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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Geestendorf - Gefahr

Parallelklassen für Lateinschüler, Navigationsschule, gewerbliche Fortbildungsschule; Wasserleitung, Kanalisation, teils Gas-, teils elektrische Beleuchtung, Schwestern-Krankenhaus, Armenwerkhaus; eine Bank, eine städtische Sparkasse und Konsulate von Belgien und Österreich-Ungarn. Von industriellen Anlagen nehmen die Schiffswerfte (Joh. C. Tecklenborg mit 1099 Arbeitern und Rickmers bauen große eiserne Schiffe, D. B. Oltmann und G. Seebeck hölzerne und Fischdampfer) den ersten Platz ein; sie besitzen 3 Trockendocks zum Ausbessern großer Schiffe. Daneben bestehen Kesselfabriken, Holzindustriewerke mit Dampfbetrieb, Segelmachereien und Seilereibetriebe mit Drahtseilfabrik, eine Schiffszwiebackfabrik mit Dampfmühle und eine nach amerik. Muster eingerichtete Fabrik für Petroleumfässer (täglich 2000 Fässer). Große Eisgewinnungsanlagen und -Speicher dienen der Hochseefischerei, die Petroleum-Tankanlagen der Deutsch-Amerikanischen Petroleumgesellschaft der Petroleumeinfuhr. Der bedeutende Handel erstreckt sich besonders auf Petroleum, Reis (Firma R. C. Rickmers), Holz (Pundt & Kohn, Ch. Külken), Kohlen, Baumwolle, Getreide und Seefische. In den städtischen Fischauktionshallen werden wöchentlich etwa 75 t Fische versteigert. G. ist (1. Jan. 1891) Heimatshafen von 53 Seeschiffen mit 43192 Registertons Gehalt, darunter 28 Dampfer (13 Fisch- und 10 Petroleumtankdampfer). Nach dem jenseit der Weser liegenden oldenb. Nordenhamm führt eine Dampffähre, mit Bremen, Norderney und Helgoland besteht Dampfschiffahrtsverbindung. Geestendorf ist sehr alt, G. erst um 1846 entstanden durch die Hafenanlagen, deren Mittelpunkt das 21. Juli 1863 eröffnete Haupt-Hafenbassin (538 m lang, 117 in breit, 7 m tief) bildet. Die Verbindung mit der Geeste bez. Weser wird im N. durch eine Kammerschleuse (73 m lang, 23 m breit, 7,6 m tief) sowie durch einen Vorhafen vermittelt. An das Bassin schließt sich nach S. der 1875 eröffnete Petroleumhafen (234 m lang, 44 m breit) an, während sich nach O. der die Stadt in zwei Teile teilende und durch zwei Brücken überbrückte Hauptkanal (358 m lang, 44 m breit, 6 m tief) abzweigt, welcher in den Holzhafen einmündet und nach N. in den Querkanal (462 m lang, 33 m breit, 6 m tief) ausläuft. Der Hafen ist einer der größten künstlichen Deutschlands und immer eisfrei; die Anlagen werden durch vier in und an der Wesermündung erbaute Forts geschützt und liegen außerhalb der Zollgrenze.

Geestendorf, s. Geestemünde.

Geestlande, s. Hamburg 1.

Geez, andere Bezeichnung der äthiop. Sprache, s. Äthiopische Sprache, Schrift und Litteratur.

Gefahr heißt ein drohendes Übel. Sie liegt vor, wenn einzelne oder mehrere, aber noch nicht alle Bedingungen für den Eintritt des Übels gegeben sind. Objektiv wird dadurch der Eintritt des Übels nicht näher gerückt. Für den, welcher die Gestaltung der Zukunft kennt, bleibt der Eintritt des Übels gleichweit entfernt, wenn er weiß, daß die noch fehlende Bedingung niemals eintreten wird, wie wenn auch die andern Bedingungen nicht eingetreten wären. Aber der Mensch, welcher die Zukunft nicht kennt, rechnet mit Wahrscheinlichkeiten und handelt danach. Ihm erscheint der Eintritt des Übels näher gerückt durch die G., welche seine Furcht erweckt. Deshalb hat auch das Recht die G. in den Kreis seiner Bestimmungen gezogen.

