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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Englische Verfassung

von den Bestimmungen des Freibriefs ab, der ihnen Korporationsrechte verlieh. Auch sie haben teilweise ihre Justices of the Peace, wenn der König solche ernennt, die indessen nicht als Strafgerichtshof zusammentreten; wenn der Freibrief zugleich einer Stadt das Privileg eines Court of Quarter Sessions erteilt, so hat ein von der Stadt ernannter Stadtrichter (Recorder) diesem Gerichtshof vorzustehen. Unterste Einheit des Organismus ist das Kirchspiel (Parish, s. d.). An die angelsächs. Township lehnte sich das Kirchspiel als kirchliche Einheit an, und diese kirchliche Einheit wurde wiederum von dem Gesetz der Königin Elisabeth über Armenwesen (s. Poor Law) für weltliche Zwecke benutzt, bis sich allmählich das bürgerliche Kirchspiel von dem kirchlichen sonderte. Das bürgerliche Kirchspiel hat auch Pflichten und Befugnisse in Bezug auf die Unterhaltung öffentlicher Wege (s. Wegeordnungen).

Neben den Behörden der Grafschaft und des Kirchspiels entstehen allmählich ferner eine Anzahl von Behörden, deren Bezirke in unregelmäßiger Weise abgegrenzt sind, sodaß ein Ort für einen Zweck zu dem, für andere Zwecke zu jenem Bezirke gehört. Dahin gehören die Behörden für Armenwesen (s. Poor Law), für Gesundheitswesen (s. Health Acts), für öffentliche Wege (s. Wegeordnungen), für Schulwesen (s. School Boards). Die Einführung der besoldeten Polizeikontingente (s. Constable) hat ferner eine Hierarchie von Beamten auf diesem Gebiete geschaffen. So ist die lokale Verwaltung in England entstanden, wie alle engl. Einrichtungen, stückweise nach Bedürfnis unter Benutzung alter Institutionen, wenn es zweckmäßig schien, auch wenn ihre ursprüngliche Bestimmung eine andere war, unter Schaffung neuer, wenn dies im Augenblick vorgezogen wurde, ohne Rücksicht auf die Symmetrie des Ganzen. Wenn trotz dieser Systemlosigkeit und der sich aus ihr ergebenden vielfachen Kraftvergeudung dennoch im ganzen das Resultat ein günstiges war, so ist das in nicht geringem Maße das Verdienst des lebhaften Sinnes für das öffentliche Wohl und auch für das Wohl der lokalen Einheit, der den Engländer kennzeichnet.

Bisher waren es die Grundbesitzer, die sich hauptsächlich in dieser Richtung bethätigt haben; die lokale Verwaltung hatte einen vorwiegend aristokratischen Charakter. Seit wenigen Jahren ist indessen ein vollkommener Systemwechsel eingetreten, dessen Tragweite selbst in England noch nicht genügend verstanden wird. Nachdem die städtischen Körperschaften durch die Gesetzgebung von 1835 bis 1882 auf demokratischer Grundlage umgestaltet waren, hat 1888 die Local Government Act die sämtlichen Verwaltungsbefugnisse der Justices of the Peace auf die neugeschaffenen von den Steuerzahlern gewählten County Councils (s. d.) übertragen; nur die Polizeiverwaltung ist nicht ganz den Friedensrichtern entzogen; abgesehen von dieser bleiben ihnen nur die Befugnisse auf dem Gebiete der Rechtspflege und einige halb richterliche, halb verwaltende Befugnisse. Man erwartet, daß in nächster Zeit District Councils eingeführt werden, die ein Mittelglied zwischen County Council und Kirchspiel bilden sollen und voraussichtlich die Befugnisse der obengenannten verschiedenartigen Behörden an sich ziehen werden. Von vielen Seiten wird auch die Schaffung von Parish Councils verlangt, um das neue System zu vervollständigen. Daß diese Körperschaften in der Entwicklung des engl. Lebens, namentlich auf socialpolit. Gebiete, eine bedeutende Rolle spielen werden, scheint nicht fraglich; jedenfalls werden sie die Teilnahme am öffentlichen Leben in Klassen der Bevölkerung anregen, die ihm bisher fern blieb.

