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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Einheit
Waffentechnik gänzlich veränderten Verhältnisse des
FeuergefechtsundderhiermitinVerbindung stehende
Übergang von der Kolonnentaktik znr Compagnie-
kolonnen-Taktik und znr neuern Schützentaktik
haben die Sachlage derartig geändert, daß in dem
Sinne der obigen Begriffserklärung nicht mehr
das Bataillon, sondern vielmehr die Compagnie
als taktische E. der Infanterie zu betrachten ist
(f. Compagniekolonne). Trotzdemwird das Bataillon
auch fernerhin in dem Sinne als taktische E. gelten
können, daß nach der Zahl der Bataillone gerech-
net wird, was um fo mehr für sich hat, als die Zah-
lenstärke des Bataillons in allen großen Armeen
heutzutage fo ziemlich dieselbe ist. Das Bataillon
ist also gewissermaßen die Organisationsein-
heit geblieben, während die Compagnie die Ge-
fechtseinheit geworden ist. (S. Feuergefecht.)
Die taktische E. für die Kavallerie ist nach wie vor
die Eskadron, für die Artillerie die Batterie.
Unter strategischer E. versteht man einen aus
verschiedenen Waffengattungen gemischten Heeres-
körper, der durch diese seine Zusammensetzung und
durch seine Ausstattung mit den für die Erhaltung
der Schlagfertigkeit der Truppen erforderlichen
Hilfszweigen in der Lage ist, selbständig größere
taktische und kleine strategische Aufgaben zu lösen.
Wenn man die taktischen E. als die Elemente be-
trachten kann, mit denen der Truppenführer im
Gefecht rechnet, fo sind die strategischen E. die-
jenigen Elemente, mit denen der Heerführer bei den
Operationen rechnet. Hieraus geht schon hervor,
daß die Größe der strategischen E. rein theoretisch
zunächst von der Größe der Armee abhängt, die zum
einheitlichen Auftreten auf einem und demfelben
Kriegsschauplatz bestimmt ist. Diese Armee muß sich
ohne Zerreißung der strategischen E. mehrfach glie-
dern lassen. Soll der Heerführer zur Herbeiführung
verschiedener Kombinationen einigermaßen freie
Hand haben, so wird er mindestens über 4 E. ver-
fügen müssen, besser noch über 6 oder 8. Viel größer
darf die Zahl nicht werden, da die Leitung fo vieler
E. von einer Stelle aus die Übersichtlichkeit und die
Befehlserteilung erschwert. Legt man die ziemlich
allgemein gültigen Stärkeabmessungen eines Ar-
meekorps, einer Division, einer Brigade zu Grunde,
so würde, rein theoretisch betrachtet, eine Armee
von 100000 Mann etwa in 4 Armeekorps, besser
aber in 8 selbständige Divisionen zu gliedern sein.
Eine selbständig auftretende Armee von nur 40000
Mann würde vielleicht in 4 schwache Divisionen,
besser in 6 oder 8 Brigaden zu gliedern sein, eine
Armee von 200000 Mann dagegen in 6 oder 8
Armeekorps. Dies sind zunächst rein theoretische
Erwägungen. Bei den heutigen Verhältnissen der
Heeresorganisation ist es nun unbedingt notwen-
dig, daß die strategische Gliederung der Operations-
armee sich mit der administrativen Gliederung der
Friedensarmee nach Möglichkeit deckt; die admini-
strative Friedensgliederuug der Armee muß alfo
auch in dieser Beziehung den wahrscheinlichen An-
forderungen des Krieges sich möglichst anpassen.
