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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Geographentag (internationaler Kongreß Bern 1891)

Geographie oder Weltwirtschaft gesandt. Die Verhandlungen wurden vorzugsweise in französischer Sprache geführt, für die Vorträge waren außer dieser die deutsche, englische und italienische Sprache zugelassen. Es fanden vier Hauptsitzungen, zehn Fachsitzungen und eine Schlußsitzung statt. Es sprachen Cust über die Okkupation Afrikas, dessen Ausfälle gegen Deutschland offiziell zurückgewiesen werden mußten, v. d. Steinen über die Urheimat der Karaiben, Prinz Heinrich von Orléans berichtete über die von ihm mit Bonvalot ausgeführte Reise von Taschkent durch Tibet nach Tongking. Penck sprach über die Herstellung der Karte der Erde im Maßstabe 1 : 1,000,000, zu welchem Thema der Schweizer Falquet eine Broschüre über ein internationales Zentralbüreau der Erdkarte überreichte. Zur Beratung wurde eine internationale Kommission gewählt. Aquila Stout sprach über den Kanal von Nicaragua, Eckhout aus Java über die Eisenbahnen der Sundainseln; zugleich wurde in den Sektionen verhandelt. In der Verhandlung über Weltzeit und Anfangsmeridian sprach sich Förster-Berlin zu gunsten einer einheitlichen Weltzeit aus, während Coelln-Madrid, Marcuse-Paris, Tondini de Quarenghi-Bologna, Bouthillier de Beaumont-Genf und Hesse-Wartegg (New York) für die Zonenzeit (fuseaux horaires) eintraten. In Bezug auf den Anfangsmeridian trat Bouthillier für den der Beringsstraße (sogen. Médiateur), Tondini für den von Jerusalem ein. In der Sektion Helvetica sprach Amrein - St. Gallen über modernes Naturgefühl und Alpenwanderungen, de Claparède-Genf über die Linnäa, einen botanischen Garten zu Bourg St.-Pierre-Wallis in 1693 m Meereshöhe. In der schulgeographischen Sektion berichtete Faure-Genf über den Zustand des geographischen Unterrichts in der Schweiz, Dupuy-Paris über den in Frankreich, Scott Keltie-London über den in England; Alexis sprach über die Vulgarisation geographischer Kenntnisse, v. Haardt-Wien trat für die Einführung der Ethnographie in den höhern Schulunterricht ein, Oppel-Bremen sprach über die Verwendung wirtschaftsgeographischer und entdeckungsgeschichtlicher Karten, Schmidt-Wien über den Geographie-Unterricht in den untern Gymnasialklassen, Bouthillier de Beaumont-Genf zeigte seine neue Projektion im Anschluß an den Méridian médiateur, Charbonnier-Belgien schlug eine Einteilung der Erde in eine septentrionale und eine äquatoriale Ländergruppe vor, Torres Campos sprach über den geographischen Unterricht in Spanien, Krebs über eine neue Projektion. Die dritte allgemeine Sitzung eröffnete Annenkoff mit einem Vortrag über die Wichtigkeit des Geographie-Unterrichts im 19. Jahrhundert als Grundlage für Auswanderung und Kolonisation, von Lószy über die Reisen des Grafen Széchenyi in China von 1877-80, Graf Joachim Pfeil über seine Reisen und Forschungen im Bismarck-Archipel. In der vierten Hauptsitzung sprach Fritz du Bois-Paris über das javanische Volk, Napoleon Ney über die transsaharische Eisenbahn, de Claparède über eine Wanderung von Manila nach Majayjay, Stout verlas einen Vortrag von Hurlbut über Kapitän Glaziers angebliche Entdeckung der Mississippiquellen. Darauf folgte eine Reihe von Sektionssitzungen. Eine derselben war der Frage der Transskription gewidmet, wobei man nach Ansprachen von Barbier-Nancy, Coello-Madrid und Gambino-Palermo zur Annahme der Pariser Transskription