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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Sprachwissenschaft; Germanische Volksrechte

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Germanische Sprachwissenschaft - Germanische Volksrechte

man die Sprache fast eine german.-roman. Mischsprache nennen kann. (S. Englische Sprache.) Jedoch gilt das in der Hauptsache nur für die Schriftsprache und für die Sprache der Gebildeten; der engl. Schiffer kommt ziemlich mit german. Worten aus.

Überall auf german. Sprachboden bereitet sich eine Verdrängung der Mundarten durch die Umgangssprache der Gebildeten vor, welcher die Schriftsprache als Richtschnur gilt. In England (von Nordamerika und Australien ganz zu geschweigen) ist diese Bewegung am weitesten vorgeschritten; für Deutschland vgl. Deutsche Mundarten und Deutsche Sprache (Bd. 5, S. 77-78). Schriftsprachen haben die german. Völker, von der ausgestorbenen gotischen abgesehen, folgende geschaffen: 1) die deutsche, d. i. hochdeutsche, deren sich alle Deutschen in und außerhalb des Reichs, auch die Niederdeutschen, mit Ausnahme der Niederländer, sowie die Friesen innerhalb der deutschen Reichsgrenzen bedienen; 2) die niederländische der Niederländer, der sich die innerhalb der Niederlande wohnenden niedersächs. Niederdeutschen und Friesen (s. Karte der deutschen Mundarten, Bd. 5, S. 28) angeschlossen haben; nicht wesentlich hiervon verschieden ist die Mundart, welche die Vlämen Belgiens als Schriftsprache zur Geltung zu bringen suchen; 3) die englische, die auch bei den keltisch sprechenden Bewohnern von Irland, Wales und Schottland die herrschende und in neuerer Zeit durch ihre Übertragung nach Nordamerika, Australien und Südafrika die erste Weltsprache der Gegenwart geworden ist; 4) die dänische, welche, wenn auch mit einigen mundartlichen Besonderheiten namentlich im Wortschatze, auch die Norweger angenommen haben; 5) die schwedische, die auch außerhalb Schwedens besonders an der Küste Finlands noch immer ihre Geltung behauptet. Neben diesen Schriftsprachen hat sich in neuerer Zeit auch eine reiche mundartliche Litteratur entwickelt. Über den Rahmen einer solchen strebt die friesische in der niederländ. Provinz Vriesland hinaus, der es nur noch an der offiziellen Anerkennung fehlt. (S. Friesische Sprache und Litteratur.)

Das grundlegende Werk für die Erkenntnis der gesamten G. S. bildet J.^[Jakob] Grimms "Deutsche Grammatik" (4 Bde., Gött. 1819-37; neuer vermehrter Abdruck, Bd. 1 u. 2, Berl. 1870-78; Bd. 3, Gütersloh 1890). Die seitdem gemachten Fortschritte sind am besten zu übersehen in Pauls "Grundriß der german. Philologie", Bd. 1 (Straßb. 1891; 5. Abschnitt: "Sprachgeschichte"). Es sei noch auf die folgenden zusammenfassenden Werke hingewiesen: M. Heyne, Kurze Grammatik der altgerman. Dialekte, Bd. 1 (3. Aufl., Paderb. 1874; 2. Abdr. 1880); A. Holtzmann, Altdeutsche Grammatik, umfassend die got., altnord., altsächs., angelsächs. und althochdeutsche Sprache (Bd. 1: Lautlehre, Lpz. 1870-75); O. Schade, Altdeutsches Wörterbuch (2. Aufl., 2 Tle., Halle 1872-82). Von einer "Sammlung kurzer Grammatiken german. Dialekte" sind erschienen eine got. Grammatik von W. Braune (3. Aufl., Halle 1887), eine altisländische und altnorwegische von A. Noreen (2. Aufl., ebd. 1892), eine angelsächsische von E. Sievers (2. Aufl., ebd. 1886), eine altsächsische, erste Hälfte von Gallee (ebd. 1891), eine althochdeutsche von Braune (2. Aufl., ebd. 1891) und eine mittelhochdeutsche von Paul (3. Aufl., ebd. 1889), dazu, als Bd. 1 der "Ergänzungsreihe", eine nominale Stammbildungslehre der altgerman. Dialekte von Fr. Kluge (ebd. 1886).

