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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Naturwissenschaftlicher Unterricht (Naturgeschichte)
stereometrische Anschauungen einzuführen, ja sie wird geradezu zur Stereometrie gemacht, was keineswegs zweckmäßig ist. Eine Mineralogie, die sich nur an äußere Beschreibung hält, wie sie wohl in der Volksschule noch versucht wird, halten wir so gut wie nutzlos. Nicht zu billigen ist ferner, daß man vielfach an der durchaus veralteten Einteilung der Mineralien in Steine, Brenze, Metalle 2c. festhält. Die chemische Einteilung ist unsers Erachtens bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft die allein berechtigte, die Behandlung in Verbindung mit der Chemie (und nicht als Naturgeschichte) die fruchtbringendste; denn auch der Kristallographie kann hierbei die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt werden.
^Naturgeschichte.) Die Zoologie und Botanik verfolgen den Bestand, die Merkmale, Vorgänge und Wandlungen der lebenden Naturdinge, der Tiere und Pflanzen. Obwohl diese Wissenschaften mit Hilfe der vergleichenden Anatomie und Physiologie über Entwickelung, Verwandtschaft und Stufenfolge der Lebewesen in den letzten 50 Jahren unvergleichliche Fortschritte machten; obwohl die Entwickelungstheorie als der erste aussichtsreiche Schritt zur Erklärung organischer Entwickelung und Stellung zu betrachten ist und nicht nur ganz neue Forschungsgebiete erschloß, sondern hinsichtlich ihrer Bedeutung sogar nnt der heliozentrischen Theorie verglichen wird; obwohl endlich selbst für den Unterricht viele biologische Thatsachen zweckmäßige gelegentliche Verknüpfungen für Einzelerscheinungen bieten, ist der Grundcharakter der Naturgeschichte, für die Schule wenigstens, dennoch der einer deskriptiven und klassifikatorischen Wissenschaft. Denn die Biologie (worunter wir alle genannten Fortschritte Zusammenfassen) hat für das Verständnis eine umfangreiche Einzelkenntnis zur unerläßlichen Voraussetzung, eine Einzelkenntnis, welche eine humanistische Lehranstalt nicht zu geben vermag; sie fordert ferner Beobachtungen so eigner, feiner und umfänglicher Art, wie sie die Schule nicht bieten, der Schüler nicht machen kann; sie ist endlich gerade in den grundlegenden Sätzen nicht über alle Zweifel erhaben, wenigstens nicht so, daß man diese als unumstößliche Wahrheit, als der Weisheit letzten Schluß« ansehen kann.
Aus dem Charakter ergibt sich sowohl für Stoffauswahl wie für Methode der in der Hauptsache einzuschlagende Weg, selbstverständlich immer mitbestimmt durch die Forderungen der induktiven Logik und der Didaktik. Die Stoffauswahl muß im allgemeinen dem System folgen, doch so, daß die induktiv logische Arbeit dem Schüler im Einzelfalle noch möglich wird. Die gewählten Tiereund Pflanzen müssen mindestens Typen der betreffenden Gruppen sein, die Gruppen (Klassen) selbst sind aus Begriffe zu begründen, die eine sichere und leichte Subsumtion zulassen, was dann der Fall ist, »wenn die unterscheidenden Merkmale je zweier der koordinierten Arten selbst sicher und leicht erkennbar und gering ' an Zahl sind«. Das zu Grunde liegende System ^ braucht zwar nicht wissenschaftlich streng, aber es muß natürlich sein, d. h. seine Einteilungsgründe! müssen so gewählt sein, daß die nach ihnen in je eine ^ Klasse gebrachten Einzelwesen außer in den die Klasse definierenden Merkmalen auch noch in möglichst vielen andern Merkmalen ähnlich und denen andrer Klassen ! möglichst unähnlich sind. Hieraus ist dann ersichtlich.^ wie in der Zoologie das bewährte Cuviersche Systt^/ welches den Knochenbau zum Einteilungsgrm^ '^/ wie in der Botanik trotz seiner Einfachheit ', M>t ^Z Linnesche, sondern das Iussieusche Keim^^^^nsystem
zur Grundlage dienen muß. Denn nur diese »natürlichen Systeme lassen aus (oft unscheinbaren) Umständen umfassende »Anzeichen für Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten im ganzen Habitus« der Tiere und Pflanzen, sie lassen auch die natürliche Stufenfolge der Lebewesen (die höhere und niedere Organisation und deren Anwendung auf die Hauptfamilien vor allem des Tierreiches) erkennen, welche sich schon in der äußern Erscheinung, welche sich noch mehr in der morphologischen (deskriptiven) und genetischen Vergleichung aufdrängt und zwar so, daß von vornherein jede andre Gruppierung, so leicht und populär sie auch sein mag, als unnatürlich (im genannten Sinne) abgelehnt werden muß. Daß hiernach die Methode von Einzelwesen auszugehen, ,die artenb Udenden Unterschiede zu vollziehen, die Ähnlichkeiten gewisser Gruppen festzustellen hat, sei es auch nur auf Grundlage einzelner Musterbeispiele, einzelner gut definierbarer Typen, ist uns nicht zweifelhaft. Die Methode verlangt vor allem als Grundlage die Beobachtung, als Mittel die Beschreibung und rechtmäßige Begriffsbildung.
