezahlung für fremde Arbeitsleistungen kommt bei den Ertragssteuern unter den Kosten in Anrechnung und in Abzug. Dafür ist die Arbeit als besondere Ertragsquelle durch eine eigne Steuer zu treffen, und zwar nicht nach den wirklichen Erträgen in jedem gegebenen Fall, sondern nach Durchschnitten je für eine Klasse von Fällen.

Ausschließlich durch Personalsteuern den gesamten öffentlichen Bedarf zu decken, ist heute nicht durchführbar. Die Realsteuern haben sich meist derart eingelebt, daß ihre Aufhebung oft einem Geschenk an den augenblicklichen Besitzer gleichkäme. Dann sind Wohnort des Besitzers und Lage seines Besitztums oft voneinander getrennt; dort würde die Personalsteuer entrichtet, während hier zu gunsten des Besitzers öffentliche Aufwendungen gemacht werden müssen. Aus diesem Grunde würden insbesondere Gemeinden die Realertragssteuer nicht entbehren können. Durch Verbindung beider Arten von Steuern hat man wohl einige Lücken ausgefüllt und Unvollkommenheiten beseitigt, ist aber trotzdem überall von einer gleichmäßigen Belastung noch weit entfernt. Bayern hat drei Ertragssteuern (Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer), welche nach Durchschnitten und äußern Merkmalen bemessen und zum Teil (Grundsteuer) vor Jahren veranlagt sind. Daneben besteht eine Kapitalrentensteuer, welche zum Teil eine Doppelbesteuerung bildet und nur deswegen wenig als solche empfunden wird, weil die Ertragssteuern, welche keine Rücksicht auf die Schulden nehmen, nur sehr roh veranlagt sind. Alle durch eine dieser direkten Steuern noch nicht getroffenen Einkommen werden durch eine sogen. E. getroffen, welche im Wesen eine Ertragssteuer ist, sich aber einer Personalsteuer insofern nähert, als sie der jeweiligen Einkommenshöhe angepaßt wird.

Die preußische Besteuerung und ihre Reform.

In Preußen besteht kein vollständiges Ertragssteuersystem. Es gibt nur eine Gebäude-, eine Grund- und eine Gewerbesteuer. Neben denselben wird der Ertrag der Arbeit nicht besonders getroffen. Dann besteht in Preußen keine Kapitalrentensteuer, durch welche wenigstens diejenigen Zinseinnahmen belastet werden müßten, welche noch nicht bereits durch die Ertragssteuern mitgetroffen worden sind. Dagegen