Germanische Sprachwissenschaft. Die Erforschung der german. Sprachen ist eine besondere Abteilung der german. Philologie (s. Deutsche Philologie). Begründet ist die G. S. durch J.^[Jakob] Grimms "Deutsche Grammatik" und mehr als die andern Zweige der german. Philologie durch die Forschungen in den letzten 25 Jahren so gewaltig gefördert worden, daß sie als eine eigene Wissenschaft für sich dasteht. Von entscheidendem Einfluß ist der Umstand gewesen, daß sie sich in engstem Zusammenhang mit der vergleichenden indogerman. Sprachwissenschaft entwickelt hat. Die neueste Epoche der G. S. datiert seit W. Scherers Buch "Zur Geschichte der deutschen Sprache" (Berl. 1868). (S. Deutsche Philologie, Bd. 5, S. 43 a.) Bald darauf fanden die Grundsätze der neuesten Entwicklung der vergleichenden indogerman. Sprachwissenschaft besonders auf dem Gebiete der german. Sprachen Anwendung. Diese Grundsätze bestanden in der strengen Forderung der Ausnahmslosigkeit der mechanisch gedachten lautlichen (sog. lautgesetzlichen) Entwicklung, in der Betonung des Wirkens der Analogiebildung im Leben der Sprache sowie in dem Hinweis, daß die induktiver Untersuchung zugänglichern lebenden Sprachen und Mundarten von denselben allgemeingültigen Gesetzen beherrscht werden wie die toten Sprachen. Die allerjüngsten Bestrebungen suchen noch mehr, als es früher der Fall war, die lebenden Mundarten für die Sprachgeschichte nutzbar zu machen und die Grammatik der vormals gesprochenen Sprache von den Fesseln der traditionellen Orthographie zu befreien, und zielen vor allem dahin, das alte Schema der Grammatik durch eine wirkliche Geschichte der Sprache zu ersetzen. - Vgl. die Litteraturangaben unter Deutsche Sprache I, Germanische Sprachen, Gotische Sprache, Englische Sprache, Niederländische Sprache und Litteratur, Friesische Sprache und Litteratur, Nordische Litteratur und Sprache.

Germanische Volksrechte nennt man die ältesten Rechtsaufzeichnungen der german. Völker. Bei den deutschen Stämmen entstanden sie seit dem 5. Jahrh. und hießen Leges barbarorum, im Gegensatz zu den für die röm. Bevölkerung einzelner german. Staaten bestimmten Leges Romanae, z. B. Lex Romana Wisigothorum, Lex Romana Burgundionum. Zum größten Teile enthalten die G. V. nur die schriftliche, aber amtliche Fixierung des von dem Stamme geübten Gewohnheitsrechts, zum Teil aber auch neue Rechtsnormen, da neuentstandene Bedürfnisse eine gesetzliche Regelung erheischten. Nur die angelsächs. und nordgerman. Volksrechte sind in der Landessprache, die übrigen in zumeist barbarischem Latein aufgezeichnet. Die G. V. kommen auch da, wo sie aus der Initiative und einem starken Einflusse der Könige hervorgehen, unter Mitwirkung des Volks zu stande. Bei der Abfassung der Volksrechte tritt die Thätigkeit rechtskundiger, erfahrener Männer hervor, welche das geltende Gewohnheitsrecht weisen und formulieren, in der Gerichtsversammlung darüber Vortrag halten und ihre Vorschläge einem Beschlusse der Gerichtsgemeinde unterstellen. Den Anstoß zur Aufzeichnung des Rechts hat wohl die Bekanntschaft mit Römern und dem röm. Rechte gegeben. Das Bedürfnis nach einer solchen wurde sodann hervorgerufen durch die Bildung der neuen Stämme, durch die Einführung des Christentums, durch Umgestaltung der polit. und wirtschaftlichen Verhältnisse, wie Einverleibung ins Frankenreich, Ausbildung der königl. Gewalt, Ver-^[folgende Seite]