Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Diese Seite ist noch nicht korrigiert worden und enthält Fehler.

779
Genf (Bezirk und Stadt)
Land, nicht besonders fruchtbar, aber vortrefflich
angebaut, liefert Getreide, Wein, Obst und Gemüse.
Nach derZählung von 1886 hatte der Kanton 3237
Pferde, 7187 Rinder, 2472 Schweine, 1019 Schafe,
1716 Ziegen und 2401 Bienenstöcke. Der See und
die Flüsse sind reich an Aschen. Steinkohlen kom-
men vor, sowie Sandstein-, Töpfer- und Ziegel-
thonlager.
Industrie, .Handel, Verkehrswesen. Der
wichtigste Industriezweig ist die Uhrenfabrikation,
deren Erzeugnisse in der ganzen Welt berühmt und
verbreitet sind. Die Uhrenfabrikation wurde 1587
von einem Franzofen Cusin in der Stadt G. einge-
führt und hat sich von da über eine große Zahl Ort-
schasten verbreitet. Schon Ende des 18. Jahrh, stand
sie in großer Blüte und beschäftigte über 4000 Ar-
beiter; später ging sie zurück, hat sich aber allmählich
wieder auf die frühere Höhe gehoben und auf die
Fabrikation von Spieluhren und -Dosen, letztere
1796 von dem Genfer Ant. Favre erfunden, aus-
gedehut. Die meisten Fabriken stellen indes nur
einzelne Uhrenteile (Spiralen, Schalen, Bügel, Fe-
dern, Schlüssel, Zeiger u. s. w.) her. Wichtig ist
ferner die Eisengießerei sowie die Fabrikation von
Juwelier-, Bijouterie- und Goldwaren, Maschinen,
Werkzeugen, Präcisionsinstrumenten und elektri-
schen Apparaten. 1888 bestanden 134 Fabriken,
daruuter 125 mit Motoren; beschäftigt waren 3395
(2589 männl., 806 weibl.) Arbeiter, darunter 312
(170 männl., 142 weibl.) unter 18 Jahren. Die
früher berühmte Seiden- und Textilindustrie ist im
Aufaug des 19. Jahrh, eingegangen. Die 7 Braue-
reien erzeugten (1891) 58692 Iii Bier, darunter
9783 für den Export. Der Handel ist infolge der
Lage des Kantons an der Grenze Frankreichs fehr
bedeutend, namentlich der Transit-, Speditions- und
Kommifstonshandel. 1885 waren in das Handels-
register 3740 Firmen eingetragen. Das Eisenbahn-
netz umfaßt etwa 37 Kni Linien; 9 Linien fchmal-
spuriger Eisenbahnen und Dampfstraßenbahnen
verbinden die ^tadt G. mit den Nachbarorten.
Vcrfaffung und Verwaltung. Die Ver-
fassung, 1847 vom Volte angenommen, 1873, 1874
und 1880 teilweise revidiert, ist repräsentativ-demo-
kratisch, uähert sich aber, seitdem 1880 das faknlta-
tive Referendum eingeführt wnrde, der reinen De-
mokratie. Der Große Rat, bestehend aus 100 Mit-
gliedern, ist gesetzgebende, der Staatsrat, sieben
Mitglieder, vollziehende Behörde. Jener wird vom
Volte in drei Wahlkreisen, die den Bezirken ent-
sprechen, dieser in einein Wahlkreise auf eine Amts-
dauer von 3 Jahren gewählt und zwar jeweilig
in einem Jahre der Große Rat, im zweiten der
Staatsrat und im dritten die Abgeordneten in den
Nationalrat. Für das Gerichtswegen ist der Kanton
in vier Friedensrichterkreife geteilt, außerdem be-
stehen ein Handelsgericht und ein Civilgericht, und
letzte Instanz ist das Obergericht, zugleich Appel-
lations- und Kassationshof und unterZuziehung von
Geschwornen Kriminalgericht; außerdem besitzt G.
