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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Festungskrieg
Im Altertum kommen bei den Griechen in der
voralerandrinischen Zeit besonders Einschließung
und Überfall zur Anwendung, letzterer meist mit
besondern Kriegslisten oder mit Verrätcrei im In-
nern der Festung verbunden. Mußte man zur förm-
lichen Belagerung schreiten, so schloß man den Platz
mit einer (aus Mauerwerk oder nur Palissadierung
oder nur Erdwall und Graben bestehenden) Kontra-
vallationslinie ein und sicherte sich häufig auch
gegen von außen kommende Entsatzversuche durch
eine ähnliche Linie. Die eigentliche Belagerung
zerfiel in die Herstellung eines Zuganges zur Festung
und in den Sturm auf dieselbe. Um eine Sturm-
lücke in der Ringmauer herzustellen, bediente man
sich entweder des Sturmbocks und ähnlicher Ma-
schinen, die unter festen oder beweglichen Schutz-
dächern gegen die Mauern in Thätigkeit gesetzt
wurden, oder man drang mittels eines unterirdischen
Ganges bis unter die Mauer vor, untergrub die-
selbe in einer gewissen Breite und stützte sie dabei
zunächst durch Hölzer, an die man später Feuer
legte, so daß die Mauer, an dieser Stelle der Unter-
stützung entbehrend, einstürzte. Ein anderes An-
griffsmittel, um die Sturmfreiheit der Mauer zu be-
seitigen, bildete der Hochbau, der entweder in einem
Ervdamm oder in hölzernen Wandeltürmen bestand.
Der Erd dämm wurde in einer ansehnlichen Breite
außerhalb der Schußweite der Verteidigungsmaschi-
nen angeschüttet und dann gegen den Platz zu all-
mählich verlängert und erhöht, bis er der Mauer an
Höhe gleichkam; über dieKrone dieses Dammes wurde
dann der Sturm ausgeführt. Die Verteidigung fuchte
durch Ausfälle und Geschosse der Wurfmaschinen die
feindlichen Arbeiten zu stören, die Annäherungs-
arbeiten durch Erhöhung an der betreffenden Stelle
unschädlich zu machen und die hölzernen Deckungen
durch Feuer zu zerstören; dem unterirdischen Angriff
trat der Verteidiger mit Gegenminen entgegen, was
bisweilen zu erbitterten Kämpfen unter der Erde
führte. Die Hilfsmittel des Angriffs wie der Ver-
teidigung erfuhren unter den Nachfolgern Alexan-
ders d. Gr. eine außerordentliche Vervollkommnung;
in Bezug auf Angriffsmittel und Angriffsverfahren
hat sich besondersDcmetriusPoliorketes ("derStädte-
bezwinger") einen hervorragenden Namen erworben.
Die Römer wichen in ihrem Angrisfsverfahren
nicht wesentlich von dem der Griechen ab. Die
Kontravallationslinie wird bei ihnen durch Kastelle
verstärkt. Zum gewaltsamen Angriff dient entweder
die Leiterersteigung oder dieBrefchhütte, d. h. ein
bewegliches Schutzdach, unter dem der Sturmbock
aufgehängt ist. Beim förmlichen Angriff wurde in
der oben beschriebenen Art der Damm an die Mauer
herangeführt. Die Wandcltürme benutzte man zu
Cäsars Zeit lediglich als wandelnde Batterien zum
Schutz des Dammbaues; zur Sicherung ihrer rück-
wärtigen Verbindung wurden aus Holz und Strauch-
werk eine Art gedeckter Laufgänge hergestellt. Zu
den Mitteln der Verteidigung tritt in späterer Zeit
der Feuerpfcil (Falarika) und das Griechische Feuer.
Im Mittelalter wurden Deckungsmittel und
Stoßzeug der Alten im allgemeinen beibehalten,
das Wurfzeug (Antwerk, s. d.) beruht auf andern
Principien; die Velagerungskunst als solche machte
entschiedene Rückschritte.
