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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Einkommensteuer (Reformen in Preußen seit 1873)

mit steigendem Einkommen immer mehr erniedrigte, für ein Einkommen von 720,000 Thlr. auf 1 Proz. 2c. Die Einkommensbemessung erfolgte nicht durch die Pflichtigen, sondern durch Einschätzung von seiten einer Kommission; doch sollte jedes lästige Eindringen in die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der einzelnen Steuerpflichtigen vermieden werden.

Die Notorietät sollte die Stelle der speciellen Abschätzung vertreten. Aus diesem Grunde wurden Steuerpflichtige auch nur für den Fall mit Strafe bedroht, daß sie bei einer Reklamation wissentlich zu niedrige Angaben machten. Die Hilfsmittel für eine richtige Einschätzung waren sehr unvollkommen und die Besteuerung demgemäß, wie allgemein bekannt und neuerdings in vielbesprochenen Fällen mehr in die Öffentlichkeit gezogen, sehr ungleichmäßig. Dabei spielten hier und da auch das Vetterschaftswesen, die Parteiangehörigkeit 2c. eine Rolle. Anerkannt reiche Leute waren viel zu niedrig eingesteuert, ohne daß sie zu einer Berichtigung verpflichtet waren. Gegen zu hohe Einschätzung konnte jedoch Einspruch erhoben werden. Die Steuer trug demnach weniger ein, als sie hätte einbringen müssen, und die auf sie gestützten Einkommensbemessungen für den ganzen Staat lieferten zu niedrige Ergebnisse.

Das Jahr 1873 (Ges. vom 20. Mai) brachte einige Änderungen, welche zum Teil der damaligen Finanzlage, zum Teil dem Bestreben nach Herbeiführung einer größern Gleichmäßigkeit in der Belastung, zum Teil endlich den damals herrschenden Anschauungen über die Zulässigkeit von Oktroi und Aufwandsteuern zu verdanken waren. Die Mahl- und Schlachtsteuer kam mit dem Jahr 1875 in Wegfall. Während früher alle Staatsangehörigen steuerpflichtig waren, so wurden nunmehr alle Einkommen bis zu 420 Mk. steuerfrei, eine Befreiung, welche insbesondere durch den Hinweis auf die Schwierigkeiten der Beitreibung und auf die Kosten und schlimmen Folgen der verhältnismäßig zahlreichen Mahnungen und Zwangsvollstreckungen gerechtfertigt werden konnte. Für die der Klassensteuer zu unterstellenden Einkommen (420-3000 Mk.) wurden nun ebenso Einkommensstufen aufgestellt, wie sie bereits für die größern Einkommen bestanden, und zwar mit Steuersätzen, welche von 0,6 bis 2,7 Proz. stiegen. Der Ertrag der Steuer wurde auf 33, später, nach Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer, auf 42 Mill. Mk. kontingentiert. Die ursprüngliche Unterscheidung zwischen Klassen- und klassifizierter E. wurde demnach hinfällig, sie hatte nur noch eine Bedeutung für das Verfahren der Einsteuerung und der Reklamation. Früher war es zulässig, bei der Klassensteuer besondere Umstände zu berücksichtigen, welche die Leistungsfähigkeit minderten, wie Krankheiten, große Kinderzahl 2c., so daß die Einsteuerung in eine niedrigere Klasse als diejenige erfolgte, in welche sie nach der Einkommensgröße hätte geschehen müssen. Dies sollte nunmehr auch bei den zwei ersten Stufen der klassifizierten E. (3000-3600 und 3600-4200 Mk.und seit 1883 auch bei den folgenden drei Stufen bis zu 6000 Mk.) zugelassen werden. Endlich wurde die Unzuträglichkeit beseitigt, daß die höchsten Einkommen über 720,000 Mk. einen mit steigendem Einkommen sinkenden Prozentsatz als Steuer entrichten; auf die seitherige letzte Stufe folgten weitere mit Unterschieden von je 60,000 Mk., von welchen je 1800 Mk. mehr an Steuern zu entrichten waren.

