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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bruch (medizinisch)

deckungen umschlossen bleibt; zweitens aber heißt B. auch die Verletzung des Zusammenhangs der Knochen (s. Knochenbrüche). Der Eingeweidebruch (Hernia) stellt eine weiche, mehr oder weniger elastische, gewöhnlich schmerzlose Geschwulst dar, welche von der unveränderten Haut bedeckt ist. Er besteht (von außen nach innen untersucht) erstens aus den äußern Bedeckungen, sodann gewöhnlich (aber doch nicht immer) aus der vorgetriebenen und sackförmig ausgedehnten serösen Membran, welche die Höhle des Organs auskleidet, z. B. des Bauchfells bei Unterleibsbrüchen (Bruchsack), und endlich aus dem vorgelagerten Organe selbst, welches durch eine Öffnung seiner Höhlenwandung (Bruchpforte oder Bruchring) hervortrat. Solange der Zurücktritt des Vorgelagerten aus dem B. durch Druck u. s. w. in die normale Höhle möglich ist, nennt man den B. beweglich oder reponibel (Hernia mobilis); kann der B. wegen Verwachsung des Bruchinhalts mit dem Bruchsack oder wegen anderer Ursachen nicht zurückgebracht werden, so heißt er ein unbeweglicher oder irreponibler B. (Hernia immobilis, irreponibilis). Wird die Bruchpforte zu eng für das durchtretende Organ und schnürt dasselbe ein, sodaß es zur Abschnürung des Darminhalts oder zur Behinderung der Blutcirkulation kommt, so entsteht der eingeklemmte B. (Hernia incarcerata, strangulata). An jeder der drei großen Höhlen kommen B. vor, und man unterscheidet danach Kopf-, Brust- und Unterleibsbrüche. Bei den Kopfbrüchen treten das Gehirn, bei den Brustbrüchen die Lungen, bei den Unterleibsbrüchen die Eingeweide des Unterleibes vor. Letztere sind die häufigsten, und unter ihnen die Leistenbrüche (Hernia inguinales), Schenkelbrüche (Herniae femorales s. crurales) und Nabelbrüche (Herniae umbilicales) die bekanntesten. Bei den Leistenbrüchen tritt das Eingeweide durch den Leistenkanal (s. Leistengegend), bei den Schenkelbrüchen durch den sog. Schenkelkanal hervor, durch welchen die großen Schenkelgefäße aus der Bauchhöhle heraus zum Schenkel sich begeben; bei den Nabelbrüchen erfolgt das Hervortreten der Eingeweide durch den sog. Nabelring (s. Nabel). Seltenere Hernien sind der B. des eirunden Loches (Hernia foraminis ovalis s. obturatoria), das Austreten des Eingeweides durch die das eirunde Loch (s. Becken) verschließende Membran, der Hüftausschnittbruch (Hernia ischiadica), das Hervortreten des Eingeweides durch die Incisura ischiadica major des Hüftbeins, der B. der weißen Linie (Hernia liniae albae), wobei das Eingeweide durch die sog. linea alba (s. Linea) hindurchtritt, der Dammbruch (Hernia perinealis, s. Damm), der Mastdarmbruch (s. d.), der Bauchbruch (s. d.) u. a. Bisweilen ist nur ein Eingeweide ganz oder teilweise im B. enthalten, bisweilen sind es aber auch mehrere; am häufigsten findet man jedoch das Netz und den Darm entweder allein oder beide zusammen darin. Der Darmbruch (Hernia intestinalis, Enterocele) enthält am häufigsten einen Teil des Dünndarms; mit ihm sind mehr oder weniger bedeutende Störungen in der Darmausleerung (in dem Abgange von Stuhl oder Blähungen) vorhanden. Diese Ausleerung hört ganz auf, sobald das Darmstück eingeklemmt ist, und es gesellt sich dann gewöhnlich Bauchauftreibung, Erbrechen (zuletzt sogar Kotbrechen), große Angst u. s. w. hinzu. Da in diesem Falle das Darmstück sich entzündet und brandig wird, so kann der Tod, wenn nicht schnell zweckmäßige Hilfe kommt, in wenigen Stunden erfolgen, oder es entsteht im günstigern Falle ein Durchbruch der brandigen Partie und eine Kotfistel. Der Netzbruch (Hernia omentalis, Epiplocele) hat einen Teil des Netzes zum Inhalt, ist weniger empfindlich als der Darmbruch und weniger von Störungen der Darmexkretion begleitet. Bei Darmnetzbruch (Enteroepiplocele) finden sich Darm und Netz zugleich im B. und die Zeichen beider vereinigt.

