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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 987-1328)

regenten salben ließ, sodaß das Wahlrecht der Großen ganz eingeschränkt und in friedlicher Weise ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Monarchie gethan wurde. Endlich aber trug es zur Befestigung des Königtums bei, daß die Kirche nie so mächtig war wie in Deutschland; die meisten Bischöfe waren entweder vom König oder von einem der Barone abhängig und besaßen keine sehr großen Territorien. Der Investiturstreit erschütterte das Land nicht allzusehr; das Verhältnis des Klerus zum Königtum war hier freundschaftlicher, wo beide durch gemeinsame Interessen den Feudalherren gegenüber aufeinander angewiesen waren. Dasselbe gilt von den jetzt erblühenden städtischen Kommunen, die bald an dem König eine Stütze gegen den Druck ihrer Herren, Bischöfe und Grafen fanden.

Ludwig VI. (1108-37), der Dicke, zeigte für die Würde seiner Stellung mehr Verständnis als seine Vorgänger, besonders als der staatskluge Abt Suger von St. Denis sein Berater wurde. Er war der Schützer der Kirchen und der Niedern gegen die Übergriffe der Burgherren und begründete die Freiheit der Städte durch zahlreiche Privilegien. Heinrich I. von England, als Graf von der Normandie im Streite mit Ludwig VI., rief 1124 gegen ihn seinen Schwiegersohn, den Kaiser Heinrich V., zu Hilfe. Als dieser Reims überfallen wollte, trat ihm Ludwig an der Spitze eines starken Heers entgegen, sodaß die Deutschen umkehren mußten. Ludwig VII. (1137-80), der Junge, hatte Eleonore, die Erbin des südfranz. Aquitanien, geheiratet, sich aber ihrer Untreue wegen von ihr scheiden lassen; sie vermählte sich nun mit Heinrich II. von England, der so ihr reiches Erbe Guienne und Poitou erhielt. Zugleich hatte dieser aber von seinem Vater Gottfried die Grafschaft Anjou geerbt, sodaß er nun, mit der Normandie zusammen, den größten Teil des heutigen F. besaß, während dem franz. Könige nur der fünfte Teil davon als Kronland gehörte. (S. Historische Karten von Frankreich 1.) Von nun an beginnen die Kämpfe zwischen ihm und dem übermächtigen Vasallen, und in der Gefahr vor den Bedrängern der Nation steht bald das franz. Königtum und Volk einmütig zusammen. Ludwig unternahm 1147 einen Kreuzzug, der jedoch mit einem Mißerfolge endete. (S. Kreuzzüge.) Während seiner Abwesenheit regierte Suger als Reichsverweser das Land. 1149 kehrte Ludwig VII. zurück; 1151 starb Suger, und nun hatte der König in seinen immer wieder erneuerten Fehden mit England wenig Erfolge aufzuweisen. Er starb 1180.

