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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Athos

Nach Herodot lagen im Altertum fünf Städte dort, Dion, Olophyxos, Akrathoos, Thyssos und Kleonä, mit einer aus Thrakern und Griechen gewischten Bevölkerung. Die schmalste, 1,8 km breite Stelle der Halbinsel, nahe der macedon. Küste, wollte der Perserkönig Xerxes zur Durchfahrt für seine Flotte um 482 v. Chr. durchstechen, der Kanal wurde aber nicht vollendet. In christl. Zeit, doch kaum vor dem 8. Jahrh., bevölkerte sich der Berg mit Anachoreten (s. d.), die sich um die Laura (s. d.) von Karyes in der Mitte der Halbinsel scharten, wo ihr Protos (s. Archimandrit) seinen Sitz hatte. Das erste Koinobion (s. d.), die «größte Laura» oder die «Laura des heil. Athanasios», gründete 963 der Grieche Athanasios mit Hilfe des Kaisers Nikephoros Phokas. Die durch das mächtig emporblühende Kloster entstandenen Rechtsverschiebungen in der heiligen Gemeinde des A. ordnete die für die alten Zeiten gültige Verfassung von 969, die der Kaiser Johannes Tzimiskes gab. Nach dieser lag die Regierung in den Händen des Protos und der Hegumenen (s. Hegumenos). Bald gründeten neben vielen reichen griech. Stiftungen auch andere Nationen dort Klöster, die Iberer (Georgier) das noch jetzt bestehende Kloster Iberon oder Iwiron, Italiener von Amalfi das der Amalfitaner, Slawen (Bulgaren, Serben) Zographu und Chiliantari. Das jüngste griech. Kloster, Stawronikita, stammt aus dem Jahre 1543. Von kaiserl. Gunst beschützt und beschenkt, blühte das Gemeinwesen, dessen Verfassung 1046 revidiert und freier gestaltet wurde, mächtig auf. Unter Alexios Komnenos wurden die Klöster reichsfrei. Vom Hellenismus beherrscht, hielten sie sich auch in der fränk. Zeit nach 1204 zu den Kaisern von Nicäa. Seit dem 13.Jahrh. gewann der Hesychasmus (s. Hesychasten) Ausdehnung, etwa gleichzeitig aber lockerte sich die Disciplin dadurch, daß viele Klöster zum idiorrhytmischen (s. d.) Leben abfielen.

