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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Höhere Lehranstalten (Reform in Bayern)
mathematisch-naturkundlichen Gebiet (31 gegen 52) der Abstand noch erheblich weiter. In der Summe der Pflichtstunden blieb das erhebliche preußische Mehr von 43 Wochenstunden, für jede Klasse 4,8, bestehen. An tiefer liegenden Unterschieden sei hervorgehoben, daß in Bayern der lateinische Aufsatz schon nach dem Lehrplan von 1874 nicht mehr bestand, und daß in der III. Gymnasialklasse (nach preußischer Benennung Unterprima) unter Benutzung einer kurzen Grammatik der mittelhochdeutschen Sprache ausgewählte Stücke aus den vorzüglichsten Werken nüttelalterlicher Dichtung (Nibelungenlied, Walther von der Vogelweide) gelesen und erklärt werden sollten.
Obwohl nun in Bayern nicht in gleichem Grade wie in Preußen die Unzufriedenheit mit dem vorhandenen Zustande des Schulwesens sich geltend machte, hielt es doch der neue Kultusminister gegenüberder ganzen Bewegung der Geister in den letzten Jahren für geboten, das gesamte Schulwesen auch des Königreichs Bayern durch eine Versammlung von Sachverständigen durchberaten zu lassen und vor allem das Mittelschulwesen. Als Stamm und Kern für eine solche Versammlung bot sich in Bayern der seit 1. Januar 1873 bestehende Oberste Schulrat dar, ein Kollegium, welches unter Vorsitz des Ministers3 Professoren der Universitäten, 2 der technischen Hochschule und 3 Schulrektoren bilden, und von dem alle grundsätzlich wichtigen Schulfragen vorgängig zu begutachten sind. Zum Zwecke der diesmaligen umfassender« Arbeit wurde der Oberste Unterrichtsrat durch eine Anzahl außerordentlicher Vertrauensmänner erweitert und entledigte sich seiner Aufgabe in einer längern Reihe von Sitzungen während des Winters von'1890/91. Als erstes Ergebnis dieser Arbeit für die Humangymnasien erschien ein Ministerialerlaß am 28. Januar 1891, dessen wesentlicher Inhalt nunmehr aufgenommen ist in die ausführliche Königliche Allerhöchste Verordnung vom 23. Juli 1891 und die mittels ihrer erlassene Schulordnung für die humanistischen Gymnasien im Königreich Bayern.
Schon der Titel zeigt, daß man in Bayern die bisher übliche Gliederung der sogen. Studienanstalten in einen fünfklassigen Unterbau (Lateinschule) und einen vierklassigen Oberbau (Gymnasiuni) aufgegeben hat.
Allerdings bleibt Titel IX der Schulordnung vom 20. August 1874, der von den isolierten Lateinschulen handelt, wie diese Anstalten selbst bis zu deren anderweitiger organischer Regelung mit geringen Maßgaben gültig. Allein es erhellt aus dem ganzen Lehrplan wie aus der neuen Bezeichnung der ehemaligen Studienanstalten als humanistischer Gymnasien, daß man entschlossen ist, im allgemeinen Zuschnitt der Mittelschulen dem, was im größern Teil des deutschen Reiches gilt und teilweise durch die Einrichtung des deutschen Heerwesens (Recht zum einjährigen freiwilligen Dienste) bedingt ist, auch äußerlich erkennbare Rücksicht zu beweisen. Im übrigen ist nur leise am Hergebrachten geändert.