Die Eingeweidebrüche sind entweder angeboren (Hernia congenita) oder erworben (Hernia acquisita). Die Erwerbung der B. begünstigt alles, was die Organe nach den Bruchpforten hindrängt und was den Widerstand der Höhlenwände vermindert. Daher geben besonders Erschlaffung der Bauchmuskeln, schlechtverheilte Wunden, häufige Schwangerschaften, Wassersucht, häufig wiederholtes Herabdrängen des Zwerchfells bei erschwertem Stuhlgang, bei behinderter Urinentleerung, Aufheben von Lasten, ferner Reiten, Springen, Schreien, Husten, Blasen u. s. w. zu den Unterleibsbrüchen Veranlassung. Im allgemeinen sind die B. immer schlimme Krankheitszustände, welche stets mehr oder weniger die Funktionen des verlagerten Teils sowie die freie Thätigkeit des Individuums hindern und durch die Möglichkeit der Einklemmung das Leben des Kranken gefährden. Auch für den Laien ist ein B. in der Regel leicht als solcher zu erkennen, wenn an einer der oben genannten natürlichen Bruchpforten (Leistenkanal, Schenkelkanal, Nabel) eine meist schmerzlose, weiche, mehr oder weniger elastische Hervorragung oder Geschwulst entsteht, welche bei einem gleichmäßigen leichten Druck, oder wenn sich der Kranke auf den Rücken legt, von selbst vergeht, beim Aufrechtstehen, Husten oder Pressen aber wieder zum Vorschein kommt. Gewöhnlich leiden Bruchkranke, wenn sie kein Bruchband tragen, auch an gewissen Beschwerden, wie schmerzhaftes Ziehen in der Bruchgeschwulst und im Bauche, Blähungsbeschwerden, Kollern und Poltern im Leibe, trägem Stuhl oder Verstopfung u. dgl. Die Svmptome der Brucheinklemmung sind: heftiger Schmerz im B., welcher sich prall anfühlt und nicht mehr zurückbringen läßt, Kolik, Schmerzen im Unterleib, Aufstoßen, Verstopfung, Brechneigung und Erbrechen, selbst Kotbrechen. Wenn bei einem Bruchkranken sich die eben genannten Erscheinungen einstellen, so ist größte Gefahr im Verzuge und so rasch wie möglich ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil die eingeklemmte Darmschlinge, sich selbst überlassen, gewöhnlich bald brandig wird und durch Hinzutreten einer akuten Bauchfellentzündung (s. d.) zum Tode oder, im allergünstigsten Falle, zur Bildung einer häßlichen Kotfistel (s. Leistengegend) führt.

Die Behandlung hat zunächst darauf zu sehen, ob der B. beweglich ist oder unbeweglich. Bewegliche B. können bei jugendlichen Individuen, welche das 20. Lebensjahr noch nicht überschritten haben, dadurch radikal geheilt werden, daß man das verlagerte Organ in seine normale Lage zurückbringt (was durch die Reposition oder Taxis geschieht), und dann durch eine geeignete Bandage, ein Bruchband, sehr lange Zeit hindurch am Hervortreten hindert. Das Bruchband (Bracherium) ist ein eigentümlich geformtes Verbandstück, bestehend aus einem Kopf (Pelotte), welcher die Bruchöffnung bedeckt und durch Druck schließt, und dem diesen Druck ausüben- ^[folgende Seite]