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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Einkommensteuer (das preußische Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891)

dischen Kapitalien zu erfassen, welche in inländischen Aktienunternehmungen 2c. angelegt sind. Nun wird freilich in Zukunft eine Doppelbesteuerung statthaben, da die Dividenden bei den Aktionären nach der Verteilung wiederholt getroffen werden. Diesen zu gestatten, ihre Dividendenbezüge bei ihren Steuererklärungen in Abzug zu bringen, ist mißlich und öffnet Hinterziehungen Thür und Thor. Es wurde deshalb der auch bereits in Baden eingeschlagene Ausweg beliebt und mit Rücksicht auf die Mehrbelastung, welche den größern Aktiengesellschaften aus der Umgestaltung der Gewerbesteuer erwächst, bestimmt, daß bei Feststellung des steuerpflichtigen Einkommens 3 1/2 Proz. des Aktienkapitals 2c. von den in Rechnung zu stellenden Überschüssen vorweg in Abzug kommen sollen. Die gesetzlichen Steuerbefreiungen entsprechen im wesentlichen dem bestehenden Recht. Jedoch ist bereits im Gesetz vorgesehen, daß die Häupter und Mitglieder vormals unmittelbarer deutscher Reichsstände, welchen das Recht der Befreiung von ordentlichen Personalsteuern zusteht, zu der E. von dem Zeitpunkt ab herangezogen werden sollen, in welchem durch besonderes Gesetz die Entschädigung für die aufzuhebende Befreiung von der E. geregelt sein wird. Die objektive Steuerpflicht beginnt mit einem Einkommen von mehr als 900 Mk. Die Unterschiede zwischen den aufeinander folgenden Einkommenstufen wurden gegen früher vermindert. Die Stufen steigen anfänglich um 150, dann um 300, 500 Mk., von 10,500 Mk. an um 1000 und von 32,000 Mk. an um 2000 Mk. Der Steuerfuß steigt von rund 0,6 Proz. für 900-1050 Mk. allmählich bis auf 3 Proz. bei 9500-10,500 Mk. Er ist also bis dahin gegen früher ermäßigt. Die Einkommen von 960-10,800 Mk. warfen zuletzt eine Steuersumme von 53,7 Mill. Mk. oder 71,0 Proz. des gesamten Einkommensteuerbetrags ab. Eine Erhöhung der Einnahmen wäre demnach bei diesen Einkommen nur aus einer Verbesserung in der Steuerveranlagung zu erhoffen. Für höhere Einkommen steigt der Steuersatz, bis er bei 100,000 Mk. den Betrag von 4 Proz. erreicht. Von da ab bleibt er konstant. Diese höhern Einkommen warfen zuletzt eine Steuersumme von 21,3 Mill. Mk. ab, oder 28,4 Proz. des gesamten Steuerertrages. Die aus der Erhöhung des Steuerfußes allein zu erwartende Mehreinnahme würde sich auf weniger als 7 Mill. Mk. stellen. Hierzu käme neben dem Steuerzuwachs aus der Veränderung der Steuerveranlagung noch die Einnahme aus der Besteuerung von Aktiengesellschaften 2c.

Den minder bemittelten Bevölkerungsschichten sind außerdem noch in besondern Fällen weitergehende Erleichterungen als seither zugedacht. Es ist gestattet, bei der Veranlagung besondere, die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen wesentlich beeinträchtigende wirtschaftliche Verhältnisse in der Art zu berücksichtigen, daß bei einem Einkommen von nicht mehr als 9500 Mk. eine Ermäßigung der allgemein vorgeschriebenen Sätze um höchstens drei Stufen gewährt wird. Als Verhältnisse dieser Art kommen lediglich außergewöhnliche Belastungen durch Unterhalt und Erziehung der Kinder, Verpflichtung zum Unterhalt mittelloser Angehöriger, andauernde Krankheit, Verschuldung und besondere Unglücksfälle in Betracht. Neu ist die Bestimmung, daß für jedes nicht selbständig zu veranlagende Familienmitglied unter 14 Jahren von dem steuerpflichtigen Einkommen des Haushaltungsvorstandes, sofern dasselbe den Betrag von 3000 Mk. nicht übersteigt, der Betrag von 50 Mk. in Abzug gebracht wird, mit der

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Maßgabe, daß bei Vorhandensein von drei oder mehr Familienmitgliedern dieser Art auf jeden Fall eine Ermäßigung um eine Stufe stattfindet.