Ein Vergleich der neuen Stundentabelle mit der von 1874 ergibt folgende Änderungen: geringen Zuwachs an wöchentlichen Stunden erfuhren die Fächer Religion (in den beiden obersten Jahrgängen; 18 gegen 16 Stunden), Deutsch (letzter Jahrgang; 27 gegen26), Physik (4gegen2), Französisch (10 gegen 8, im 6. und 7. Jahrgang). Vermindert zeigt sich die Stundenzahl im Latein (66 gegen 73; abgestrichen sind je 2 Stunden in Klasse II und HI, je^i in VI, VII, VIII, IX; hinzugefügt ist 1 Stunde in Klasse I) und in Kalligraphie (4 gegen 9). Ganz neu ersch-int
im Stundenplan Naturkunde mit 5 Stunden (je1 von I-V) und, wenigstens neu als Pflichtfach, Zeichnen mit 3 Stunden in den Klassen II und 111, während von da aufwärts das Zeichnen Wahlfach geblieben ist. Die übrigen Wahlfächer (Hebräisch, Englisch, Italienisch, Stenographie), Musik, besonders Gesang, sind unberührt gelassen. Im ganzen hat die Zahl der Pflichtstunden um 2 zugenommen '245 gegen 243). Das Nähere ergibt die folgende Übersicht der Wochenstunden:
Lehrgegenstände
Religion.....
Deutsch.....
lateinisch.....
Griechisch.....
Französisch .. .. .. . Arithmetik n. Mathematik .....
Pyynk......
Geschichte. .. .. . Geographie . Naturkunde . Zeichnen .. . Kalligraphie.
Turnen ,, .
Zusammen:
Klassen
ijn!in>ivjvjvi vii^viii^x
2 2 5' 4
2 21 1
-' 2
2l 2
Zus.
1 gelegtl. d. Geschichte
Vahlfach
2 2
13
27
66
36
10
29
4
16
4
18
25!25l 25 > 2? j28,' 28 j 29 j 29 j 29! 245
Im einzelnen ist etwa das Folgende als besonders bezeichnend aus den genauern Vorschriften der die Übersicht begleitenden Paragraphen anzumerken: In der uom pädagogischen wie vom gesundheitlichen Standpunkte aus vielverhandelten Frage, ob ungeteilter Vormittagsunterricht oder Verteilung der Stunden auf Vor- und Nachmittag vorzuziehen, stellt die bayrische Schulverwaltung sich auf diese vom Herkommen begünstigte Seite. Zwei Nachmittage sind grundsätzlich frei, wenn auch thatsächlich nicht völlig, da Exkursionen im Dienste des naturkundlichen Unterrichts, auch wohl Turnstunden und Unterricht in Wahlfächern dahin verlegt werden dürfen; sonst Unterricht vor und nach Mittag. Nie sollen an den vollen Schultagen vor oder nach Mittag mehr als drei Stunden Unterricht (ausgenommen wenn Turnen und eigentliche Lernstunden abwechseln) aufeinander folgen.
An den Tagen mit freiem Nachmittag dürfen der Vormittagsstunden vier sein. Bezüglich der Hausaufgaben enthält H 28 folgende Vorschriften, die von den entsprechenden des 8 27 der Schulordnung von 1874 nicht grundsätzlich abweichen, diese aber unter dem Einfluß der inzwischen vorgekommenen Verhandlungen vorsichtiger umgrenzen: 1) »Um den Lehrstoff einzuüben und den Fortschritt der Schüler zu beurteilen, werden denselben in angemessenen Zwischenräumenpassende Aufgaben, längere und kürzere (Extemporalia), zur Bearbeitung in der Schule ohne Benutzung von Hilfsmitteln (Schulausgaben) gegeben. 2) Jede Schulausgabe ist von dem Lehrer, der sie gegeben Hai, womöglich innerhalb der nächsten acht Tage korrigiert und zensiert zurückzugeben. Nachdem diese Arbeiten mit den Schülern durchgesprochen worden sind, werden sie dem Rektorat vorgelegt.
Sie liefern neben den üblichen schriftlichen und mündlichen Leistungen der Schüler die Anhaltspunkte für die denselben in den Zeugnissen zu erteilenden Noten.
3) Außerdem ist den Schülern alle 14 Tage in den untern fünf Klassen, jeden Monat in den obern vier Klassen eine deutsche Hausaufgabe zu geben, welche, wie die Schulausgaben, von dem Lehrer Zu korri-