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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Alpen (Geologischer Bau)

des Baumwuchses, also ungefähr bis 1800 m reicht; die Region der Mittelalpen, von der Baumgrenze bis zur Firnlinie reichend, also von 1800 m bis 2800 m; die Region der Hochalpen, das Gebiet des "ewigen Schnees" (Firn) umfassend. Am reichlichsten sind diese Stufen auf der Nordseite der A., besonders in den Ostalpen, entwickelt, da sich dort das Gebirge sehr allmählich zur Ebene abdacht. Der Südabfall ist steiler, so daß man dortselbst im Abstiege häufig die verschiedensten Klima- und Vegetationsgebiete durchschreitet und in wenigen Stunden aus der Eisregion in Kastanienwaldungen herabgelangt. Die Mehrzahl der hervorragendern Alpengipfel erreicht 3000-4300 m Höhe. Die Westalpen sind höher als die Ostalpen, welche nur einen einzigen Gipfel von über 4000 m Höhe, den Piz Bernina (4052 m), aufweisen. Die sechs höchsten Alpengipfel sind: Montblanc (4810 m), Monte Rosa (4638 m) Dom (4554 m), Lyskamm (4538 m), Weißhorn (4512 m), Matterhorn (4505 m); die übrigen Gipfel messen schon unter 4500 m. Die Durchschnittshöhe beträgt 1400 m.

Geologischer Bau. Die A. sind gleich den meisten übrigen großen Gebirgszügen der Erde ein Faltungsgebirge, entstanden durch einen tangentiellen Zusammenschub der festen Erdkruste. Der Betrag der Faltung ist sehr bedeutend; man hat gefunden, daß die A., wenn man ihre Falten ausgleichen könnte, 120 km an Breite gewinnen würden, so daß also das Alpenland durch den Zusammenschub beinahe auf die Hälfte seiner ursprünglichen Breite gebracht wurde. Trotzdem sind in den A. die Falten nicht das eigentlich formgebende Element; das Gebirge tritt uns vielmehr als gewaltige Ruine eines Baues entgegen, dessen ursprünglich tektonischen Grundzüge durch die Einwirkung von Denudation und Erosion stellenweise bis ins Unkenntliche verändert wurden. Mächtige Bergketten verlaufen heute, wo sich nach dem tektonischen Grundriß des Gebirges ein tiefes Faltenthal befinden sollte, und an Stelle eines hochgeschwungenen Faltenzugs begegnet man nicht selten einer tiefeinqeschnittenen Thalung. Die Menge des durch Wasser abgetragenen und weggeführten Materials dürfte die Hälfte der ursprünglichen Gesamtmasse betragen.