Die Erfindung dcsSchiehpulvers und
seine Benutzung zu Kriegszwecken bringt einen
gründlichen Umschwung in den Mitteln des F.
hervor, der sich zunächst bei dem Angriffsver-
fahren geltend macht. An die Stelle der hölzernen
Annäherungs- und Deckungsmittel traten die Lauf-
gräben oder Trancheen. Indem man diese vervoll-
kommnete, entstanden nach und nach Parallelen,
Verbindungswege und Annäherungswcge. Der
Angreifer begnügte sich anfänglich mit einer etwa
250 in von der Festung entfernten Parallele, in der
die Batterien aufgestellt wurden. Von da aus
gingen die Annäherungswege zuerst schlangen-
förmig, später zickzackförmig vor und erhielten zum
Schutz gegen Ausfälle in gewissen Abständen ge-
schlossene Schanzen. Die zweite Stellung (Parallele)
bildete dann schon die Glaciskrönung. Die Aus-
führung der Erdarbeiten zur Herstellung der Lauf-
gräben wurde im allgemeinen mit dem Namen
Sappe bezeichnet, wobei man die verschiedene Form
der flüchtigen, völligen und bedeckten Sappe unter-
schied. Der Artillerieangriff der damaligen Zeit
brauchte nur Wurf-, Demontier-, Konter- und
Vreschbatterien (letztere beiden in der Glaciskrönung).
Zur möglichst beherrschenden Aufstellung der De-
montierbatterien baute man oft sehr hohe Tranchee-
Kavaliere. Statt der Untergrabung der Mauer
endlich wird (seit 1500) die Pulvermine angewendet,
was allmählich zu einer systematischen Entwicklung
des Minenkrieges führte, da auch der Belagerte die
Vorteile der Minenwirkung sich nutzbar zu machen
trachtete. Auf dem geschilderten Standpunkte blieb
der F. bis gegen Ende des 17. Jahrh., um welche
Zeit der franz. Ingenieurgeneral Vauban (über
seine Thätigkeit als Festungsbaumeister s. Bastio-
nierter Grundriß), gestützt auf seine umfassenden
Erfahrungen (er hat 53 Belagerungen geleitet), dem
förmlichen Angriff diejenige systematische Form gab,
welche derselbe bis auf die neueste Zeit behalten hat.
Durch Anwendung zusammenhängender Infanterie-
positionen (Parallelen) und Einführung des die
angegriffene Linie der Länge nach bestreichenden
Rikoschettschusses sicherte er dem Angriff auf lange
Zeit eine unverkennbare Überlegenheit über die
Verteidigung. Gewöhnlich legte Vauban drei durch
Annäherungs- und Verbindungswege untereinan-
der verbundene Parallelen an und errichtete in der
ersten Parallele Demontier-, Enfilier-, Rikofchett-
und Wurfbatterien; in der zweiten und dritten
Parallele Wurfbatterien, in der Glaciskrönung
Konter- und Vreschebatterien. Über die nähern An-
ordnungen des Vaubanschen Angriffs s. Förmlicher
Angriff. Eine besondere Abart des allgemein in Auf-
nahme gekommenen AngriffsverfahrenZ war die sog.
Artilleriebelagerung oder Schnellbelage-
rung, die von den Engländern 1812,1813,1815
in Spanien, Frankreich und den Niederlanden
wiederholt angewendet wurde. Der Verteidiger
suchte, dem Vaubanschen Angriff gegenüber, zu-
nächst den Bau dcr ersten Parallele und der zu-
gehörigen Batterien durch überlegenes Geschützfeuer
zu hindern; muhten seine Geschütze schweigen, so
wurde das Vorschreiten derLaufgräben durch massen-
haftes Gewehrfeuer, kleine Ausfälle und Minen ver-
hindert, später aber die Bresche zäh verteidigt.
Die Einführung der gezogenen Geschütze um die
Mitte des 19. Jahrh, brachte in den bis dahin
gültigen Grundsätzen des Festungsbaues eine voll-
kommene Umwälzung hervor (s. FestungenIII.) und
muhte naturgemäß auch eine vollständige Um-
gestaltung des Angr'lffsverfahrens zur Folge haben.
Die Grundsätze, welche demgemäß für den neuern
förmlichen Festungsangriff aufgestellt sind, haben