An Stelle der Einschätzung durch Dritte tritt in Zukunft die obligatorische Selbstangabe der Steuerpflichtigen (Deklaration) für alle, welche bereits mit einem Einkommen von mehr als 3000 Mk. zur E. veranlagt sind. Aus dieser Verpflichtung in Verbindung mit den anwendbaren Kontrollmitteln und mit der Androhung von Strafen erhofft man eine ansehnliche Steigerung der Steuereinnahme. Oft ist freilich die genauere Angabe einer Summe schwer oder unmöglich. Mit Rücksicht hierauf wurde bestimmt, daß dem Steuerpflichtigen auf seinen Antrag, soweit es sich um nur durch Schätzung zu ermittelndes Einkommen handelt, gestattet werde, in die Steuererklärung statt der ziffermäßigen Angabe des Einkommens diejenigen Nachweisungen aufzunehmen, deren die Veranlagungskommission zur Schätzung desselben bedarf. Die unbedingte Deklarationspflicht auf kleinere Einkommen unter 3000 Mk. auszudehnen, erschien weder als erforderlich noch als zweckmäßig. Ersteres nicht, weil die Einkommensverhältnisse solcher Pflichtigen, mit Ausnahme der Bezüge aus Kapitalvermögen, in der Regel unschwer zu schätzen seien, diejenigen aber, bei welchen die Schätzung, Schwierigkeiten verursache oder ein Einkommen aus Kapitalvermögen zu vermuten sei, zur Abgabe einer Steuererklärung durch besondere Aufforderung verpflichtet werden könnten, wie dies denn auch in der That im Gesetz vorgesehen ist. Als unzweckmäßig wurde eine weitere Ausdehnung erachtet, weil die Mehrzahl der Steuerpflichtigen mit geringerm Einkommen zur Abgabe einer brauchbaren schriftlichen Steuererklärung kaum befähigt sei, überdies aber die Sichtung und Verarbeitung eines so umfangreichen Materials auf Schwierigkeiten stoßen müsse.

Die Selbstangabe der Pflichtigen darf aber nicht die alleinige Grundlage für die Veranlagung der Steuer bilden, da dieselbe aus Mangel an gutem Willen oder an für die Einkommensbemessung nötigen Kenntnissen und Mitteln nicht immer eine hinreichend zuverlässige Quelle für die richtige Erkenntnis des wirklichen Einkommens bildet. Sie muß vielmehr durch gründliche Prüfung unterstützt und kontrolliert werden. Mit Recht wird daher von der Regierung ein besonderer Nachdruck gelegt: 1) auf die Schaffung von Veranlagungsorganen, welche durch ihre Zusammensetzung die sachliche und unparteiliche Handhabung der Veranlagungsgrundsätze verbürgen; 2) auf die gründliche Vorbereitung und energische Leitung des Veranlagungsgeschäfts durch geschulte Beamte, deren Kraft nicht durch anderweite dienstliche Thätigkeit erschöpft werden darf; 3) auf die Befugnis und Verpflichtung der Veranlagungsbehörden zur selbständigen Ermittelung und nötigen Falls Schätzung des Einkommens; endlich 4) auf wirksame Strafandrohungen gegen wissentlich unrichtige und unvollständige Deklarationen. Gerade am Mangel solcher eigens geschulten Beamten, welche das Interesse des Staates in wirksamer Weise zu vertreten haben, hat das preußische Steuerwesen bis jetzt empfindlich gekrankt.

Das Gesetz trifft auch Vorsorge für die Verwendung von etwa eintretenden Mehreinnahmen. Übersteigt nämlich die Einnahme an E. für 1892/93 die Summe von 80 Mill. Mk. und für die folgenden Jahre einen um je 4 Proz. erhöhten Betrag, so sollen die Überschüsse nach Maßgabe eines zu erlassenden besondern Gesetzes zur Durchführung der Beseitigung,