Soweit Übel durch menschliche Handlungen schuldhaft herbeigeführt werden, tritt eine Bestrafung und ein Anspruch auf Schadenersatz für die Regel erst zufolge der eingetretenen Rechtsverletzung ein. Aber jene Beunruhigung des menschlichen Gemüts und die Erwägung, daß zwar die That, aber nicht der Erfolg in der Hand des Menschen liegt, rechtfertigen es, daß die Gesetzgebung Repressivmaßregeln durch Strafandrohungen ergreift, damit dem schädlichen Erfolg nicht durch eine schuldvolle Handlung die Thür geöffnet werde, - wenn er dann auch im einzelnen Fall nicht eintritt. Obschon es nur bei der G. geblieben ist, wird bei jedem beabsichtigten Verbrechen und Vergehen der Versuch (s. d.) bestraft, bei einzelnen besonders gefährlichen Verbrechen, wie Hochverrat (s. d.) und Landesverrat (s. d.), der Thatbestand so weit gefaßt, daß schon das eine G. herbeiführende Unternehmen als vollendetes Verbrechen charakterisiert wird. Bei den gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen (s. d.) ist die Strafe nicht nach der Größe der eingetretenen Verletzung, sondern wesentlich nach der durch dieselbe hervorgerufenen gemeinen G. bemessen. Über Drohung s. d. Bei den polizeilichen Übertretungen (s. d.) ist eben dieser Gesichtspunkt der Gefährdung dafür maßgebend, um gewisse Handlungen und Unterlassungen unter Strafe zu stellen, auch wenn ein benachteiligender Erfolg nicht eingetreten ist, und damit jene Handlungen und Unterlassungen zu verbieten. Hierauf baut aber das bürgerliche Recht weiter. Denn indem das Polizeigesetz gewisse Handlungen bei Eintritt von G. gebietet oder gefährliche Handlungen verbietet, macht dasselbe denjenigen, an welche es sich wendet, zur Rechtspflicht, jene Handlungen vorzunehmen oder diese zu unterlassen. Handeln diese Personen gegen das Verbot oder gegen das Gebot und entsteht dadurch Schaden, so haben sie diesen verschuldet. Ein Hauseigentümer, welcher der Polizeiverordnung zuwider bei Glatteis nicht Sand streut, bei eingetretener Dunkelheit die Treppe nicht erleuchtet, eine Grube unbedeckt läßt, ein Betriebsunternehmer, welcher trotz der Polizeiverordnung ein gefährliches Werkzeug nicht bedeckt, wird, wenn infolgedessen Menschen zu Schaden kommen, wegen seiner Fahrlässigkeit zum Schadenersatz verurteilt. Zur Verhütung des Eintritts von Schaden bei drohender G. dienen prozessuale Maßnahmen (s. Arrest und Einstweilige Verfügung). Im übrigen ist die moderne Gesetzgebung und Staatsverwaltung bestrebt, allgemeine G. für Leben und Gesundheit thunlichst einzuschränken (s. Seuchengesetze) und die Einhaltung der desfallsigen Gebote und Verbote durch Strafsatzungen gegen gefährdende menschliche Handlungen zu sichern.

Die moderne Gesetzgebung und Rechtsprechung gehen noch weiter, indem sie selbst ohne schuldvolle Gefährdung aus gewissen thatsächlichen Gefährdungen Schadenersatzansprüche entstehen lassen. Darauf ist es zurückzuführen, daß die Eisenbahnverwaltungen für den durch den gefährlichen, aber konzessionierten Betrieb, z. B. durch Inbrandsetzung mittels Lokomotivfunken verursachten Schaden auch dann für haftbar erklärt sind, wenn eine Verschuldung ihrer Bediensteten nicht nachzuweisen ist. Das Haftpflichtgesetz (s. d.) erklärt den Betriebsunternehmer einer Eisenbahn für den Schaden verantwortlich, welcher durch eine bei deren Betrieb erfolgte Tötung oder körperliche Ver-^[folgende Seite]