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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Pflanzenkrankheiten (Vegetationsbedingungen der Pflanzen)
spezies eigentümlich und sich in allen Generationen wiederholen, also typisch für sie sind. Wenn wir beispielsweise den Birnbaum betrachten, der in so mannigfachen Kulturformen alle Übergänge von der mit Dornen versehenen wilden Birne bis zu den zartesten Butterbirnen zeigt, so finden wir eine ganz bedeutende Anzahl wesentlicher Abweichungen. Bei den wilden Birnen ist das Fruchtfleisch fest, die Frucht klein, stark steinig, im Geschmack zusammenziehend; bei den guten Kulturformen dagegen zeigt die bisweilen auf eine enorme Größe gebrachte Frucht bei dem Genuß keine Spur mehr von dem zusammenziehenden Gerbsäuregeschmack und nur geringe Andeutungen der zwischen den Zähnen knirschenden Steines wohl aber einen ganz bedeutenden Zuckerreichtum und eine große Weichheit (schmelzende Beschaffenheit) des Fleisches. Auch im anatomischen Bau sind merkliche Abweichungen zwischen den wilden Birnbäumen und den Kultursorten vorhanden. In der Frucht sind die sogen. Steinzellen, welche die zwischen den Zähnen knirschenden Körnchen darstellen, dünnwandiger und weiter auseinander gerückt; im Zweigbau erweist sich bei den Kultursorten die Rinde fleischiger, der Markkörper größer und der Holzring kleiner, also der Zweig dicker und weicher als bei gleichalterigen Zweigen der Wildbirne. Trotz dieser und mannigfacher andrer Abänderungen bleiben die Merkmale des Birnbaums doch immer derart, daß wir ihn nur sehr selten, bei genauer Prüfung niemals, mit einer andern Kernobstart verwechseln werden. Der Blütenbau, die kreiselförmige Gestalt der Frucht mit ihren stets vorhandenen Steinzellen, die Blattbeschaffenheit 2c. sind Merkmale, welche bei den verschiedensten Formen immer eine charakteristische Übereinstimmung erkennen lassen, die durch keinerlei natürliche oder künstliche Eingriffe sich dauernd haben verändern lassen. Wir müssen demgemäß behaupten, daß der pflanzliche Organismus uns in gewissen Typen gegenübertritt, die nicht erschüttert werden können, wohl aber weitgehende Schwankungen in der stofflichen und gestältlichen Entwickelung zulassen. Diese in allen Generationen immer wieder innerhalb bestimmter Zeitepochen zu Tage tretenden typischen Merkmale bezeichnen wir als normale Entwickelung.
Eine solche sehen wir zu stände kommen trotz der wechselnden Witterungsverhältnisse verschiedener Jahre, so daß die Vermutung nahegelegt wird, daß der pflanzliche Organismus, im wesentlichen in seiner gestaltlichen und stofflichen Entwickelung von den Witterungsverhältnissen unabhängig, lediglich dem innewohnenden erblichen Gesetze folge. Genauere Beobachtung läßt jedoch bald das Gegenteil erkennen.