für alle nicht lateinisch geschriebenen Namen kam, ein Beschluß, der natürlich auf eine allgemeine Geltung nie rechnen kann. In der Sektion Gletscher und Seen verlas Forel-Lausanne ein Manuskript des Oberst Lochmann über die Aufnahme der Schweizer Seen und hielt hierauf einen Vortrag über hydrographische Karten der subalpinen Seen. Delebecque berichtete über die Arbeiten der Franzosen im Genfer See. Prinz Roland Bonaparte teilte den Inhalt seiner kurz zuvor erschienenen Arbeit über die französischen Gletscher mit, Palacky-Prag sprach über die geologische Geschichte der Flüsse und die Notwendigkeit ihres besondern Studiums, Chaix-Genf über die Ergebnisse seines Besuchs des Ätna. In der der Kartographie gewidmeten Sitzung zeigte Duhamel seine neue Karte des Massivs vom Pelvoux vor, Anutschin-Moskau teilte mit, daß die Pozowagora, der vermeintliche Gipfel des Waldai, nur eine unbedeutende Erhebung sei, Ratzet-Leipzig sprach über kartographische Darstellung der Bevölkerungsdichtigkeit und Verteilung, Peucker-Wien legte eine Reihe von Profilen vor, welche das wirkliche Areal und den mittlern Böschungswinkel von typischen Formen der Erdoberfläche darstellen. In der Sektion Handelsgeographie verhandelte man auf Anregung des Prinzen von Cassano über Schutzmaßregeln für Auswanderer, Rosier-Genf sprach über die Bedeutung der Geographie bei ökonomischen Konflikten. In Vertretung von Kirchhofs berichtete Penck über die Arbeiten zur Bibliographie der deutschen Landeskunde; ähnliche Berichte erstatteten Kau über Holland, Guillaume über die Schweiz. In der Sitzung für Meteorologie wurden Zuschriften verlesen von Hann-Wien und Blanford-Folkestone, welche übereinstimmend betonten, daß viele der besonders in den Tropen gemachten Beobachtungen fast wertlos erscheinen, weil die Termine nicht vergleichbar und die Instrumente nicht geprüft sind. Brückner-Bern sprach über die Bedeutung der Klimaschwankungen für Theorie und Praxis. In der letzten Sektionssitzung verlas Delmar Morgan-London einen Bericht von Tennison Woods über den Guyosarchipel und sprach über die Entdeckung Australiens, Müller-Heß-Bern über die Wanderungen indischer Buddhisten nach Birma und den Sundainseln, Henri Moser-Paris über Turkistan, Leclercq-Brüssel schilderte die Geschichte der Besteigung des Ararat, Büttikofer-Leiden sprach über Liberia. In der Schlußsitzung berichtete Ricchieri über die Expedition Ferrandi nach der Somalihalbinsel; 18 Resolutionen der Sektionen wurden zum Beschluß erhoben und als Sitz des nächsten Kongresses nach 3-5 Jahren London in Aussicht genommen. Die mit dem Kongreß verbundene Ausstellung gliederte sich in drei Abteilungen: eine internationale schulgeographische, eine alpine und eine historisch-geographische Ausstellung der Schweiz. Die erste ermöglichte einen eingehenden Vergleich, besonders der in der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Österreich-Ungarn üblichen Unterrichtsmethoden und Lehrmittel. Außerdem waren noch vertreten Italien, Spanien, Belgien, Finnland, Schweden und Großbritannien. Von deutschen Firmen hatten besonders J. Perthes-Gotha und Reimer-Berlin ihren Reichtum an gediegenen Kartenwerken entfaltet, welch letzterer Verlag den großen Preis davontrug. Aber trotz der Menge fremder Ausstellungsgegenstände war die Ausstellung doch in ihrer Gesamtheit eine schweizerische, welche den Beschauer in die wissenschaftliche Gegenwart und Vergangenheit des Landes durch ein vollkommenes und abgerundetes Bild einführte.