Die obige Darstellung hat die Entstehung und Entwicklung der Faktoren geschildert, die jetzt in die E. V. und Verwaltung eingreifen. Unerwähnt ist dabei die Entstehung und Entwicklung der staatsrechtlichen Grundsätze geblieben, die das Verhältnis des Einzelnen zur Staatsgewalt regeln und ihm die freie Bethätigung seines Wesens und seiner Anschauungen sichern. Diese Grundsätze ergeben sich teilweise von selbst aus der Natur des Staatsorganismus, namentlich aus der mächtigen Stellung der königl. Gerichtshöfe. Das beständig hervortretende Streben der Könige, die Macht der Vasallen in Grenzen zu halten, kam, wie oben gesagt, auch durch das Institut der königl. reisenden Richter zur Geltung, die ungestört von den Einflüssen lokaler Magnaten Recht nach allgemeinen Grundsätzen sprechen und so den Gedanken, daß Leben, Freiheit und Gut der Landesbewohner nicht von der Willkür Einzelner abhängen, sondern unter dem Schutz der Rechtsordnung stehen, in allen Teilen des Landes befestigten. Wurde auf diese Weise das Aufkommen despotischer Territorialherren verhindert, so wurde andererseits die unbegrenzte Ausdehnung der königl. Macht durch das gemeinschaftliche Wirken der Vasallen unmöglich gemacht, und auch hier wieder haben die königl. Gerichte als Träger der Rechtsordnung häufig Einhalt geboten. Wenn auch die willkürliche Regierung der Tudors und der zu ihrer Zeit einreißende Mißbrauch der richterlichen Gewalt eine Änderung herbeizuführen schien, so zeigten doch bald die Ereignisse zur Zeit der Stuarts, daß die Rechtsordnung feste Wurzeln im Lande hatte. Der Grundsatz, daß niemand außer auf Grund eines gerichtlichen Verfahrens seiner Freiheit beraubt werden darf, wird bereits in der Magna Charta (s. d.) nur bestätigt, nicht als neues Recht aufgestellt und durch den sog. Writ of Habeas Corpus war es auch schon vor Erlaß der Habeas-Corpus-Akte (s. d.) möglich, jemanden, der dem zuwider handelte, zur Rechenschaft zu ziehen. Auch das Versammlungs- und Vereinsrecht wurde zu keiner Zeit von Verwaltungsmaßregeln abhängig gemacht, sondern nur insofern eingeschränkt, als dies die Rechtsordnung unter Berücksichtigung der öffentlichen Ordnung gebot. Auch hier haben stets die gewöhnlichen Gerichte darüber zu entscheiden, ob ein Eingreifen berechtigt war (s. Meeting). Die Preßfreiheit ist eine Errungenschaft der neuern Zeit; denn hier handelte es sich um die Benutzung einer neuen Erfindung, die zur Zeit der Tudors bekannt wurde, einer Zeit, in der die Macht der Rechtsordnung weniger zur Geltung kam als in irgend einer andern Periode der engl. Geschichte. Ursprünglich waren alle Pressen in den Händen der Krone, später hatte eine privilegierte Vereinigung, die Stationers’ Company, das ausschließliche Recht zu drucken. Die ganze Presse unterstand dem berüchtigten Star Chamber-Gerichtshof, der unter anderm bestimmte, daß sämtliche Manuskripte vom Erzbischof von Canterbury gelesen und gebilligt werden müßten, ehe sie zum Drucke gelangen könnten; nur die jurist. Bücher sollten der Censur eines der Oberrichter unterworfen sein. Diese Bestimmungen blieben auch noch unter den Stuarts in Geltung, selbst das revolutionäre Lange Parlament hielt die Censur auch nach Ab-^[folgende Seite]