Wir bemerken, daß die Witterung von ganz bedeutendem Einfluß ist, daß sie fortwährend ändernd auf die Beschaffenheit des Pflanzenleibes wirkt, daß derselbe bis zu einem gewissen Grade direkt das Spiegelbild der Vegetationsbedingungen wird, die alljährlich auf ihn einwirken, und daß wir nur deshalb große Veränderungen von langer Dauer am Pflanzenkörper nicht auftreten sehen, weil innerhalb größerer Perioden die Iahreswitterungen sich wieder ausgleichen, so daß der langlebige Organismus Beeinflussungen eines Jahres durch entgegengesetzte andrer Jahre auszugleichen im stände ist. Um einen klaren Einblick in das Abhängigkeitsverhältnis der Pflanze von den äußern Vegetationsbedingungen zu erhalten, empfiehlt es sich, kurzlebige, schnellwüchsige Arten zu beobachten. Wir dürfen nur die besonnten und schattig stehenden, die auf trocknem Sand- und
feuchtem Lehmboden wachsenden Exemplare derselben Pflanzenart miteinander vergleichen, um sofort den Einfluß der Beschattung in dem schmächtigen, langgliederigen Bau, den Einfluß der Trockenheit in den kleinblätterigen, behaarter erscheinenden, gedrungener wachsenden Exemplaren herauszufinden. Was von der größern oder geringern Lichtmenge, von der beschränkten oder genügenden Wasserzufuhr gilt, bezieht sich auf alle Faktoren, von denen das Pflanzenleben abhängig ist. Jeder Vegetationsfaktorwirktnach Maßgabe seiner vorhandenen Stärke auf das Pflanzenleben ein und kommt bei dem Aufbau despstanzlichen Organismus zur Geltung. Jede Pflanze braucht zu ihrem Gedeihen eine gewisse Menge von jedem einzelnen Vegetationsfaktor (Licht, Wärme, Vodennährstoffe, Luftzufuhr 2e.), um sich überhaupt am Leben zu erhalten. Unterhalb dieser Minimalgrenze hören die Thätigkeitsäußerungen des Organismus auf; es tritt ein Starre zustand ein, der bei längerer Dauer zum Tode führt, bei Wiedereintritt der notwendigsten Minimalmengen der einzelnen Lebensbedingungen nach kurzer Unterbrechung einer erneuerten 'Lebensthätigkeit aber wieder Platz macht.
Von dieser Minimalgrenze ab steigern sich die Funktionen des Organismus, wenn Wärme, Licht, Nährstoffzufuhr und die andern lebenbedingenden Faktoren an Menge zunehmen, bis zu einem Gipfelpunkts, dem Optimum, um dann bei weiterer Steigerung der Vegetationsbedingungen wieder an Intensität nachzulassen, an einer Maximalgrenze endlich abermals zum Stillstand zu kommen und in einen Starrezustand einzutreten, der über eine gewisse Zeitdauer hinaus zum Absterben führt. Der von uns in seinen Wirkungen am leichtesten zu überschauende Faktor ist die Wärme. Die Kulturen der tropischen Pflanzen in unsern Gewächshäusern sind das Nächstliegende Beispiel für die Thatsache, daß jedes der einzelnen Pflanzengeschlechter besondere Ansprüche an die Temperatur stellt, und daß viele Arten schon bei Wärmegraden sterben, bei denen andre noch freudig wachsen. Genauere Beobachtung zeigt aber auch, daß die einzelnen Varietäten derselben Art sich in ihren Wärmeansprüchen verschieden verhalten, ja, daß selbst innerhalb derselben Varietät sich stets einige Individuen finden, die frosthärter als andre sind. Es werden also einzelne Exemplare derselben Art noch bei einer Temperatur Lebensthätigkeit zeigen, bei denen die Mehrzahl schon im Zustande der Kältestarre sich befindet. Was von dem Wärmebedürfnis gesagt ist, gilt auch sür jeden einzelnen andern Vegetationsfäktor. Einzelne Arten und Individuen sind noch mit Wasserquantitäten zufrieden, bei denen andre schon im Zustande der Trockenstarre sich befinden, begnügen sich mit Lichtmengen, die für andre unzureichend sind und sie in den Zustand der Dunkelstarre versetzen 2c. Ebenso wie es innerhalb jeder Art einzelne Individuen gibt, welche ganz besonders geringe Mengen der einzelnen Vegetationsfaktoren beanspruchen, gibt es anderseits auch solche, die auch extrem große Quantitäten vertragen. Innerhalb der Minimal- und Maximalgrenze jedes einzelnen Vegetationsfaktors schwankt die Intensität des Wachstums nun fortwährend hin und her; es vollziehen sich alle Funktionen, und alle Phasen der Entwickelung werden normal durchlaufen. Das Pflanzenleben bewegt sich dann innerhalb der Breite der Gesundheit.
Sinkt ein einziger der für das Pflanzenleben notwendigen Faktoren unter die für die Spezies eigentümliche Minimalmenge oder wird er über die Maxi-