Die Türken, denen sich die Mönche nach dem Falle von Thessalonich 1430 freiwillig unterwarfen, ließen der Berggemeinde gegen eine jährliche Abgabe völlige Freiheit der Verwaltung und des Kultus, nur setzten sie einen Beamten nach Karyes, der jetzt die Würde eines Kaimakam hat. An die Stelle der byzant. Kaiser traten als christl. Schützer die Fürsten der slaw. Balkanstaaten. Nachdem bereits im 17. Jahrh. durch die Herrschsucht der Klöster der Protos gefallen, wurde 1783 auf Grund eines neuen Typikon (s. d.) die Verfassung der Gemeinde durch den Patriarchen Gabriel von Konstantinopel geregelt. Diese gilt mit geringen Abänderungen noch jetzt. Nach ihr liegt die Regierung bei der ständigen Versammlung der Vertreter der 20 Klöster, die je einen solchen entsenden. Die Versammlung, Synaris genannt, hat noch einen Ausschuß aus vier Epistaten oder Vorstehern, deren einer, der Protepistates, den Vorsitz in beiden Körpern führt. Der Sitz der Regierung ist, wie in alter Zeit, der Flecken Karyes. Die Oberbehörde der heiligen Berggemeinde ist der Patriarch von Konstantinopel. Eine Bildung der neuern Zeit, vielleicht im Zusammenhang mit der Lockerung der Zucht durch die idiorrhythmischen Klöster, sind die Sketen (s. d.), die sich in Abhängigkeit von den Klöstern ausbildeten. Deren giebt es jetzt 12, selbständige Klöster 20, darunter die Laura, Iwiron, Watopedi, Russikon die mächtigsten, Kellien gegen 300, Mönche im ganzen an 5000. Die Mönche leben seit alters im allgemeinen nach den Regeln des Basilius (s. d.), im besondern nach dem Typikon ihres Klosters, in strenger Ascese. Beschwerliche Gottesdienste bei Tag und Nacht, sowie strenge Fasten sind vorgeschrieben. Auch außer der Fastenzeit essen die Bewohner der Koinobien und Sketen gar kein Fleisch, meist nur Gemüse und Brot, höchstens getrockneten Fisch, die der idiorrhythmischen Klöster und Kellien auch Eier und Fleisch. Keine Frau darf nach alter Tradition die Halbinsel betreten, auch duldet man keine weiblichen Haustiere. Die weltlichen Beschäftigungen der Mönche erstrecken sich auf einigen Gartenbau, Fischfang, Kohlenbrennen, Schnitzen von Kreuzen, Löffeln u. dgl. aus Holz und Elfenbein, Malen von Heiligenbildern, Fabrizieren von Räucherwerk. Die Bildung ist bei der Mehrzahl stets gering gewesen, da auch Wissenschaft und Kunst von den Strenggesinnten stets zur «Welt» gerechnet wurden, der ja die Mönche entfliehen wollen. Doch hat der A. zu allen Zeiten Gelehrte und Künstler, namentlich Maler aufweisen können. Um die Mitte des 18. Jahrh, war der A. sogar kurze Zeit der Mittelpunkt der griech. Bildung, denn 1749 gründeten die Mönche von Watopedi nahe beim Kloster eine Akademie, die unter Eugenios Bulgaris (s. d.) großen Aufschwung nahm. Man lehrte dort abendländ. Philosophie, klassische Bildung und griech. Theologie. Den Nachfolgern des Eugenios aber fehlte der Geist, auch stand die Regierung in Konstantinopel der Schule feindlich gegenüber, daher ging sie im Anfange des 19. Jahrh. ein. In neuerer Zeit findet man wieder gebildete Mönche, da namentlich aus den idiorrhythmischen Klöstern manche in Athen und Chalki studieren.

Jedes Kloster bildet ein längliches Viereck von Gebäuden. (Abbildung s. Tafel: Byzantinische Kunst, Fig. 8.) Im Innenhof steht die bis auf Vorhalle und Altarraum quadratische, kuppelüberwölbte Kirche, innen mit Fresken aus dem 14. bis 19. Jahrh. und vielen undatierten Tafelbildern. Besser als anderswo kann man hier die byzant. Kunst auch des jüngsten halben Jahrtausends kennen lernen, da sie auch unter türk. Oberherrschaft fortwährend gepflegt wurde. Zu großem Rufe ist in unserm Jahrhundert gelangt das «Handbuch der Malerei vom Berge A.» (französisch von Didron 1845; deutsch 1855; griechisch, 2. Ausg. 1885), verfaßt vom Maler und Priestermönch Dionysios wahrscheinlich im 16. oder Anfang des 17. Jahrh., das man irrtümlich als Kunstkanon der griech. Kirche angesehen hat. Nahe der Kirche befindet sich das Speisehaus. Außerhalb des Klosters häufig die Mühle, die Schmiede u. dgl., immer aber der Kirchhof. Jedes Kloster hat einen Hafen. Die Schätze der Klöster sind, außer den Kirchengeräten, die handschriftlichen Bibliotheken, die für Byzantinertum noch immer großen Wert haben. Die Zahl der griech. Pergament- und Papierhandschriften beträgt etwa 10000. Namentlich kostbar sind die Urkunden der Kaiser, Fürsten und Sultane, von denen die Klöster viele besitzen.

In der neuesten Zeit suchen die Russen, nachdem sie das von griech. Mönchen fast verlassene Kloster des heil. Panteleimon (Russikon) bevölkerten, auch im Gebiete anderer Klöster Platz zu fassen. Doch scheint die Energie des erwachten Hellenismus bereits die Hochflut der Slaweninvasion überwunden zu baben. Herrschaft über den A. würde den Russen gewaltige Macht in der anatolischen Kirche verleihen, daher steht auch die türk. Regierung den eindringenden Russen feindlich gegenüber.

Vgl. Fallmerayer, Fragmente aus dem Orient (2 Bde., Stuttg. 1845);