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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Einkommensteuer (die preußische Besteuerung seit 1811)

besitzt Preußen eine allgemeine E., welche das Gesamteinkommen der einzelnen Steuerpflichtigen erfaßt. Infolgedessen werden alle Bezüge doppelt getroffen, welche bereits durch Ertragssteuern belastet worden sind, demnach auch die Zinsen, welche die Besitzer von Gewerben, Grund und Boden und Häusern zu zahlen haben. Nur einmal dagegen werden besteuert die Zinsen, welche aus andern Quellen fließen, dann die als Lohn, Gehalt 2c. gezahlten Erträge der Arbeit. Nun sind aber die Steuern selbst wegen verschiedener Mängel in der Veranlagung und in der Art ihrer Durchführung sehr ungleichmäßig. Dazu kam die Notwendigkeit, wegen der Erhöhung der indirekten Steuern und mit Rücksicht auf eine angemessene Deckung des Gemeindebedarfs eine Änderung bei den direkten Steuern vorzunehmen. Aus diesen Gründen machten sich schon seit einer Reihe von Jahren Reformbestrebungen geltend, welche anfänglich nach Bedarf auszuhelfen suchten, in der neuern Zeit aber den Weg einer gründlichern Änderung eingeschlagen haben.

Der ganze Entwickelungsgang der direkten Steuern Preußens, insbesondere aber der allgemeinen E., ist ebenso interessant wie lehrreich. Er sei deshalb in kurzen Zügen hier dargestellt.

Im J. 1811 wurde zuerst mit einer umfangreichern, die ganze Monarchie umfassenden Personalsteuer ein Versuch unternommen, als die alten Accisen nicht mehr zureichten und eine Änderung erheischten. Auf dem platten Lande und in den kleinen Städten trat an Stelle der Mahlsteuer eine Kopfsteuer im Betrage von 1/2 Thlr. von jedem über 12 Jahre alten Einwohner. Dieselbe war jedoch für die Dauer nicht haltbar, weil bei ihr die Ungleichmäßigkeit der Belastung allzu offen zu Tage lag. Einen Fortschritt in dieser Beziehung bildete der Übergang zur Klassensteuer, bei welcher die Bevölkerung nach äußerlich leicht wahrnehmbaren Merkmalen in Klassen eingeteilt wird. Steuerfähigkeit und Besteuerung der einzelnen Klassen sind voneinander verschieden, doch zahlen die Angehörigen einer Klasse gleich viel. Die Anzahl der Klassen kann nicht sehr groß sein, weil es hierfür an den nötigen Unterscheidungsmerkmalen fehlt, während in den Klassen selbst die Vermögenslage eine wesentlich verschiedene sein kann. Aus diesen Gründen dürfen bei einer echten Klassensteuer die Steuersätze der einzelnen Klassen nicht sehr stark voneinander abweichen, und es ist demnach die Klassensteuer nur als eine verbesserte Kopfsteuer oder als ein Schritt zum Übergang zu einer Besteuerung nach der wirklichen Leistungsfähigkeit der Pflichtigen zu betrachten. Eine weitere Verbesserung besteht darin, daß Einkommensstufen gebildet werden, in welche die Staatsangehörigen nach ihren irgendwie ermittelten oder angenommenen Einkommen eingereiht werden. Mit Verbesserung der Steuerveranlagung und der anwendbaren Kontrollmittel kann die Anzahl der Stufen vermehrt werden, so daß man sich immer mehr dem Ideal der Belastung nach der Steuerfähigkeit der einzelnen nähert. Einen Entwickelungsgang dieser Art machte die Steuer in Preußen durch. Noch im J. 1811 wurde ein Versuch mit der Klassensteuer angestellt, schon 1812 wurde dieselbe durch eine allgemeine Vermögens- und E. ersetzt, welche Steuer aber nur 2 Jahre lang bestehen blieb. Nunmehr war das ganze Steuersystem wieder so unvollkommen wie früher und in seiner damaligen Gestalt nicht geeignet, einem wachsenden Staatsbedarf zu genügen. Domänenverwaltung und Grundsteuer warfen nahezu die Hälfte aller Einnahmen ab, daneben spielte das

