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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Brasilien (Pflanzenreich. Tierreich)

Masern sowie Blattern mehrfach große Verheerungen angerichtet.

Pflanzenreich. Fast mit Übermacht herrscht in vielen Gegenden die Pflanzenwelt vor; während ein Drittel blüht, grünt das zweite, und ein drittes schüttet seine reifen Früchte aus. Die Üppigkeit und unverwüstliche Lebenskraft der Vegetation tritt dem Ansiedler nicht selten schwer besiegbar und hindernd entgegen, allein ihre Fülle bietet zugleich für alle Zwecke des Lebens die reichlichsten Hilfsmittel und unerschöpfliche, zum größten Teile noch ungenutzte Quellen bürgerlichen Wohlstandes. Nach seiner Vegetation zerfällt B. in drei Hauptteile, das Gebiet des Urwaldes im Amazonasgebiet und an der Ostküste, die an Campos (Grasfluren) reiche Innenregion und das jenseit des südl. Wendekreises liegende gemäßigt-tropische Land.

1) Der Urwald des Amazonasthals erstreckt sich in großartiger Gleichförmigkeit durch das ganze Thal bis zum Fuße der Anden, und folgt ebenso zu beiden Seiten den Thälern der Nebenflüsse weit hinauf, die "Hyläa" in ungefesselter Tropenpracht, üppig und übermächtig, und nur vom Strome aus Kultureingriffen zugänglich. Die Vegetation ist hier namentlich durch die Lage zum Flusse selbst bedingt; die tiefste Stufe, welche bei mäßig hohem Wasserstande schon überschwemmt wird, bildet der Igapo, auf ihm gedeiht neben Palmen- und Bambusarten der Kautschukbaum (Siphonia elastica Pers., Seringueira von den Brasilianern genannt). Die nächste Stufe bildet ein nur bei Hochwasser überschwemmtes Gebiet. Erst auf der dritten Stufe, der Terra firma, tritt der eigentliche hochstämmige Urwald auf, dessen Hauptzierden die Castanheira, welche die "Paranüsse" für Europa liefert (Bertholletia excelsa Humb.) und zahlreiche Palmen sind, von denen die kleinern Astrocaryum- und Bactrisarten mit zahlreichen Farnen und Schlinggewächsen ein dichtes und durch mächtige Stacheln unzugängliches Unterholz bilden, welches durch mannshohe Gräser, Heliconien und auf den Stämmen der Riesenbäume wachsende Bromelien und Orchideen zu einem unentwirrbaren Chaos verflochten wird. Der Rand dieses Urwaldes zeichnet sich besonders durch die Manicariapalme mit ihren ungeteilten, starkrippigen Blättern aus; in ihm liegt Para. Obstliefernde Palmen sind hier Euterpe edulis und Guilielma speciosa Mart. Der Urwald der Ostküste beginnt erst etwa bei der Mündung des Sao Francisco und reicht bis etwa zum südl. Wendekreise, abgeschwächt noch weiter, wo er bei Rio den reizvollen Eindruck einer tropischen Milde auf die ankommenden europ. Wanderer hervorruft. Er ist vom Inlande durch die Serra do Mar abgetrennt, und die größte Zahl der äquatorialen Arten von Amazonas fehlt ihm oder wird durch verwandte ersetzt. Seine Schönheit wird noch gehoben durch die Mannigfaltigkeit der Bodengestaltung; seine riesigsten Stämme sind die Wollbäume (Eriodendron anfractuosum DC.), die Sapucaia (Lecythis ollaria L.) und der Spreubaum (Joannesia brasiliensis); Euterpe und Geonoma bilden hier die hervorragenden Palmen. In den Gegenden, wo der Urwald zu Kulturzwecken ausgerodet worden ist, erhebt sich, sobald man den Boden wieder sich selbst überläßt, in kurzer Zeit ein dichtes Gewirr von Sträuchern sowie hohen Gräsern, untermischt mit prachtvoll blühenden Melastomaceen, welches mit dem Namen Capoeira bezeichnet wird und erst allmählich dem Hochwalde wieder Platz macht.