Keine der Naturwissenschaften bietet ein so interessantes, reichhaltiges, leicht zugängliches und leicht zu erfassendes Beobachtungs Material wie die Naturgeschichte, keine ist so sehr geeignet, selbst jungen Schülern zu zeigen, wie nicht die bloße Wahrnehmung, sondern die absichtliche Aufmerksamkeit auf das Ganze und auf die Teile allein zur Erkenntnis führt, wie (nach I. St. Mill) »der Beobachter nicht der ist, welcher bloß das Ding sieht, das vor seinen Augen liegt, sondern der, welcher sieht, aus welchen Teilen das Ding besteht ,, der, welcher das Wesentlichenach Qualität und Quantität, nicht das Unwesentliche, die Gliederung der Teile, nicht nur das Ganze erkennt, der endlich, welcher nur das sieht, was man wirklich sehen kann, nicht, was er sich einbildet oder sonstwie erschlossen hat. Solche Beobachtung führt zu sichern Resultaten, sie führt in dauernder übung zur Gewohnheit genauer Beobachtung für das ganze Leben. Dahin zu führen, ist die Hauptaufgabe des Unterrichts, liegt seine hervorstechendste Eigentümlichkeit. Zwar wird ja, namentlich beim Fortschreiten, auch das Experiment hilfreiche Hand leisten können, aber immerhin nur in untergeordneter Art.
Der Beobachtung folgt die Beschreibung als zweite Hauptaufgabe. Sie ist das Festhalten des Wahrgenommenen nach Merkmalen, Ähnlichkeiten und Unterschieden, sie ist die unerläßliche Voraussetzung für jede Vergleichung, Anordnung und Erklärung. Nicht als ob sie wie auch die Beobachtung bis zur wissenschaftlichen Genauigkeit gehen könnte, nein, die Firicrung der Hauptkennzeichen und Beziehungen wird ausreichen, aber diese sind eben nicht zu entbehren. Es macht fast einen komischen Eindruck, wenn gewisse Methodiker die Beschreibung aus der Naturgeschichte so gut wi<5 beseitigen und nur etwa die Beziehungen innerhalb einer willkürlichen Gruppe, etwa der Lebe'nsgeineinschaft, noch gelten lassen wollen, Bezwungen, deren Erklärungen nichts weiter als Ant^vationen darstellen. Diese Art der Naturgesch'Hte müßte gerade das Übel hervorrufen, was dev Unterricht beseitigen soll, nämlich das vorzeit^ Erklärenwollen ohne Sicherung der zu er-Wrenden Thatsachen. Das ist ja eben der Haupt' fehler des Denkens der Kinder und des menschlichen! Denkens überhaupt, daß zu schnell nach dem Wärmn! gefragt wird, statt erst das Wie aufmerksam zu ver^ folgen. War doch selbst in der Wissenschaft das ver! frühte Erklären ehemals gang und gäbe, und erst die