Für die Armeen der großen Militärstaaten gilt da-
her überall das Armeekorps mit einer Gefechts-
stärke von 30 bis 40000 Mann als strategische E.;
für kleine Staaten, wie z. B. Belgien, Holland, die
Schweiz, ist die Division in Stärke von 10 bis
15000 Mann die strategische E.
In der Kriegsformation des deutschen Heers ist
zwar die Infanteriedivision aus allen drei Waf-
fen (2 Infanteriebrigaden, 1 Kavallerieregiment
und einer Anzahl Batterien) zusammengefetzt, aber
nicht die Division, sondern erst das aus 2 Divi-
sionen bestehende Armeekorps ist mit den Anstalten
für Munitionsersatz, für Verpflegung und für Sa-
nitätsdienst ausgestattet, die für einen zu selbstän-
digen Operationen bestimmten Heerkörper unbe-
dingt notwendig sind. Tritt im Laufe der Opera-
tionen der Fall ein, daß ein kleinerer Heereskörper
als ein ganzes Armeekorps zeitweilig zu selbstän-
digem Auftreten bestimmt werden muß, so kann
ohne Mühe eine bereits aus allen drei Waffen be-
stehende Division durch Zuteilung der entsprechen-
den Hilfsanstalten selbständig gemacht werden.
Andererseits wird bei den großen Heeresmassen,
die in den Kriegen der Neuzeit zur Aufstellung kom-
men, häusig die Gesamtzahl der zu den Operationen
bestimmten Armeekorps zunächst in verschiedene
Gruppen (Armeen) zusammengefaßt und erst diese
unmittelbar der obern Heeresleitung unterstellt.
Außer den Armeekorps, in welche die Hauptmasse
des deutschen Heers in der Kriegsformation ge-
gliedert ist, waren im Kriege 1870/71 eine Anzahl
Kavalleriedivisionen und einige aus Reserve- und
Landwehrtruppen gebildete Reservedivisionen als
selbständige strategische E. formiert.
In der Philosophie ist E. ein Kunstausdruck
von mannigfachem Gebrauch. Schon Aristoteles
fand es nötig, die verschiedenen Bedeutungen des
"Einen" sorgfältig auseinanderzulegen; er unter-
scheidet hauptsächlich nnmerische E. (Einzelheit;
Gegensatz: Mehrheit), E. durch Zusammenhang
(Kontinuität; Gegensatz: Diskretheit) und begriff-
liche E. (Einerleiheit, f. Identität; Gegensatz: Ver-
schiedenheit). Sachlich und historisch ist die letzte
Bedeutung die wichtigste, sie ist namentlich von
Kant als "E. des Mannigfaltigen", "Synthetische
E." ("E. der Synthesis") in den Mittelpunkt der
Erkenntnistheorie gestellt worden. Es ist eigentlich
die E. des Bewußtseins (s. d.), durch die wir ein
Mannigfaltiges der Sinnesanschauung zusammen-
begreifen und so selbst als Eins auffassen; sie ist
der Ursprung des Begriffs und Nrteils, des Gesetzes
und damit des Gegenstandes. Die E. im Sinne der
Einzelheit fällt unter den Gesichtspunkt der Quan-
tität und steht gegenüber der Mehrheit und Allheit;
ihr wissenschaftlicher Ausdruck ist die Zahl Eins
(daher numerische E.). Übrigens ist sie, wie die E.
der Kontinuität, nur ein Ausfluh oder eine besondere
Gestaltung der Vewußtseinseinheit; als solche steht
sie bei Kant unter den Kategorien. Aus der Bedeu-
tung der E. als Kontinuität erklärt sich wohl der
Begriff der systematischen E. (S. System.) Die
ästhetische E. ist die Übereinstimmung der Teile
eines Werkes, d. h. ihre wechselseitige harmonische
Beziehung zueinander und zu einem durch dieses
gegenseitige Verhältnis sich gestaltenden Ganzen.
Sie darf daher keinem Kunstwerke fehlen. Dagegen
hat die Lehre der Alten von den drei dramatischen
E. zu vielerlei Mißverständnissen Anlaß gegeben, in-
dem besonders die franz. Ästhetiker vom Drama außer
der E. der Handlung, die sich von selbst versteht,
auch die E. der Zeit und des Ortes forderten, ohne
zu bedenken, daß, insoweit die Alten dieselbe in ihren
Dramen beobachteten, dies von der Einrichtung ihrer
Bühne abhing. (S. Drama.) Eine Zerstückelung der
Handlung wie in Shakespeares Historien und ihren
Nachahmungen, z.B. in Goethes "Götz vonBerlichin-
gen", wird immer dem Anteil des Publikums und