Die seit 1879 eingetretenen Steuer- und Zollreformen des Deutschen Reiches gestatteten nicht allein, weitere Änderungen vorzunehmen, sondern es erschien, da die neuen indirekten Steuern die untern

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Klassen mehr belasteten als wünschenswert, auf dem Gebiete der direkten Steuern eine Ausgleichung anzustreben. Durch Gesetz vom 16. Juli 1880 wurde bestimmt, daß die Summen, welche dem preußischen Staat aus dem Ertrag der Zölle u. Tabaksteuern oder infolge weiterer Reformen des Reiches jährlich überwiesen würden, insoweit darüber nicht zur Deckung des Staatsbedarfs oder zum Zweck der Überweisung eines Teiles der Grund- und Gebäudesteuer an die Kommunalverbände verfügt werde, zum Erlaß von Monatsraten der Klassensteuer und der fünf untersten Stufen der klassifizierten E. verwandt werden sollten. Im folgenden Jahr wurde ein dauernder Erlaß von drei Monatsraten angeordnet (Gesetz vom 10. März 1881), und 1883 (Gesetz vom 26. März) wurden die untersten Stufen der Klassensteuer, d. h. die Einkommen von 420-900 Mk., von der Steuer ganz befreit, von den übrigen Stufen wurden drei Monatsraten, von der ersten Stufe der klassifizierten E. deren zwei und von der zweiten eine »außer Hebung« gesetzt. Die 1873 angeordnete Kontingentierung wurde aufgehoben. Ein Gesetzentwurf der Regierung, nach welchem die Steuerfreiheit auch auf die Einkommen von 900-1200 Mk. ausgedehnt, von da ab mit einer Besteuerung von 1 Proz. begonnen werden und der Steuerfuß, allmählich steigend, erst bei 10,000 Mk. die Höhe von 3 Proz. erreichen sollte, kam nicht zu stande. Auch fand das Verlangen, die Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien zur E. heranzuziehen, keine Zustimmung.

Zu einem vorläufigen Abschluß gelangten die Reformbestrebungen in der neuesten Zeit, und zwar wurden außer der E. auch noch die Gewerbe- und die Erbschaftssteuer einer Änderung unterworfen. Eine Vermehrung der Einnahmen aus den direkten Steuern anzustreben, erachtete die Regierung bei der gegebenen Finanzlage nicht für notwendig. Es sollte vielmehr nur eine gerechtere, den gegenwärtigen Verhältnissen angepaßte, insbesondere der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen in höherm Maße entsprechende Verteilung der direkten Steuern angestrebt werden. Aber auch an eine Abbröckelung und Verminderung der direkten Steuern, welche eine notwendige Ergänzung der indirekten bildeten, wird nicht gedacht. Sollten die Reformen günstig verlaufen und insbesondere die E. bei der neuen Veranlagung einen höhern Ertrag abwerfen, so könne über die Hälfte der Grund- und Gebäudesteuer an die kommunalen Verbände an Stelle der jährlich unsichern und schwankenden Getreide- und Viehzölle überwiesen werden. Von der E. insbesondere wird erhofft, daß sie der Hauptträger der direkten Staatsbesteuerung werde. Die Vorschläge der Regierung fanden mit wenigen Ausnahmen die Zustimmung der Volksvertretung und Aufnahme im neuen Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891. Durch dieses sind die Klassen- und die klassifizierte E. zu einer einheitlichen Steuer verschmolzen. Die subjektive Steuerpflicht wurde dahin erweitert, daß nunmehr auch Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Berggewerkschaften, welche in Preußen einen Sitz haben, dann diejenigen eingetragenen Genossenschaften, deren Geschäftsbetrieb über den Kreis ihrer Mitglieder hinausgeht, sowie Konsumvereine mit offenem Laden, sofern dieselben die Rechte juristischer Personen haben, zur Besteuerung herangezogen werden. Seither wurden nur physische Personen durch die E. getroffen. Die Neuerung gestattet nun auch, die bisher der E. entgangenen Erträge derjenigen auslän-