Die Felsarten der A. sind teils krystallinisch, teils sedimentär. Das Grundgerüste der A. wird von einem krystallinischen Kern gebildet, der von einem Mantel sedimentärer Gesteine umgeben ist. Der krystallinische Kern bildet aber kein zusammenhängendes Ganzes, sondern teilt sich in einzelne (etwa 36) "Centralmassen", die durch geschichtete Gesteine voneinander getrennt werden. Die am vollkommensten krystallinisch ausgebildeten Gesteine, besonders Gneis und Granit, bilden stets den Kern des Massivs, während die unvollkommen ausgebildeten Gneise, Amphibolgneise, Glimmerschiefer, Talkschiefer, Chloritschiefer, Kalkglimmerschiefer, grüne und graue Schiefer mit krystallinischen Kalklagen, Kalkthonschiefer u. s. w. nach außen zu folgen. Die Struktur der Centralmassen ist entweder eine fächer- oder eine gewölbeartige, je nachdem der Betrag der Faltung ein größerer oder ein geringerer gewesen. In den westlichen A. haben die Centralmassive eine ellipsoidische Gestalt, in den östlichen A. treten mehr rückenartig fortlaufende Längsmassen hervor. In ihrer Gesamtheit bilden die Centralmassen die Mittelzone der A., die nördlich und südlich von je einer Zone sedimentärer Gesteine begleitet wird. Diese Anordnung kommt jedoch erst in den Ostalpen zur vollen Geltung, da in den Westalpen die südl. Sedimentärzone größtenteils niedergebrochen und daher heute nicht mehr vorhanden ist. Die Art und Weise, in der die einzelnen sedimentären Formationen in den A. auftreten, läßt erkennen, daß die letztern aus ursprünglich vereinzelten Gebieten von eigenartiger geolog. Entwicklungsgeschichte bestehen, die erst in verhältnismäßig junger Zeit von gleichsinnigen dynamischen Bewegungen erfaßt und zu einem einheitlichen Kettengebirge umgestaltet worden sind. Die paläozoischen Formationen sind im allgemeinen spärlich entwickelt, was darauf hindeutet, daß die A. zu jener Zeit größtenteils Festland gewesen sind. Silur und Devon sind mit Sicherheit nur in den Ostalpen nachgewiesen, Carbon und Perm dagegen finden sich schon in größerer Verbreitung sowohl in den Ost- wie Westalpen; die letztern Bildungen sind jedoch nicht marinen Ursprungs, sondern kamen in Binnenseen oder in Ästuarien zur Ablagerung. Erst zu Beginn der mesozoischen Periode fand eine umfassende Submersion eines Teils des Alpengebietes statt, indem die Ostalpen, bislang mit den Westalpen und dem böhm. Festlande zusammenhängend, sich durch Senkung von beiden lostrennten. Die Senkung erfolgte allmählich und hielt durch lange Zeit an, was aus der enormen Mächtigkeit der ostalpinen triasischen Bildungen und aus dem häufigen Wechsel der Facies, der die Ablagerung aus einer Tiefsee ausschließt, hervorgeht. In ähnlichem Maße, als die Senkung vorschritt, lagerten sich die Sedimente aufeinander, so daß das Meer immer verhältnismäßig seicht blieb und gewiß niemals jene Tiefe von mehrern tausend Metern erreichte, wie sie der Mächtigkeit jener Sedimente entsprechen würde. Die Westalpen waren zur Triaszeit größtenteils Festland und sanken erst mit Anbruch der Juraperiode allmählich unter den Meeresspiegel hinab, weswegen auch das westalpine Kalkgebirge im Gegensatze zu dem ostalpinen vorzugsweise aus Malm- und Kreidebildungen besteht. Die Ostalpen hinwieder begannen schon vor und während der Kreidezeit neuerdings über den Meeresspiegel sich zu erheben, und zwar begann die Hebung im Osten und schritt von da gegen Westen vor, was aus dem Umstande ersichtlich wird, daß in der angegebenen Richtung immer jüngere Formationsglieder über die ältern die Oberhand gewinnen. Nur die Wiener Randstein- oder Flyschzone scheint zur Kreide- und ältern Tertiärzeit, im Gegensatze zu den sich hebenden Nordostalpen, einen langsam, aber stetig sich senkenden Meeresstrich gebildet zu haben und ist demnach als die eigentlich geologische und nur der Ausbildung nach veränderte Fortsetzung der schweiz. Kalkalpen zu betrachten. Während zur jüngern Tertiärzeit die Gebirgsbildung der Ostalpen schon beendet war, hatten die Westalpen und die Flyschzone erst während des Miocäns begonnen, sich über den Meeresspiegel zu erheben, und die Aufwölbungen und Überschiebungen der schweiz. Molasse bekunden, daß der Faltungsprozeß bis in die allerjüngste Zeit hinein andauerte. Die Grenze zwischen diesen beiden großen, in ihrer Entstehungsgeschichte so sehr verschiedenen Teilen des Alpengebietes wird im N. durch die Rheinlinie, im S. durch den Lago Maggiore bezeichnet. Der Trias-Lias-Zug, der den ganzen Nordrand der Ostalpen von Wien her begleitet, setzt nicht über den Rhein hinüber, sondern wendet