2) Im höhern Innern herrschen die Campos (Grasfluren) vor, nur noch in den Flußniederungen durch Streifen des feuchtgrünen Urwaldes unterbrochen. Die Campos auf ihrem wellig-hochansteigenden Plateau sind nicht baumlos, wenn auch Gräser, oder näher am Äquator gemischte blumenreiche Fluren die Hauptmasse des Landes decken, sondern höhere Sträucher und einzelne Baumgruppen, ja ganze Wälder durchaus abweichenden Charakters von den vorhin genannten mischen sich ein. Diese Waldinseln führen den Namen Catingas oder Capões, je nachdem sie aus wirklichen Bäumen oder nur Buschwerk bestehen. Hier in den Campos ist es, wo mit Eintritt der trocknen Jahreszeit die ganze Pflanzenwelt verwelkt und verdorrt, namentlich in den Sertãos des Nordostens.

3) In den südlichsten Staaten tritt an Stelle der Catingas die Pinheiro (Araucaria brasiliensis Rich.), untermischt mit Ilex paraguaiensis St. Hil. (Gongonha-Yerba Maté). Die südlichsten Palmen, Cocos australis u. a., kommen hier allein noch vor, bilden aber noch ganze Haine, liefern auch ähnlich den Datteln eßbare Früchte.

Unerschöpflich ist der Reichtum B.s an nutzbaren Pflanzen, vor allem an Farbehölzern, nach deren einem (Brasilholz, Caesalpina) das Reich benannt ist, Nutzhölzern, Rohstoffen (Kautschuk von Para), Gespinstfasern und Kulturprodukten, die naturgemäß nach den drei genannten Hauptregionen verschieden sind. An erster Stelle verdient der Kaffee genannt zu werden, von den einheimischen tropischen Nahrungspflanzen die Tapioca (Maniok- oder Kassawestrauch, Jatropha Manihot L.).

Tierreich. Die Fauna ist außerordentlich reich und sehr verschieden in den einzelnen Teilen. Man kann hauptsächlich zwei verschiedene Gebiete annehmen: das der tropischen Wälder um den Amazonenstrom und sein Flußgebiet und das des Innern der südl. Hochflächen. Die erstere Gegend ist der an Land- und Süßwassertieren reichste Teil der Erde, was wohl durch nichts so gut bewiesen wird wie durch die Thatsache, daß ein einziger Mann, der Naturforscher Bates, hier innerhalb 11 Jahren folgende Artenzahlen von Tieren zusammenbrachte: 52 Säugetiere, 360 Vögel, 140 Reptilien und 14 000 Insekten, abgesehen von Fischen und Mollusken. Der Amazonenstrom selbst beherbergt doppelt soviel Fischarten als das Mittelmeer, nämlich 2000. Die meisten Landtiere sind ausgesprochen Baumtiere: Affen (mehr als 60 Arten) vom breitnasigen oder neuweltlichen Typus (s. Affen), Ameisenfresser, Faultiere, Wickelbär, Baumstachelschwein, Opossums u. s. w. Häufig sind auch Bewohner sumpfiger Striche: Tapire, Pekaris, Schrotmäuse (Echinomyidae), das Capybara, Agutis, Pakas u. s. w. Im Amazonenstrome selbst hausen Manatis und Delphine. Daneben fehlt es nicht an Säugetieren des Waldbodens: von den zahllosen Termiten und Ameisen, welche zum Teil als Pflanzenfresser den Pflanzungen sehr schädlich werden, ernährt sich der große Ameisenfresser und die Gürteltiere; verschiedene Katzenarten, wie Puma, Jaguar u. a. schweifen überall umher, mehrere Hundearten sind vorhanden, unter andern der Waldhund (Icticyon venaticus Lund). Besonders reich ist B. an Insekten, und wohl kein Land der Erde beherbergt mehr und schönere Schmetterlinge. Die Viehzucht