iwch gewerbliche Schiedsgerichte (^i-uälwminkz) zur
Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern
und -Nehmern. Im Kanton gilt das durch spätere
Partilulargefetze modifizierte franz. Recht. In kirch-
licher Hinsicht stehen die Altkatholiken des Kantons
unter dem schweiz. Nationalbischof, die Römisch-
Katholiken gehören, da der Staat sich vom Bistum
Lausanne losgesagt hat, thatsächlich keinem Bistum-
verbanne att/D^pnt.M'che stcht unter dem Kon-
sistorium der ^omMAnie 663 M8t6ul3; jedoch hat
sich wie in Waadt ein kleinerer Teil der Reformierten
von der Landeskirche getrennt und bildet für sich
eine freie Kirche (^Ü36 lidre). Ein Antrag auf voll-
ständige Trennnng von Kirche und Staat wurde
1880, obwohl vom Großen Rat angenommen, vom
Volke mit großer Mehrheit verworfen. In militär.
Hinsicht bildet G. mit Waadt und Unterwallis den
(Htammbezirt der 1. Division. Die Staatsschulden
betrugen (1890) 32,38 Mill. Frs., das Vermögen
etwa 15 Mill. Frs.; die Staatseinnahmen 2,7", die
Ausgaben 5,?8 Mill. Frs.
Das Wappen des Kantons und der Stadt G.
ist ein senkrecht geteilter Schild, rechts im goldenen
Felde ein halber Reichsadler, links im roten Felde
ein goldener Schlüssel.
Bildungswesen, öffentliche Anstalten.
Das Unterrichtswesen ist wohl geordnet; bei den Re-
krutenprüfungen von 1891 nahm der Kanton den
3. Rang unter 25 ein; von je 100 Geprüften hatten
36 in mehr als 2 Fächern die beste Note und nur
8 in mehr als 1 Fache die schlechtesten Noten. 1890
bestanden in 48 Schulgemeinden 60 Primärschulen
mit 115 Lehrern, 167 Lehrerinnen, 4512 Schülern
und 4393 Schülerinnen; außerdem 61 Kleinkinder-
schulen mit 3937 Kindern und 92 Lehrerinnen, ser-
ner 14 Sekundärschulen mit 403 Schülern, 123
Schülerinnen. An höhern Unterrichtsanstalten be-
sitzt der Kanton eine Universität, ein Gymnasium
(Eollege), eine Industrie- und Handelsschule, eine
höhere Mädchenschule, ein Progymnasium und meh-
rere Sekundärschulen, technische und Berufsschulen,
und zahlreiche Privatinstitute (Pensionen).
Geschichte s. unter 4.
2) G. Rechtes Ufer, Bezirk (Arrondisfement)
im fchweiz. Kanton G., hat 94,4 c^in und 13 Ge-
meinden (f. oben Tabelle).
3) G. Linkes Ufer, Bezirk (Arrondissement) im
schweiz. Kanton G., hat 152,5 hlim und 34 Ge-
meinden (s. oben Tabelle).
4) G., irz. <^6nev6, ital. (-in6vrii, Hauptstadt des
Kantons und der beiden Be-
zirke G., liegt in 408 m Höhe
(Observatorium) am südwestl.
Ende des Genser Sees beim
Ausfluß der Rhone aus dem-
selben, ist die reichste und mit
Einschluß ihrer Vororte die
volkreichste Stadt der Eidge-
uoffenschaft und trägt von
allen Schweizerstädten am
meisten großstädtischen Charakter. (Hierzu Karte:
Genf und Umgebung.)
Bevölkerung. Die^Stadt hatte 1870: 50013,
1888: 52638 E., darunter 28936 Evangelische,
22151 Katholiken, 558 Israeliten und 993 andere
und ohne Konfefsion; mit den Vorstädten Eaux-
Vives (7907 E., darnntcr 3802 Katholiken, 24 Is-
racliten) und Plainpalais (12334 E., daruuter
5102 Katholiken, 48 Isracliten) 72 779 E.
Aulage, Straßen, Brücken. Durch die
Rhone wird die ^tadt in zwei ungleiche Teile ge-
schieden. Ailf dem linken Ufer liegt die Altstadt
doch über dem Flusse, ein Gewirr enger, steiler
Straßen und Gäßchen mit düstern, turmhohen Häu-
sern, der Sitz des streng calvinischen Altgenfertums;
neben derselben breiten sich in den untern Teilen die
Quartiere des Handels und des Verkehrs aus, der
Grand Quai du Lac und seine Fortsetzung, der Quai