Mittlerweile aber war die Ausbildung des franz. Nationalcharakters in bedeutsamer Weise weiter geschritten. Das 12. Jahrh. zeigt einen erstaunlichen Aufschwung des Franzosentums, der es in geistiger und polit. Hinsicht vielfach an die Spitze des übrigen Europa stellte. Es waren vor allem die Kreuzzüge, die hierbei von den wichtigsten Folgen waren. Von Anfang an hatte die Idee der Befreiung des Heiligen Grabes in F. am stärksten gewirkt; das franz. Rittertum hatte an den Kämpfen gegen den Islam den größten Anteil gehabt und sich dabei zum Muster des europ. Rittertums herausgebildet. Es trug die kaum erblühte roman. Kultur überall hin, wo es kämpfte, und erwies sich, besonders in seinen normann. Elementen, als zur Staatenbildung ungemein begabt. So hat in England, Spanien, Süditalien (s. Sicilien, Königreich), Palästina (s. Jerusalem und Edessa) und später in Griechenland (s. Byzantinisches Reich, Bd. 3, S. 814) der franz. Adel eine Reihe von Staaten gegründet und mit seinem Recht und seinen Sitten befruchtet. Die Bekanntschaft mit neuen Ländern und ihre Kolonisation wirkte dann wieder höchst anregend auf das Mutterland. Die neuen Handelswege begünstigten einen regen Austausch der Erzeugnisse F.s und des Orients. Die Städte blühten auf, das Bürgertum wurde wohlhabender und dadurch auch selbstbewußter und schloß sich noch fester an das Königtum an, das ihm Privilegien gewährte und seinen Widerstand gegen die Stadtherren unterstützte. - Das kirchliche Leben nahm ebenfalls neue Formen an, die entarteten Orden wurden reformiert, und auch hier stand F. an der Spitze von Europa; vom Kloster Cluny gingen im 11., von dem gewaltigen Bernhard von Clairvaux im 12. Jahrh. die bedeutendsten religiösen Bewegungen aus; die Prämonstratenser und Cistercienser wirkten weithin fördernd auf die Kultur der Länder. Schon vertrat an der Universität Paris Abälard eine freiere geistige Richtung, schon regte sich in Südfrankreich eine ketzerische Opposition gegen das Papsttum. Endlich kam auch in der Kunst diese geistige Blüte zum Ausdruck: in der bildenden Kunst waren es die roman. und got. Bauten, in der Poesie besonders die an die alten Sagenkreise von Artus und dem Gral anknüpfenden Epen, die, auf franz. Boden entstanden, den andern Nationen ein bewundertes Vorbild wurden.

Unter der Regierung Philipps II. August (1180-1223), eines kühl berechnenden und höchst energischen Herrschers, erhielt F. auch die seiner aufblühenden Kultur entsprechende staatliche Bedeutung. Freilich kam ihm hierbei die Zersplitterung Deutschlands und Englands zu statten. Noch zu Lebzeiten Heinrichs II. von England reizte Philipp August dessen Söhne gegen den Vater; als dieser 1189 starb, unternahm er zwar mit seinem Nachfolger Richard Löwenherz einen Kreuzzug, kehrte aber schon 1191 von Atkon zurück, griff die Normandie an und zwang Richard, 1196 Vexin und Gisors (östlich der untern Seine) abzutreten. Weit mehr noch erreichte er aber, als der Nachfolger Richards, Johann ohne Land, den rechtmäßigen Erben der Normandie, seinen Neffen Arthur, auf die Seite schaffte; Philipp erklärte ihn seiner franz. Lehen für verlustig und zwang ihn, 1206 im Stillstand von Thouars Anjou, Maine, Touraine, Bretagne und die Normandie abzutreten; nur Poitou und Guyenne behielt Johann. Außer der Bretagne vereinigte Philipp alle jene Gebiete mit dem Kronland; desgleichen Amiens, Valois und Vermandois, die er schon 1183 dem Grafen von Flandern abgenommen hatte. Zu Papst Innocenz III., der ihm wegen der Verstoßung seiner Gemahlin Ingeborg (1193) zürnte und später F. mit dem Interdikt belegte, gewann er schließlich doch ein gutes Verhältnis, sodaß dieser ihm zeitweilig (1212) sogar die engl. Krone zusprach. In dem Kampfe zwischen dem jungen Staufer Friedrich II. und dem Kaiser Otto IV. stellte er sich auf die Seite Friedrichs, da Otto von England unterstützt wurde. Bei Bouvines (s. d.) fiel 1214 die Entscheidung; Philipp siegte über Otto und besiegelte damit F.s Hegemonie in Europa. 1216 boten die engl. Barone seinem Sohne, dem spätern König Ludwig VIII., sogar die engl. Krone an, dieser setzte auch über den Kanal, mußte aber 1217 zurückkehren, als das engl. Nationalgefühl nach dem Tode des verachteten Johann wieder erwachte. Hatte Philipp