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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Musiktheoretische Litteratur (Allgemeines)

Fischhaut, Flossen oder Kiemen einschlagen, um sich so an dem Fische zu befestigen. Die Zahl der schmarotzenden Muschellarven, die sich an einem Fische festsetzt, kann unter Umständen sehr groß werden; Schierholz beobachtete einen 13 cm langen Barsch, der allmählich 2400 Anodontenlarven aufnahm. Dabei besteht ein gewisser Unterschied zwischen den Larven der Teichmuscheln (Anodonta) und der Flußmuscheln (Unioniden) darin, daß sich die Unio-Larven infolge ihrer weniger scharfen Hakenbewaffnung nur an den Kiemen, die Anodonta-Larven noch außerdem an den Flossen und auf der Haut befestigen. Am häufigsten trifft man solche mit Glochidien besetzten Fische Ende März und April, nachdem das Laichen der M. im März stattgefunden hat. Aus der Epidermis des Fisches wächst eine neue Ei-Hülle um den Schmarotzer, in welcher das Tier in 4-5 Wochen seine weitere Entwickelung vollendet. Dieselbe beginnt mit der Rückbildung des nun überflüssig gewordenen Larvenfadens und der Sinnespapillen; es bilden sich Fuß und Kiemen aus, endlich lösen sich auch die Schalenhaken ab, die Tiere verlassen ihre Wirte und beginnen als anfangs sich lebhaft bewegende M. ihr freies Dasein, und man sieht dem kleinen Tiere nicht mehr an, welch wechselvolles, aber träges Dasein es bis dahin geführt hat.

Eine weiter dem Schmarotzerleben angepaßte Muschel hat Völtzkow im Darm einer an der Nordküste von Sansibar entwickelten Seewalze (Synapta-Art) entdeckt und als Seitenstück der durch ihre abenteuerliche Deutung berühmt gewordenen Holothurienschnecke (Entoconcha mirabilis) Johannes Müllers Entovalva mirabilis getauft. Ihre Umwandlung ist aber bei weitem nicht so weit vorgeschritten wie bei der Wunderschnecke. Sie hat ihre zweiklappige Schale behalten, doch kann dieselbe nicht mehr geschlossen werden, sondern klafft weit auseinander; der Mantel wächst weit über sie hinweg und umschließt sie zuletzt vollständig. Eine mächtige Entwickelung gewinnt der Fuß der Muschel, welcher als ein Keil von der Größe des gesamten übrigen Tieres zwischen den Schalenklappen und sie bedeckenden Mantelhälften hervorragt und mittels einer saugnapfähnlichen Bildung zum Festhaften an der Magenwand wie auch an festen Körpern dient, wenn man die Muschel aus dem Körper des Wirtes herausnimmt; sie bewegt sich dann lebhaft ruckweise vorwärts. Am hintern Ende des Tieres vereinigen sich die beiden über die aufgeschlagenen Klappen hinauswachsenden Mantelhälften zu einem glockenförmigen Brutraum für die Jungen des hermaphroditischen Tieres, aus welchem sie als Kreisellarven hervortreten, dann wahrscheinlich entleert werden und für einige Zeit ein freies Leben im Meere führen, bevor sie wieder in die Holothurie einwandern. Aus der nicht sehr weit vorgeschrittenen Anpassung läßt sich schließen, daß die Einwanderung erst in einem spätern Stadium stattfindet; zufällig ins Freie gelangte erwachsene Wundermuscheln wußten trotz des Widerstrebens der Holothurie bald wieder durch den Mund in den Magen zu gelangen, nachdem sie kurze Zeit auf dem äußern Körper umherkrochen. Mit dieser Muschel fand Völtzkow öfters zugleich eine Schmarotzerschnecke in der Holothurie (s. Schnecken, Bd. 19), so daß der kleine Kreis schmarotzender Weichtiere gleich um ein paar Arten vermehrt worden ist.