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verwickelte Zoll- und Accisewesen eine wichtige Rolle. Eine Reform brachte das Jahr 1820 mit drei Gesetzen (vom 30. Mai) über Mahl- und Schlacht-, Gewerbe- und Klassensteuer. Der Entwurf zum Gesetz über die Klassensteuer teilte die Bevölkerung in 4 Klassen mit Steuersätzen von 48, 12, 4 und 1/2 Thlr. Im Gesetz selbst war die Zahl der Klassen auf 6 erhöht, und schon im folgenden Jahr wurde dieselbe auf 12 gesteigert. Die Steuer wurde nur auf dem platten Lande und in den kleinern Städten, und zwar nach Haushaltungen erhoben, während selbständige Personen ohne Haushalt (alle über 14 Jahre alten, seit 1827 alle über 16 Jahre alten) die Hälfte zahlten, jedoch mit der Beschränkung, daß in der untersten Stufe höchstens drei solcher Personen auf einen Haushalt gerechnet werden durften. In den 132 größern Städten vertrat die Mahl- und Schlachtsteuer ihre Stelle. In der Folgezeit wurden zwar die früher üblichen 4 Hauptklassen beibehalten, und zwar 1) besonders Wohlhabende und Reiche, 2) Wohlhabende, 3) der geringe Bürger- und Bauernstand, 4) die übrigen Staatsangehörigen, wie gewöhnliche Lohnarbeiter, Gesinde und Gewerbtreibende, welche hauptsächlich vom Tagelohn leben. Die Klassen selbst waren nach leicht in die Augen tretenden äußern Merkmalen getrennt. Jedoch wurde jede Klasse in drei Abteilungen geschieden. Die Einschätzungen in diese letztern erfolgte nach der Leistungsfähigkeit. Die Steuersätze waren in den einzelnen Klassen: I. 144, 96, 48; II. 24,18, 12; III. 8, 6, 4; IV. 3, 2, 1 1/2 und 1/2 Thlr.

Die Belastung durch die Klassensteuer war aber immer noch sehr ungleichmäßig und keineswegs der wirklichen Leistungsfähigkeit angepaßt, der Steuerfuß war in der Wirtlichkeit ein umgekehrt progressiver, da die Steuer bei den höhern Einkommen einen geringern Prozentsatz von diesen ausmachte, als beiden kleinern. Eine Änderung war deshalb unvermeidlich. Eine solche brachte nach längern Vorarbeiten das Gesetz vom 1. Mai 1851, welches eine Verbindung von Klassensteuer und klassifizierter E. schaffte. Für die kleinern Einkommen wurde der Gedanke der alten Klassensteuer beibehalten, indem die Veranlagung nach Klassenmerkmalen erfolgt, und zwar in 3 Hauptklassen, welche wieder in 12, bez. 13 Stufen zerfallen, in welche die Steuerpflichtigen der betreffenden Klassen nach ihrer besondern Leistungsfähigkeit eingeschätzt wurden. Die Steuersätze stuften sich ab von 24 bis 1/2 Thlr. Die alte Verbindung mit der Mahl- und Schlachtsteuer blieb bestehen. Die Klassensteuer wurde nur in den nicht mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Orten, und zwar von Einwohnern erhoben, deren Einkommen 1000 Thlr. nicht überstieg. In den übrigen Orten trat an ihre Stelle die Mahl- und Schlachtsteuer. Die klassifizierte E. war im ganzen Gebiete des Staates von allen Einkommen über 1000 Thlr. zu entrichten, doch kamen in den mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städten für jeden Steuerpflichtigen 20 Thlr. in Abzug. Diese Verbindung mit der kopfsteuerartig wirkenden Aufwandsteuer hatte schon Ungleichheit in der Belastung zwischen Stadt und Land zur Folge. Für die Einkommen über 1000 Thlr. waren 30 Stufen gebildet, welche anfangs um je 200 Thlr., später um höhere Beträge bis zu 240,000 Thlr. steigen. Alle Einkommen, welche derselben Stufe angehörten, zahlten den gleichen Steuersatz, das geringste 3 Proz., die höhern einen entsprechend geringern Prozentsatz. Alle Einkommen von über 240,000 Thlr. hatten 7200 Thlr. an Steuern zu entrichten; für diese war demnach der Steuerfuß ein umgekehrt progressiver, indem er sich von 3 Proz. ab