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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Afrika (Staaten und Kolonien)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Afrika (Staaten und Kolonien)'

zusetzen. In ihnen konnte zuweilen sofort der Wille der europ. Macht im Interesse des Handels und namentlich in der Ausbeutung von Mineralschätzen sich geltend machen; in den meisten Fällen aber wirkte der europ. Einfluß nur langsam, nach Maßgabe der Verträge mit Häuptlingen oder der Entfaltung von Machtmitteln. Demnach läßt sich die Bedeutung einer europ. Niederlassung nur durch die Heranziehung seiner «Interessensphäre» richtig würdigen; aber da die Protektorate koloniale Schöpfungen neuester Zeit sind, so kann ihr wirklicher Wert noch nicht endgültig richtig beurteilt werden.

Auch die Endziele der einzelnen Staaten in Bezug auf ihre Kolonialpolitik sind nur in großen, vielfach verschleierten Zügen erkennbar. Das Streben des mächtigsten Kolonialstaates, Englands, tritt am deutlichsten und in selbstbewußter Energie hervor: merkantile Ausbeutung des ganzen Nilgebietes vom Victoria-Njansa bis Ägypten mit Beihilfe der ostafrik. Unternehmungen; Beherrschung des Seeverkehrs zwischen A. und Indien; Monopolisierung des Handels am Niger und Binue und Heranziehung desselben von Bornu bis zum Golf vom Guinea; Ausdehnung der europ. Ansiedelungen in Südafrika bis nördlich vom Sambesi und bis zu den Gebieten zwischen Njassa- und Bangweolosee. Alle übrigen engl. Kolonisationen, wie die all der Westküste, erscheinen von wesentlich geringerer Bedeutung. Frankreich drängt von seiner befestigten Stellung in den Mittelmeerländern und in Senegambien nach vollständiger Beherrschung des Innern von Nordwestafrika und von hier aus nach einer Verbindung mit seinen Besitzungen am Golf von Guinea; auch trachtet es in etwas phantastischer Weise danach, einen Zusammenhang seiner wenig ergiebigen Besitzungen am Kongo und Ogowe mit den reichen Ländern am Tsadsee auf einem Binnenweg anzubahnen. Der Kongostaat hofft durch Ausnutzung des ungeheuern und meist schiffbaren Flußnetzes alle vorhandenen Naturprodukte des äquatorialen Westafrika in seinen Handelsverkehr zu ziehen. Das Deutsche Reich verfolgt in den Palmölländern Togo und Kamerun hauptsächlich Handelsinteressen und beginnt zur Steigerung derselben mit Umsicht die Erschließung des Hinterlandes bis zum Niger und Binue, in zweiter Linie mit der Anlage von Plantagen im Küstengebiet; in Ostafrika gedenkt es durch Sicherung der Karawanenstraßen und Vernichtung des Sklavenhandels die Aus- und Einfuhr zu heben und dadurch die Prosperität der großen Ländermasse zu beleben. Auch erwartet es, vielleicht zu sanguinisch, reichen Ertrag aus den Unternehmungen von Pflanzergesellschaften. Gesteigerte Aufmerksamkeit widmet es jetzt der Festigung der Zustände in dem der europ. Einwanderung klimatisch sehr günstigen Südwestafrika. Für Portugal haben seine Kolonien nur einen Scheinwert; seiner Kolonialpolitik fehlt die materielle Kraft. Italiens Bestrebungen gehen darauf aus, nicht nur Handelsstationen all der östl. Somalküste zu errichten und vor allem die Schätze Abessiniens nach dem einzigen, in seinem Besitz befindlichen Hafen von Massaua zu leiten, sondern auch durch die Schutzherrschaft über dieses Land künftig die Einwanderung seiner überschüssigen Bevölkerung zu ermöglichen.

Die europ. Kolonien haben gegenwärtig (1895) einen Flächeninhalt von ungefähr 14 Mill. qkm und einen jährlichen Warenumsatz voll etwa 1550 Mill. M. Wert. ↔

Zu ihnen gehören:

1) Die englischen Besitzungen mit ungefähr 3 Mill. qkm und einem Warenumsatz von etwa 750 Mill. M.; sie bestehen aus Kronkolonien, Protektoraten und einer selbständigen Kolonie. – Die Kronkolonien mit über 1 Mill. qkm und einem Warenumsatz von 98 Mill. M. sind: in Nordwestafrika und an der Guineaküste Britisch-Senegambien oder Gambia, Sierra Leone, Goldküste, Lagos; in Nordostafrika Somalküste mit der Insel Sokotra; im Osten Centralafrika (Njassaland); in Südafrika Basuto-, Zulu- und Betschuanenland. – Unter engl. Protektorat stehen nahezu 2 Mill. qkm mit einem Warenumsatz von 70 Mio. M.: nämlich der Niger-Binuedistrikt mit dem Ölflüssegebiet, Sansibar mit Englisch-Ostafrika und Uganda, Englisch-Centralafrika (Interessensphäre), Matabele- und Maschonaland, Betschuanenland (Protektorat), Sambesia. Unter selbständiger Regierung stehen Kapkolonie und Natal.

2) Die französischen Besitzungen mit über 2 Mill. qkm und einem Warenumsatz von etwa 450 Mill. M.: am Mittelländischen Meere Algerien mit der Schutzherrschaft über Tunis bis südlich zur Linie Sav (Niger)-Tsadsee: am Roten Meere Obok; am Atlantischen Ocean Senegambien mit Französisch-Sudan und den Schutzgebieten im Nigerbogen; Französisch-Guinea und Dahome, Französisch-Kongo; im Indischen Ocean die Inseln Nossi-Bé, Comoren, Réunion und Madagaskar (Schutzgebiet).

3) Die portugiesischen Besitzungen mit etwa 2 Mill. qkm und einem Warenumsatz von etwa 40 Mill. M.: an der Guineaküste Portugiesisch-Guinea, Angola; in Ostafrika Mozambique mit Sofala; im Atlantischen Ocean die Prinzeninsel und St. Thomas.

4) Die deutschen Besitzungen mit über 2 Mill. qkm und einem Warenumsatz von nahezu 30 Mill. M.: an der Guineaküste Togoland und Kamerun; am Atlantischen Ocean Deutsch-Südwestafrika; am Indischen Ocean Deutsch-Ostafrika.

5) Der Kongo-Freistaat mit über 2 M. qkm und einer Ausfuhr von 16 Mill. M.

6) Die kleinen spanischen Besitzungen mit ungefähr 2030 qkm: die Inseln Fernando Po, Annobon und die Umgegend der Coriscobai.

7) Die italienischen Besitzungen bei Massaua mit der Schutzherrschaft über Abessinien und an der Somalküste (Erythräa).

8) Die Boers-Republiken Oranje-Staat und die Südafrikanische Republik (Transvaal) in Südafrika, von Holländern gegründete und in wirkliche Staaten umgebildete Kolonien, mit etwa 457000 qkm und einem Warenumsatz von etwa 250 Mill. M.

Übersicht der afrikanischen Staatengebilde.

I. Negerreiche.

Flächen-Warenumsatz
Staateninhalt*imin
in qkmJahreMill. M.
Liberia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 000
Aschanti . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 000(?)
Haussastaaten . . . . . . . . . . . . . 400 000(?)
Unjoro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 000(?)
592 000
* Die meißten angeführten Zahlen können nur ganz annä-
hernde sein, wenn auch den besten Quellen entnommen. Da für
die Angabe der Bevölkerungsstärke jede zuverlässige Grundlage
im allgemeinen fehlt, so wurde die Einwohnerzahl weggelassen.

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 186.