Musiktheoretische Litteratur. Für die Theorie der Musik, die praktische Kunstlehre, könnte ein Jahresbericht wie die Übersicht über die musikalische Litteratur der letzten Jahre (Bd. 18, S. 628) kaum mehr sein als die Aufzählung der Titel einer Anzahl neuer Bücher, die sich hauptsächlich durch die Namen ihrer Verfasser, inhaltlich dagegen nur sehr wenig unterscheiden. Besonders bringt jedes Jahr eine Reihe sogen. Harmonielehren, d. h. Generalbaßlehren im alten Stile, und einige ebenso stereotype allgemeine Musiklehren oder Elementarmusiklehren, über die schlechterdings nichts zu sagen ist, als daß sie der stabil gewordene Ausdruck der verbreitetsten Unterrichtsmethode sind, die sich seit Anfang des Jahrhunderts kaum irgendwie geändert hat. Werfen wir dagegen einen schnellen Blick auf die letzten 50 Jahre, so wird allerdings ersichtlich, daß es im Gebiete der musikalischen Kunstlehre gärt, und daß neue Ideen nach neuen Formen ringen; anerkennenswerte Anläufe lassen die Hoffnung wach werden, daß es in nicht allzu ferner Zeit zu einem wirklich zeitgemäßen Ausbau der Unterrichtsmethode kommen kann, welcher den seit länger als 100 Jahren bestehenden und seit mehr als 50 Jahren beklagten Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis aufhöbe und die musikalische Schule mit dem musikalischen Leben wieder in innigern Zusammenhang brächte.

Es sind nun mehr als 50 Jahre verstrichen, seit A. B. Marx mit seiner »Musikalischen Kompositionslehre« (1837, Bd. 1) entschlossen einen Weg betrat, den H. G. Nägeli in seinen »Vorlesungen über Musik« (1826) so vorgezeichnet hatte: »Die musikalische Kompositionslehre hat Anleitung zu geben, wie Rhythmus und Melodie elementarisch und kombinatorisch zu einem Kunstganzen verbunden werden können. Sie hat dies von unten herauf methodisch zu leisten.« Das Auffallende und Charakteristische dieses Programms war, daß es nur von den beiden Disziplinen sprach, welche bis dahin in unverantwortlicher Weise vernachlässigt worden waren: Melodik und Rhythmik, und die in der vorausgehenden, über 100 Jahre zählenden Epoche fast ausschließlich in Betracht gezogene Harmonielehre absichtlich nicht nennt. Nicht als ob Nägeli oder Marx die Harmonielehre für ein unwesentliches Accidens gehalten hätten (wie umgekehrt der um die Bekämpfung veralteter Kunstregeln so hochverdiente Gottfried Weber vom Rhythmus geradezu sagte, er sei »nichts Wesentliches«); es galt aber, mit aller Schärfe zum Bewußtsein zu bringen, daß man von musikalischer Gestaltung reden könne, ohne der Harmonie zu gedenken, deren Erkenntnis und Lehre erst das Ergebnis jahrhundertelanger Kultur mehrstimmiger Musik ist, während die Tonkunst schon Perioden hoher Blüte erlebt hatte, ehe man auch nur in der primitivsten Weise mehrstimmig musizierte.

Und doch war die andauernde einseitige Beschränkung auf das Studium der Harmonielehre erklärlich genug. Es liegt immerhin etwas Wahres in dem von Marx an den Pranger gestellten Satz Albrechtsbergers (1790): »Der Generalbaß gestattet uns einen Einblick in das entschleierte innerste Heiligtum, zeigt den ganzen geheimnisvollen Bau eines Kunstwerkes im Skelett etc.« Der Generalbaß (nur in dieser Gestalt kannte man ja zunächst Harmonielehre) war gewiß eine Offenbarung für jene Zeit hoher Kunstblüte, in der man die wunderbaren Verschlingungen des polyphonen Satzes nicht anders zu definieren gewußt hatte denn als eine Verkettung mehrerer Melodien, deren jede sich innerhalb einer andern Tonart, resp. Tonleiter bewegte (Glarean, 1547). Sowie einmal erst die Aufmerksamkeit vom Verfolg der Einzelmelodien auf die Betrachtung der Zusammenklänge hingeleitet war, konnte es nicht ausbleiben, daß ein stets